Immer mehr Kinder schlucken Medikamente gegen seelische Störungen, so die Barmer GEK. Krankenkassen-Vize spricht von „riskanter Multimedikation“ und fordert eine bessere Vernetzung im Gesundheitswesen.Bei Kindern ab vier Jahren ist die Verordnungszahl von Antipsychotika gestiegen

Berlin. Kinder und Jugendliche schlucken immer mehr Antipsychotika. Das gilt zumindest für Versicherte der Barmer GEK. Von 2005 bis 2012 stieg die Verschreibung dieser Medikamente gegen psychische Störungen um 41 Prozent, verursacht vor allem durch neuere Präparate, die ein Plus von 129 Prozent verzeichneten. Das geht aus dem neuen Arzneimittelreport der Barmer GEK hervor, für den Daten ihrer Versicherten ausgewertet wurden.

Bei Kleinkindern bis vier Jahren verschreiben Ärzte kaum noch Antipsychotika. Bei allen anderen sind die Verordnungszahlen gestiegen, am stärksten bei den Zehn- bis 14-Jährigen. „Eine medizinische Erklärung dafür lässt sich nicht direkt herleiten“, sagte der Bremer Wissenschaftler Gerd Glaeske vom Autorenteam, das den Report erstellt hat. Weder zeigten Studien einen Anstieg psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen, noch hätten sich die Therapieempfehlungen geändert. Antipsychotika hätten zum Teil gravierende Nebenwirkungen.

Auch bei alten Menschen ist der Verbrauch von Medikamenten hoch. Jeder dritte Barmer-Versicherte über 65 Jahre schluckt mehr als fünf Arzneimittelwirkstoffe am Tag. Im Durchschnitt nehmen Männer über 65 Jahre täglich 7,3 Wirkstoffe ein, bei Frauen sind es 7,2. „Darunter leidet vor allem auch die Therapietreue“, sagte Glaeske.

Barmer-Vizechef Rolf-Ulrich Schlenker forderte mit Blick auf die „riskante Multimedikation“ eine bessere Vernetzung im Gesundheitswesen. „Hätten wir die elektronische Gesundheitskarte, das elektronische Rezept und die elektronische Patientenakte, hätten behandelnde Ärzte und auch Apotheker einen viel besseren Überblick über die Arzneimitteltherapie.“

Kritisch sehen die Autoren um Glaeske auch den Einsatz von Benzodiazepinen (Beruhigungs- und Schlafmitteln) bei Menschen mit Demenzerkrankung. Die Wahrscheinlichkeit bei ihnen, diese Medikamente verordnet zu bekommen, sei um das 1,5-Fache erhöht. Mit dem Wirkstoff verbunden sei ein Verlust kognitiver Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Erinnerung und Lernen. „Ohne Zweifel sind viele ältere Menschen von benzodiazepinhaltigen Arzneimitteln abhängig“, sagt Glaeske. „Sie bekommen sie vermutlich oft nur, um quälende Entzugssymptome zu vermeiden.“ Denkbar sei aber, dass sich nach vielen Jahren der Abhängigkeit eher eine Demenz entwickle als bei Menschen, die deutlich seltener solche Mittel einnähmen.