Ob im Beschleunigertunnel oder beim Science Slam: 29.000 Interessierte informierten sich am Sonnabend in Hochschulen und Forschungsinstituten bei der „Nacht des Wissens“ in Hamburg.

Hamburg. „KA WOOM!“ steht auf dem Stoffbeutel, der dem Zwölfjährigen im Bus zwischen Grindelhof und Staatsbibliothek über der Schulter hängt. Hätte es nicht irgendetwas mit Comics zu tun (was kleiner, zwischen den Faltenwürfen der Tasche, schwer lesbar hervorlugt), könnte es auch das Motto dessen sein, was draußen vor den Fenstern am vergangenen Sonnabend auf junge und ältere Besucher wartete: Zum fünften Mal luden Hochschulen, Forschungsinstitute und andere wissenschaftliche Einrichtungen aus ganz Hamburg zur „Nacht des Wissens“ ein. Viele Forschungsinteressierte nahmen das Angebot an – sehr viele sogar: Mit 29.000 Besuchern vermeldete die Behörde für Wissenschaft und Forschung einen neuen Besucherrekord.

Dabei wollte die Rallye durch die Nacht gut geplant sein. 1000 Programmpunkte von 55 wissenschaftlichen Einrichtungen in sieben Stunden zu packen – dazu bedarf es keines Mathematikstudiums, um die Ausweglosigkeit der Lage zu erkennen. Also: Prioritäten setzen und einzelne Orte taktisch klug ansteuern.

Oft mussten die Besucher warten – oder einen Vortrag auf Bildschirm verfolgen

Wie etwa das Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotons in Bahrenfeld, das schon am Nachmittag für Besucher seine Pforten öffnete. Dabei war die wohl größte Attraktion eine Baustelle: Hunderte Besucher standen schon lange vor den eigentlichen Öffnungszeiten der „Nacht des Wissens“ von 17-24 Uhr für eine Führung durch den Beschleunigertunnel des European XFEL an. Der bei Fertigstellung 3,4 Kilometer lange Laser soll Röntgenblitze erzeugen, die weniger als 100 billiardstel Sekunden dauern und es möglich machen, ultraschnelle Vorgänge wie die Bildung von Molekülen zu „filmen“.

Die Erkenntnisse könnten etwa zu neuen Medikamenten führen. Darüber informierten Poster im Zelt vor dem Eingang des Gebäudes; erträglicher machte die Wartezeit allerdings eher das Schoko-Stickstoff-Eis, das an einem Stand neben der Warteschlange kreiert wurde. 15 Minuten später hatte man es hineingeschafft in den 100 Meter langen Rohbau. Die Luft war staubig, es roch nach Beton; an einer Wand klebte ein Blatt mit dem Hinweis: „NOCH 1 STUNDE“. Gemeint war: ab hier. „O Gott“, stöhnte ein Vater. Er überlegte einen Moment. „Mein Sohn, was meinst du – wollen wir hier wirklich warten?“ Es klang nach einer rhetorischen Frage. „Jaaa!“, rief der Kleine. Der Vater seufzte.

Für die, die durchhielten, ging es schließlich mit dem Aufzug und Bernd Ebeling, Sprecher der XFEL GmbH, 40 Meter abwärts. Dann lag er da: der Tunnel. Er ist etwa so breit wie eine Autofahrspur und reicht bis an die Grenze von Schenefeld in Schleswig-Holstein. An der Decke hängen die ersten Cavities, sogenannte Hohlraumresonatoren mit dem Durchmesser eines stattlichen Baumstammes, in denen elektrisch geladene Teilchen beschleunigt werden. Diese sollen nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durch den Tunnel rasen, dabei an Energie gewinnen und schließlich im Forschungscampus in Schenefeld ankommen. 2016 sollen dort die ersten Experimente beginnen.

Zur gleichen Zeit in Harburg: Rekordandrang auch an der Technischen Universität. Mehr als 7000 Besucher schlenderten über den Campus mit seinem neuen Hauptgebäude, der umgestalteten Kaserne am Schwarzenberg. Unter den 50 Vorlesungen waren viele so überfüllt, dass trotz pünktlichen Erscheinens nicht einmal mehr ein Stehplatz zu ergattern war, etwa bei den Themen „Energie bunkern“ oder „Fahrwerklose Flugzeuge“.

Da schon bei der Planung abzusehen war, dass die Chemie- und die Robotik-Shows im größten Hörsaal der TU sehr nachgefragt sein werden, hatten die Organisatoren an drei weiteren Standorten große Bildschirme aufgebaut, auf die die Vorführungen übertragen wurden. Tatsächlich mussten TU-Studenten, die auf dem Gelände als Wegweiser aktiv waren, bei der 18-Uhr-Vorführung schon eine Viertelstunde vor Showbeginn den Zugang zum Audimax versperren – mit 680 Zuhörern war er bereits voll besetzt. Diese konnten dann verfolgen, wie Dr. Andreas Korn-Müller alias „Magic Andy“ in seiner Chemieshow geisterhafte Handschuhe, künstliches Blut und Feuer spuckende Kinder inszenierte.

