Vor zwei Jahren wurde der Lebensmittelkeim zur lebensbedrohlichen Gefahr. Viele Betroffene haben noch heute Probleme. Neue Untersuchung am UKE.

Hamburg/Berlin. Die schrecklichen Erinnerungen an ihre EHEC-Erkrankung lassen die Hamburgerin Monika Pankowska auch zwei Jahre danach nicht los. „Die Bilder gehen einfach nicht weg“, sagt die 34-Jährige. Bauchkrämpfe, akutes Nierenversagen, kiloschwere Wassereinlagerungen, neurologische Störungen – drei Wochen lang wurde die Gastronomin im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) behandelt, weil bei ihr die schwere EHEC-Verlaufsform hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) diagnostiziert wurde. „Mir geht es inzwischen wieder gut“, sagt die Frau. Doch ab und zu spüre sie noch Spätfolgen.

Im Frühsommer 2011 wurde eine neue Form des aggressiven Lebensmittelkeims EHEC zur lebensbedrohlichen Gefahr – vor allem in den nördlichen Bundesländern. 53 Menschen starben bei der größten deutschen EHEC-Epidemie, 3800 erkrankten. Der Ausbruch begann Anfang Mai in Friesland. Über die Ursache wurde lange gerätselt; inzwischen gelten aus Ägypten importierte Bockshornklee-Samen als Quelle für die Infektionen.

Wie viele Menschen bundesweit heute noch Nachwirkungen von EHEC spüren, lässt sich nach Aussagen des Robert-Koch-Instituts (RKI) noch nicht beziffern, weil die entsprechenden Untersuchungen an den Kliniken andauern. Auch das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) beteiligt sich daran. Mitte Mai will es neue Daten seiner Patienten erheben. Es sollen möglichst alle ehemaligen HUS-Patienten zur Nachuntersuchung kommen; 120 werden erwartet. „Wir schauen nach: Haben die Patienten Bluthochdruck? Wie ist ihre Nierenfunktion? Gibt es noch auffällige Veränderungen an den Blutwerten?“, berichtet Nierenspezialist Prof. Rolf Stahl.

Denn über die richtige Behandlungsmethode des damals grassierenden neuen Erregertyps O104:H4 herrschte an den Kliniken große Unsicherheit. Zudem betrafen EHEC-Infektionen früher vorwiegend Kinder, 2011 waren dagegen meist gesunde Erwachsene betroffen. Neben der Plasmapherese, dem Austausch von Blutplasma, wurde auch eine neue Antikörpertherapie ausprobiert.

Zuletzt wurden die Patientendaten im UKE vor einem Jahr ausgewertet. 15 Prozent der früheren HUS-Kranken litten unter Folgen wie Bluthochdruck, eingeschränkter Nierenfunktion sowie Konzentrationsstörungen. „Es gab aber deutliche Besserungstendenzen“, berichtet Rolf Stahl. Ob das so geblieben ist oder ob lebenslange Schäden zu befürchten sind, ist noch offen. „Wir werden jetzt sehen, wie es nach zwei Jahren aussieht.“

Es sei beispielsweise möglich, dass ehemalige HUS-Patienten Bluthochdruck entwickelt haben, die vor einem Jahr noch keine Anzeichen dafür hatten. Ihnen müsse dann mit Medikamenten geholfen werden. Stahl ist nicht sicher, ob alle eingeladenen Patienten kommen werden: „Manche wollen nichts mehr damit zu tun haben und sprechen nicht gern über ihre Erinnerungen an die Krankheit.“

Nach Angaben seines Kollegen Prof. Jan Kielstein, Nierenspezialist an der Medizinischen Hochschule Hannover, leiden derzeit weit weniger ehemalige HUS-Kranke an Spätfolgen als erwartet. „Deutlich über 90 Prozent spüren nichts mehr“, sagt er. Jedoch könnten sich Langzeitfolgen auch erst nach einigen Jahren bemerkbar machen.

2011 war bislang das Spitzenjahr der gemeldeten EHEC-Erkrankungen in Deutschland. 2012 gab es mit 1531 ebenfalls eine auffallend hohe Zahl an Erkrankungen – zwischen 2001 und 2010 lag der mittlere Wert noch bei 934. „Wir erklären uns die Vorjahreszahl mit besserer diagnostischer Aufmerksamkeit vor allem bei Erwachsenen“, sagt RKI-Experte Klaus Stark. Die HUS-Meldezahlen lagen 2012 dagegen mit 69 Fällen im üblichen Bereich. Seit dem letzten definitiven Labornachweis des O104:H4-Ausbruchsstamms im Oktober 2011 wurden noch mehrere EHEC-Todesfälle gemeldet – doch die gab es auch in der Vergangenheit.

Zwei Jahre nach der EHEC-Epidemie ist für Stark klar: „Wir müssen künftig verstärkt mit überregionaler und globaler Ausbreitung von Erregern rechnen, die durch Lebensmittel übertragen werden.“ Es sei auch ein weiteres Szenario möglich: „Durch den Austausch und die Kombination von Eigenschaften von ursprünglich zwei Erregern könnte sich ein besonders gefährlicher neuer Erreger bilden, ein Hybrid, wie es beim EHEC O104-Ausbruch der Fall war. Davor ist man auch in Zukunft nicht gefeit“, sagt Stark. Im Fall einer neuen EHEC-Welle sollte zumindest die Meldekette schneller funktionieren: Seit Ende März darf es laut Gesetz höchstens drei Werktage dauern, bis ein Fall von der Arztpraxis oder dem Labor via Gesundheitsamt und Landesbehörde das RKI erreicht.

Patientin Monika Pankowska macht es bis heute zu schaffen, dass sie bei der EHEC-Epidemie 2011 innerhalb weniger Stunden von einem gesunden, jungen Menschen zu einer Schwerkranken wurde. Sie hat Angst, ihr könnte so etwas wieder passieren. Als sie an HUS litt, konnte sie nicht mehr richtig sprechen und rechnen. „Manchmal bin ich mir immer noch mit Zahlen unsicher, das ist hängen geblieben“, sagt sie. Doch sie hat Hoffnung: „Vielleicht geht das auch wieder weg.“