Zu Ehren des Chemikers und Physikers Otto Stern, der von 1923 bis 1933 in Hamburg forschte, richtet die Uni am 22. und 23. Mai ein Symposium aus. Spitzenforscher werden die Bedeutung seines Werks erläutern. Die Vorträge sind kostenlos.

Atomuhr, Kernspintomograf, Laser – die Technik für diese bahnbrechenden Erfindungen des 20. Jahrhunderts hätten Physiker und Ingenieure wohl nicht entwickelt ohne die Erkenntnisse eines großen Wissenschaftlers: Otto Stern. Der Pionier der Atom- und Kernphysik forschte von 1923 bis 1933 in Hamburg; hier gelang es ihm, erstmals die magnetischen Momente von Atomkernen zu messen – eine Leistung, für die er nach seiner Emigration in die USA den Physik-Nobelpreis erhielt.

Zu Ehren von Otto Stern wird die Akademie der Wissenschaften in Hamburg zusammen mit der Universität vom 22. bis 23. Mai ein Symposium ausrichten, zu dem acht Nobelpreisträger erwartet werden. Sie sollen in überwiegend auf Deutsch gehaltenen, an ein breites Publikum gerichteten Vorträgen die Bedeutung von Sterns Forschungen für eine Vielzahl von Disziplinen erläutern, von der Chemie über die Medizin bis hin zur Strukturbiologie.

„Ein Treffen so vieler Nobelpreisträger hat es in Hamburg noch nie gegeben“, sagt Prof. Roland Wiesendanger vom Institut für Angewandte Physik, der vor zwei Jahren die Idee für das Symposium hatte. Seitdem haben sich neben ihm vier weitere Professoren und viele Helfer der Universität Hamburg um die Organisation gekümmert. Für die kostenlosen Vorträge stehen nun drei Hörsäle mit insgesamt etwa 800 Plätzen bereit; in zwei Sälen ist eine Videoübertragung eingerichtet worden.

Nach der Eröffnung am Mittwochmorgen soll zunächst Alan Templeton, der Großneffe von Otto Stern, von seinem berühmten Großonkel berichten. Eigens aus Kalifornien anreisend, wird er zusammen mit seiner Schwester Diana Templeton-Killen zum ersten Mal die Hansestadt besuchen. Um 11 Uhr soll das wissenschaftliche Programm beginnen, das am Donnerstagmittag mit einem Vortrag endet, der sich mit der heutigen Forschung an der Jungiusstraße 9 beschäftigen wird. Das historische Gebäude, das Otto Stern damals dort als Institutsdirektor bauen ließ, wurde 2003 aufwendig renoviert.

Otto Stern arbeitete mit Koryphäen wie Albert Einstein zusammen

Wie es gelang, acht Nobelpreisträger für Vorträge nach Hamburg zu bringen? Natürlich habe der große Name von Otto Stern eine Rolle gespielt, erzählt Organisator Roland Wiesendanger. Auch die Idee, mit den Vorträgen ein breites Publikum anzusprechen und die Bedeutung von Wissenschaft für die Gesellschaft zu zeigen, habe den Nobelpreisträgern gefallen. Und nicht zuletzt hätten auch persönliche Kontakte zu den Zusagen beigetragen.

Um die Bedeutung von Otto Sterns Werk zu verstehen, muss man sich vor Augen halten, was die Physik heute weiß und ganz selbstverständlich erscheint. Die Welt, die wir kennen, setzt sich aus Atomen zusammen, Teilchen, die zehn Millionen Mal kleiner sind als ein Millimeter. Ein Atom besteht aus einer Hülle mit negativ geladenen Elektronen und einem Kern mit positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen. Protonen und Neutronen wiederum sind aus Quarks aufgebaut. Letztere sind Elementarteilchen, ebenso wie die Elektronen, also Partikel, die keine innere Struktur haben.

Das Maß für die magnetischen Kräfte eines Teilchens beschreiben Physiker als magnetisches Moment. Das Wissen um diese Kräfte bei Atomkernen wie den Protonen spielt heute eine wichtige Rolle etwa bei der Magnetresonanztomografie. Denn bei dieser auch Kernspin genannten Technik regt ein starkes Magnetfeld im Körper Wasserstoffprotonen an, deren Bewegungen sich auf Schnittbildern abbilden lassen. Man sieht dann etwa den Quer- oder Längsschnitt eines Kniegelenks. Bis in die 1920er-Jahre hinein herrschten allerdings ganz andere Vorstellungen vom magnetischen Moment des Protons: Physiker nahmen an, es sei ein Elementarteilchen und habe keine innere Struktur. Dann kam Otto Stern.