„Das war für uns die bisher erfolgreichste Nacht des Wissens. Unsere Erwartungen wurden weit übertroffen“, lautete das Fazit von Rüdiger Bendlin, der an der TU die Veranstaltungsnacht organisiert hatte. Auch Hamburgs Wissenschaftssenatorin Dr. Dorothee Stapelfeldt war überaus zufrieden: „Ich freue mich außerordentlich über den erneuten Besucherrekord. Das zeigt: Wissenschaft und Forschung haben für die Hamburgerinnen und Hamburger einen hohen Stellenwert.“ Die Senatorin hatte die Veranstaltung mit einem Senatsempfang auf dem von Solartechnik angetriebenen Alsterdampfer „Alstersonne“ gestartet. Danach besuchte sie mit einer kleinen Gruppe fünf Stunden lang die Universität Hamburg und diverse Forschungsinstitute.

So konnte man die Senatorin, Universitätspräsident Prof. Dieter Lenzen und Christoph Krupp, Chef der Senatskanzlei, etwa im Blues-Brothers-Stil sehen, als sie im Hauptgebäude der Universität mit massiven, schwarzen 3-D-Brillen auf einen Bildschirm schauten. Und währenddessen den Ausführungen von Prof. Stephan Olbrich vom Fachbereich Informatik lauschten, wie Datenreduktionsverfahren geometrische 3-D-Objekte erzeugen.

Nebenan, im Ostflügel des Hauptgebäudes, wurde die Wissenschaft anfassbarer: Tierschädel, Pflanzensamen oder Tonscherben gingen von Hand zu Hand. 19 wissenschaftliche Sammlungen präsentierten sich erstmals gemeinsam und ihre „Schätze, die die Welt erklären“. Klar, dass da eine Schatzrallye für Kinder nicht fehlen durfte, und wer eine ruhige Hand mitbrachte, durfte ein eigenes Blatt für ein Herbarium anlegen und dafür vorsichtig eine getrocknete Pflanze aufkleben.

Weniger zimperlich ging es am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zu: Hereinspaziert in eine menschliche Lunge! Im Foyer des neuen Klinikums war ein begehbares Lungenmodell aufgebaut, das aus den beiden Lungenflügeln und der Luftröhre besteht. Besucher konnten sich in dem Modell naturgetreue Nachbildungen des Lungengewebes anschauen und auch die krankhaften Veränderungen, die in der Lunge auftreten können, wie zum Beispiel eine Lungenentzündung, Tumoren, Asthma oder Tuberkulose. Auf der Außenseite waren auch die typischen Veränderungen bei einer Raucherlunge zu sehen.

Schlange standen auch viele Besucher, große oder kleine, vor dem Rauschparcours. Hier ging es darum, den Besuchern mithilfe einer speziellen Brille die Auswirkungen des Alkoholkonsums zu veranschaulichen. Vor dem Start in den Parcours mussten die Besucher eine Brille aufsetzen, die das unscharfe Sehen bei 0,8 oder bei 1,3 Promille Alkohol im Blut simulierte; dann mussten sie mit einem kleinen Ball auf einem Löffel im Slalom durch eine Reihe von Plastikhütchen laufen, Hütchen sauber ineinanderstapeln, sich ein Glas Wasser einschenken und ein Vorhängeschloss öffnen. Kein leichtes Unterfangen, wie man bei vielen Teilnehmern beobachten konnte.

Lars, 12, war hingegen mit seiner Leistung sehr zufrieden. „Es war toll, eine sehr spannende Erfahrung“, sagte er, nachdem er gerade am Computer virtuell den „Voxel man“ operiert hatte. Ausgerüstet mit einer 3-D-Brille hatte er mit einem Stick eine Fräse bedient, um im Felsenbein, einem Teil des Schädels, an das Innenohr zu gelangen. Mit dem anderen Stick hat er einen Sauger angesetzt, um einen guten Blick auf sein „Operationsfeld“ zu haben. Dieser Simulator wird von jungen Ärzten in der Facharztausbildung genutzt, um Operationen zu trainieren.

Viele Besucher waren schon vor zwei Jahren bei der „Nacht des Wissens“ dabei; andere machten in diesem Jahr erstmals spannende Erfahrungen. „Ich kann mir nun endlich etwas unter den ‚angewandten Wissenschaften‘ vorstellen“, sagte eine Besucherin, die am Campus Berliner Tor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW ) die interaktive Installation „Computational Spaces“ testete, die Informatik und Design miteinander verbindet. „Hier werden technische Konzepte der Zukunft entwickelt und ausprobiert, um sie marktfähig zu machen. Das war mir so nicht klar.“

Am Campus Armgartstraße zeigten Studierende, wie Mode entsteht. Kostümdesigner ließen Illusion und Wahrheit verschwimmen, während sie Besucher schminkten. Interessierte konnten die Eigenschaften ihrer mitgebrachten Kleidungsstücke zerstörungsfrei testen. Höhepunkt war zweifelsohne die ausverkauften zwei Modenschauen von Modeprofessorin Viktoria Greiter, die als Sonderveranstaltung parallel zur „Nacht des Wissens“ stattfand.

Und dann gab es noch eine Weltpremiere: Den weltweit ersten JuraScience-Slam, wie ihn Prof. Harald Baum am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht ankündigte. In zehn Minuten schaffte es dabei etwa Eike Götz Hosemann in seinem Vortrag über Verführung, Verrat und Vertragsbruch bei HSV-Spieler Rafael van der Vaart, dessen Ex Sylvie und der neuen Freundin Sabia zu landen. Da sage noch einer, Wissenschaft sei abgehoben oder langweilig.