Der bisher eingesetzte Wirkstoff Interferon kann viele Nebenwirkungen haben. Künftig bleibt er Patienten wohl erspart. Weltweit sind laut der Weltgesundheitsorganisation rund 150 Millionen Menschen mit HCV infiziert.

Berlin. Es war ein weiter Weg, mit vielen Rückschlägen – und das Ziel ist noch längst nicht erreicht. Doch im Kampf gegen das Hepatitis-C-Virus sehen Forscher Licht am Ende des Tunnels – fast ein Vierteljahrhundert nach der Entdeckung des Erregers. Die Therapie entwickle sich in einem rasanten Tempo, berichteten die Mediziner Michael Manns und Thomas von Hahn von der Medizinischen Hochschule Hannover kürzlich im Fachjournal „Nature Reviews“. Insgesamt sehe die Zukunft gut aus für Menschen mit einer chronischen HCV-Infektion.

Weltweit sind laut der Weltgesundheitsorganisation rund 150 Millionen Menschen mit HCV infiziert. In Deutschland gehen viele Experten von rund 500.000 Infizierten aus. Die Erkrankung Hepatitis C, die Leberzirrhose und Leberkrebs verursachen kann, ist hierzulande der häufigste Grund für Lebertransplantationen.

Nun, nach Jahrzehnten in denen Ärzte Patienten nur wenige Therapieoptionen anbieten konnten, stünden mehrere Medikamente vor der Zulassung, die speziell auf das das HC-Virus zugeschnitten seien, schreiben die beiden Ärzte aus Hannover. Zudem könnten viele Patienten bald auf den problematischen Stoff Interferon verzichten, der bisher die Grundlage der Therapie bildet. Um die Euphorie zu verstehen, muss man wissen, wie zäh der Kampf gegen das Virus verlief.

Ende der 1970er-Jahre sehen sich Ärzte erstmals mit einem bis dato unbekannten Erreger konfrontiert. Dieser verursacht mit einer Entzündung der Leber ähnliche Probleme wie die bereits bekannten Viren Hepatitis A und Hepatitis B. Schon früh geraten Blutkonserven als eine Quelle der Infektionen in Verdacht. Praktische Konsequenzen hat diese Erkenntnis allerdings nicht. Denn wie soll man Blutpräparate auf einen Erreger testen, den man noch gar nicht kennt?

Bei der Suche nach der Ursache der Erkrankung helfen traditionelle Methoden wie Mikroskopiertechniken nicht, jahrelang tappen Forscher im Dunkeln. Die Situation ändert sich erst in den 1980er-Jahren, als das Verfahren der Polymerase-Kettenreaktion es ermöglicht, selbst winzigste Erregerspuren aus Blutproben schier endlos zu vervielfältigen und damit aufzuspüren. 1989 weisen Forscher um den britischen Biochemiker Michael Houghton im Blutserum von Patienten ein Virus nach, dem sie den Namen „Hepatitis C“ geben. Der Nachweis des Erregers bietet nicht nur die Voraussetzung dafür, Patienten darauf zu testen. Seit Anfang der 1990er-Jahre können Labore nun auch Blutpräparate systematisch auf HCV prüfen – und damit einen wichtigen Übertragungsweg ausschließen.

Übertragen wird HCV über Blut – etwa Blutkonserven, Spritzbesteck bei intravenösem Drogengebrauch, mitunter auch über schlecht sterilisierte medizinische Instrumente und unter bestimmten Umständen beim Sex. Bei einem Teil der Infizierten heilt die akute Infektion spontan aus. Aber bei etwa 75 Prozent setzen sich die Erreger chronisch in den Leberzellen fest, ohne dass die Betroffenen viel davon bemerken. Besonders problematisch: Wenn – oft erst nach Jahrzehnten – größere Probleme auftreten, ist die Leber meist schon schwer geschädigt.

Kurioserweise ist es nicht das Virus selbst, das dem Organ zusetzt, sondern das Immunsystem, das die befallenen Zellen abtötet. „Die Entzündung ist sehr aktiv, trotz oft normaler Leberwerte“, erläutert Prof. Frank Schuppert vom Klinikum Kassel. „Im Lauf der Infektion wird immer mehr Lebergewebe durch Narbengewebe ersetzt.“ Diese Fibrosierung des Organs kann letztlich in eine Leberzirrhose münden. Diese kann zu Leberkrebs führen. Weltweit sterben laut der Weltgesundheitsorganisation jährlich 350.000 Menschen an der Infektion; in den USA übersteigt die jährliche Zahl der Todesopfer inzwischen sogar die Zahl der HIV-Toten.