Geboren 1888 in Sohrau (Schlesien), studierte er in Breslau, Freiburg und München physikalische Chemie. Nach seiner Promotion im Frühjahr 1912 wurde er in Prag Mitarbeiter von Albert Einstein, dem er im selben Jahr nach Zürich folgte. Als Einstein nach Berlin wechselte, ging Otto Stern 1914 als Privatdozent an die noch junge Universität Frankfurt zum Nobelpreisträger Max von Laue. Dort wandte er sich zunehmend der Experimentalphysik zu. Die besondere Klasse des jungen Forschers fiel auf. Der spätere Institutsleiter Max Born (auch er erhielt später den Physik-Nobelpreis) erinnert sich in seinen Memoiren: „Ich hatte das Glück, in Otto Stern einen Privatdozenten von höchster Qualität zu finden.“

Als Sterns Partner fungierte in Frankfurt allerdings ein anderer Physiker: Walter Gerlach. Gemeinsam mit ihm entwickelte Stern die Molekularstrahlmethode, mit der sich später die inneren Eigenschaften von Atomen messen lassen sollten. Für ihre Experimente bestrichen die beiden Forscher einen Platindraht mit Silberpaste und erhitzten ihn, bis das Silber verdampfte. Den so erzeugten Dampfstrahl aus Atomen leiteten sie durch ein konstantes Magnetfeld in einem Vakuum. Hätten sie Luft eingesetzt, wären die Atome mit Sauerstoffmolekülen und Stickstoff kollidiert; so aber standen die Silberatome – genauer ihre magnetischen Kräfte – nur in Wechselwirkung mit dem Magnetfeld. Dadurch wurden die Atome abgelenkt. Anhand ihrer Positionen auf einer Auffangplatte ließ sich ihre Flugbahn nachvollziehen, die von eben jener Wechselwirkung zwischen dem Magnetfeld und den magnetischen Momenten der Atome bestimmt worden war. Und die Art der Wechselwirkung gab schließlich Auskunft über die Werte der magnetischen Momente der Atome.

Etwa 20 Nobelpreise in Physik und Chemie beruhten auf der Molekularstrahlmethode, heißt es in einer Würdigung von Otto Sterns Werk, die 2012 im „Physik Journal“ erschien. Insofern erscheint es nur folgerichtig, dass Stern für seinen Beitrag zu dieser Methode selbst den Nobelpreis erhielt. Ausschlaggebend für die Auszeichnung waren aber wohl erst jene Erkenntnisse, die er mithilfe der Methode während seiner Zeit in Hamburg gewann. Der Wert, den er hier für das magnetische Moment des Protons ermittelte, wich nämlich erheblich ab von der Größe, die der Physiker Paul Dirac berechnet hatte und die damals allgemein anerkannt war. Damit wies Stern nicht nur nach, dass das Proton eben doch kein Elementarteilchen ist und sehr wohl eine innere Struktur hat, sondern er begründete nach Meinung vieler im Grunde erst die Kernphysik.

Wie sein damaliger Assistent Otto Robert Frisch später erzählte, bereitete Stern seine Experimente zwar penibel vor und achtete auf höchste Präzision. Das hieß allerdings nicht, dass er immer alles im Griff hatte. Wenn der Versuchsaufbau umzukippen drohte, hob der Professor „beide Arme in die Höhe, so wie einer, der sich ergibt“, erzählte Frisch. Stern habe ihm erklärt: „Der Schaden ist kleiner, wenn man das Ding fallen lässt, als wenn man es aufzufangen versucht.“ Dennoch sei Stern ein „großartiger Experimentator“ gewesen.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 musste seine Hamburger Forschungsgruppe ihre Arbeit einstellen – Stern und die meisten seiner Mitarbeiter waren Juden. Er emigrierte in die USA, wo er eine Professur am Carnegie Institut of Technology in Pittsburgh annahm. 1944 erhielt er den Nobelpreis rückwirkend für das Jahr 1943.

Mit Deutschland hatte er zwar für immer gebrochen, nicht aber mit seinen deutschen Freunden. Direkt nach Kriegsende habe Otto Stern unter anderem Max von Laue oft Care-Pakete zukommen lassen, schreiben die Physiker Horst Schmidt-Böcking und Wolfgang Trage im „Physik Journal“. Briefe zeugten von dem Versuch von Laues, Stern wieder stärker an die deutschen Physiker zu binden, doch dies gelang nicht. 1969 starb Otto Stern in Berkeley an einem Herzinfarkt.

An der Universität Hamburg halten sie das Andenken an den großen Wissenschaftler hoch. Forschte Otto Stern noch an Ensembles von Atomen, beschäftigen sich die Physiker an der Jungiusstraße 9 heute mit einzelnen Atomen, die sie mit einem speziellen Rastertunnelmikroskop manipulieren. Das Gerät hat keine Linsen und braucht kein Licht, sondern es ertastet die Oberfläche der winzigen Partikel mit einer extrem feinen Spitze. Dabei arbeiten die Forscher allerdings nicht mit Protonen, sondern sie nutzen das auch „Spin“ genannte magnetische Moment von Elektronen. Mithilfe dieser Eigenschaft lassen sich sehr wenige, womöglich sogar einzelne Atome als Datenspeicher nutzen.

Zuletzt gelang es einem Team um Roland Wiesendanger, auf fünf Eisenatomen ein Bit zu speichern, die Grundeinheit der Information. Herkömmliche Festplatten nutzen eine Million Atome für ein Bit. Noch hat die Sache einen Haken: Die Speicherung funktioniert nur in einem Vakuum bei minus 273 bis 268 Grad – und nur für wenige Stunden. Dann wird die Information gelöscht. Bis die Speicherung bei Raumtemperatur funktioniert und marktreif ist, könnten zehn bis 20 Jahre vergehen.

Das ganze Programm für das Symposium steht im Internet: www.awhamburg.de/veranstaltungenDort oder unter der Rufnummer 429486690 ist auch die Anmeldung möglich, um die gebeten wird. Adresse: Jungiusstraße 9, 20355 Hamburg