400.000 Deutsche leiden an einer Unverträglichkeit. Der Forschungsverbund Glutevis sucht jetzt eine sichere Analyse. Die bisherigen Testsysteme haben zwei Nachteile.

Hamburg. Müdigkeit, Durchfall und Übelkeit – über 400.000 Menschen in Deutschland leiden an den Folgen einer Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie). Sie vertragen das Klebereiweiß nicht, das in Getreidearten wie Weizen, Gerste und Dinkel vorkommt. Da Zöliakie weder heilbar noch durch Medikamente behandelbar ist, gibt es für Betroffene nur die Möglichkeit, sich ein Leben lang glutenfrei zu ernähren.

Eine neue Analysemethode soll nun helfen, Gluten in Lebensmitteln verlässlicher nachzuweisen. Denn die bisherigen Testsysteme haben zwei Nachteile: „Gluten ist der Überbegriff für Eiweißkleber, die in ähnlicher Form in verschiedenen Getreidearten vorkommen. Die bestehenden Analysemethoden sind auf den Nachweis von Gliadin, dem alkohollöslichen Weizenklebereiweiß, ausgerichtet. Zwar erkennen sie auch die Klebereiweiße anderer Getreidearten, wie Roggen und Gerste, das allerdings nicht so zuverlässig. Da es einfacher ist, mit alkohollöslichen Substanzen zu arbeiten, beschränken sich bisherige Testsysteme auch meist nur auf die Untersuchung dieser alkohollöslichen Bestandteile. Dadurch werden nicht alle Komponenten des Glutens untersucht, sondern die Gesamtmenge an Gluten wird mithilfe der nachgewiesenen Komponenten abgeschätzt“, sagt Dr. Andreas Frey, Koordinator des Forschungsverbunds Glutevis, der für die Entwicklung des neuen Testsystems ins Leben gerufen wurde.

Die alkohollöslichen Komponenten als alleiniges Merkmal für die absolute Gluten-Menge zu nutzen reicht aber nicht aus. „Die schwer löslichen Bestandteile von Gluten scheinen für Zöliakie-Erkrankte auch relevant zu sein – aber man weiß noch nicht wie. Es ist auch noch unklar, ob sich die Struktur von Gluten durch die Aufbereitung von Lebensmitteln verändert“, sagt Dr. Andreas Frey.

Das neue Analysesystem soll Klebereiweiße aller glutenhaltigen Getreidearten verlässlich nachweisen können und beide Glutenkomponenten, den alkohollöslichen ebenso wie den nicht-löslichen Teil, genau erkennen. Und das sowohl in Rohstoffen als auch in Backwaren und vorgekochten Fertiggerichten. Dass der Eiweißkleber Gluten in Fertiggerichten oft als Bindemittel genutzt wird, ist für Zöliakie-Patienten besonders problematisch, da dies oft nicht ausreichend auf den Verpackungen angegeben wird.

Die neue Analysemethode wird auch deshalb dringend gebraucht, weil es seit Anfang 2012 eine neue EU-Richtlinie gibt, die strengere Inhaltsangaben fordert. Diese EU-Vorschrift sieht bestimmte Grenzwerte und Deklarationen vor. „Die bisherigen Analysemethoden, die nur bestimmte Bestandteile von Gluten nachweisen, reichen hier nicht mehr aus“, sagt der Chemiker Dr. Andreas Frey.

Bis 2016 will Glutevis einen Prototyp des Testsystems fertigstellen. Der Verbund besteht aus dem Forschungszentrum Borstel (Verbund-Koordinator) und der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie in Freising sowie drei Partnern aus der Industrie: der Gesellschaft für Silizium Mikrosysteme in Großerkmannsdorf, der Hermann Kröner GmbH in Ibbenbüren und der R-Biopharm AG in Darmstadt.

Mit insgesamt 3,84 Millionen Euro (2,52 Millionen Euro vom Bundesforschungsministerium, 1,32 Millionen Euro von beteiligten Industriepartnern) startet der Forschungsverbund am 13. November: „Die Idee ist, ein Messgerät zu erstellen, das einfach in der Handhabung ist. Ob und wie viel Gluten im getesteten Lebensmittel enthalten ist, wird dann mithilfe eines Farbstreifens, ähnlich wie beim Schwangerschaftstest, ablesbar sein. Das Ergebnis soll nicht länger als eine halbe Stunde auf sich warten lassen“, sagt Frey. Für den Privatgebrauch sei der Test aber zunächst nicht gedacht.

Der Prototyp wird zuerst bei der Hermann Kröner GmbH, dem Produzenten glutenfreier Mehlprodukte und Partner des Forschungsverbunds, getestet. Danach wartet ein großer Markt auf das Testsystem: für die Lebensmittelindustrie in Deutschland, ebenso für die weltweit größten Weizenproduzenten China und die USA.

Nach Angaben von Marktforschungsinstituten steigt der weltweite Umsatz, der mit speziell glutenfrei produzierten Lebensmitteln erwirtschaftet wird, bis 2018 auf über vier Milliarden Euro – 2009 lag er noch bei etwa 1,6 Milliarden Euro. Das wachsende Interesse der Industrie und die Entwicklung von mehr glutenfreien Produkten sind für die Betroffenen ein wichtiger Schritt. Denn neben schon genannten Symptomen wie Müdigkeit, Übelkeit und Durchfall verschlechtert sich auch die Verwertung aufgenommener Nährstoffe bei Zöliakie-Patienten durch den Verzehr glutenhaltiger Produkte.

Viele der weltweit 250 Millionen Betroffenen leiden an Vitamin- und Eisenmängeln. Einige Studien deuten sogar auf einen Zusammenhang zwischen Zöliakie und Folgeerkrankungen wie Krebs und Unfruchtbarkeit hin.

Grund dafür sind die durch Zöliakie bedingten Darmentzündungen: „Gliadinpeptide, die durch die Darmschleimhaut gelangen, lösen die Darmentzündung aus. Auch wenn die Darmschleimhaut sehr dicht ist, können einzelne Peptide gelegentlich diese Hürde überwinden. Normalerweise toleriert der Körper dies. Die Frage, warum Gliadinpeptide von Zöliakie-Erkrankten nicht toleriert werden, ist noch nicht geklärt“, sagt Dr. Andreas Frey.

Bei über 95 Prozent der Zöliakie-Patienten zeigt sich eine bestimmte genetische Veranlagung und häufig ein angeborener Immundefekt. „Das Bewusstsein für die Erkrankung nimmt zu. Außerdem gibt es auch Menschen, die sich bei glutenfreier Ernährung besser fühlen, selbst wenn bei ihnen keine Zöliakie diagnostiziert werden kann“, weiß Dr. Andreas Frey.

Die sogenannte Gluten-Sensitivität ist noch weniger erforscht als die Zöliakie: Bei den davon Betroffenen lassen sich zwar keine genetische Veranlagung und krankheitstypischen Merkmale finden, zum Beispiel bestimmte Antikörper, dennoch leiden sie nach dem Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel an den gleichen Symptomen.