Die Symptome der Infektion sind oft schwer zu interpretieren. „Nur die wenigsten Patienten sind gelb, viele haben nicht einmal erhöhte Leberwerte, und dann finde ich plötzlich eine Leberzirrhose unklarer Ursache“, schildert Prof. Schuppert seine klinische Erfahrung. Die meisten Patienten hätten auch keine Ahnung, woher sie das Virus haben, viele hätten nie eine Bluttransfusion bekommen. „Selbst bei akribischsten Untersuchungen weiß man oft nicht, wo sie sich angesteckt haben.“

Auch nach der Entdeckung des Virus verläuft die Suche nach neuen Therapien lange Zeit zäh. Ärzte können ihren Patienten bis Ende der 1990er-Jahre nur den Stoff Interferon anbieten, der das Immunsystem stimuliert. Dann kommt der Zufall zu Hilfe: Mediziner kombinieren Interferon mit Ribavirin – und steigern damit die Heilungsrate auf etwa 25 Prozent. Auch wenn Ärzte bis heute rätseln, worauf der Erfolg von Ribavirin beruht, zählt der Stoff seitdem fest zum – derzeit noch überschaubaren – Arzneimittelarsenal gegen HCV.

Ein Durchbruch für die Therapieforschung kommt ebenfalls Ende der 1990er Jahre: Bis dahin ließ sich der Erreger kaum in Zellkulturen züchten – eine wichtige Voraussetzung, um Medikamente zu entwickeln und zu prüfen. Das ändert sich 1999, als ein Team um den Heidelberger Forscher Ralf Bartenschlager ein Verfahren findet, Virussequenzen im Labor zu vermehren. Nun lassen sich Medikamente testen.

2003 erproben Forscher den ersten spezifischen HCV-Wirkstoff am Menschen, den Proteasehemmer BILN 2061. Das Mittel blockiert das Enzym Protease, mit dem der Erreger seine Eiweißmoleküle in Einzelbausteine zerschneidet. In einer Studie senkt der Wirkstoff die Viruslast bei Patienten schon binnen 48 Stunden enorm. Letztlich scheitert er jedoch an seinen Nebenwirkungen. 2011 kommen mit Boceprevir und Telaprevir die ersten Proteasehemmer auf den Markt: Jedes der beiden Präparate steigert in Verbindung mit Interferon und Ribavirin die Heilungsrate beim besonders hartnäckigen Genotyp 1 auf etwa 75 Prozent.

Von den neuen Präparaten, die nun vor der Zulassung stehen, sollen möglichst alle Patienten profitieren. Im Mai veröffentlichte das „New England Journal of Medicine“ zwei Zulassungsstudien mit dem Wirkstoff Sofosbuvir. Der Polymerase-Hemmer blockiert das gleichnamige Enzym, das das Virusgenom kopiert und somit für die Vermehrung wichtig ist. In Verbindung mit Interferon und Ribavirin steigerte er die Heilungsrate beim Genotyp I auf etwa 90 Prozent. Mit ein bis zwei Prozent brach nur eine geringe Zahl der Patienten die Therapie ab. Zu den Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Müdigkeit, Kopfschmerzen und Schlafstörungen.

Sollte der Wirkstoff, wovon Forscher ausgehen, bis Anfang 2014 zugelassen werden, könnte er Patienten mit den HCV-Genotypen 2 und 3 die erste Interferon-freie und damit ausschließlich orale Therapie bieten. Denn Interferon, das unter die Haut gespritzt wird, macht Patienten viele Probleme – von Grippegefühlen über Fieber und Muskelschmerzen bis hin zu Depressionen.

Hauptproblem der gegenwärtigen Dreifachtherapie ist aber oft die Anämie – denn diese Blutarmut zählt sowieso schon zu den Symptomen der Leberschädigung. „Wer eine schwere Leberkrankheit hat, verträgt Interferon nicht“, sagt Thomas von Hahn von der Medizinischen Hochschule Hannover. In der Studie heilte die Interferon-freie Therapie 78 Prozent der Patienten mit den HCV Genotypen 2 und 3.

In der nahen Zukunft dürften zusätzliche Präparate aus weiteren Wirkstoffklassen hinzukommen. Hahn rechnet in den kommenden fünf Jahren mit fünf bis zehn neuen Arzneien. „Das bietet uns noch mehr Kombinationsmöglichkeiten“, sagt der Experte.

Allerdings bergen die vielen Optionen eine neue Herausforderung. Denn Arzneimittelhersteller könnten bei ihren Studien zu den besten Kombinationen die eigenen Präparate bevorzugen. „Pharmaunternehmen werden wahrscheinlich Kombinationen ihrer eigenen Wirkstoffe vorziehen, anstatt mit ihren Konkurrenzfirmen zusammenzuarbeiten und die jeweils besten Moleküle zum Nutzen der Patienten zu kombinieren“, sagt Hahn. Die Aufgabe, für jeden Patienten eine vielversprechende Therapie zu finden, müssten Ärzte dann wohl in Eigenregie übernehmen.