Der Gletschermann infizierte sich vor 5400 Jahren mit Borreliose-Bakterien. Experten tagen zu diesem Thema derzeit in Hamburg.

Hamburg. Die Borreliose ist keine Krankheit der Neuzeit. Schon Ötzi, die 5400 Jahre alte Mumie des Mannes aus dem Eis, war mit dem Erreger dieser Infektionskrankheit infiziert. Das haben Untersuchungen ergeben, die Privatdozent Dr. Carsten Pusch, Humangenetiker an der Universität Tübingen, mit seiner Arbeitsgruppe durchgeführt hat. Sie benutzten dafür eine moderne Methode der DNA-Sequenzierung, die es ermöglicht, das gesamte Genom zu entschlüsseln, das in einer Probe enthalten ist.

Bei der Analyse des Erbguts von Ötzi stießen die Wissenschaftler auf eine Fülle von unterschiedlicher DNA. "Wir haben mehrere Milliarden DNA-Schnipsel gefunden und diese über verschiedene Datenbanken charakterisieren lassen. Daraus lässt sich ablesen, wie viel Erbgut von welchen Arten in der Probe enthalten ist", sagt Pusch. Ein winziges Schnipsel von dem entdeckten bakteriellen Erbgut - 0,16 Prozent - stammte von Bakterien der Gattung Borrelia burgdorferi, dem Erreger der Lyme-Borreliose. "Das ist der Beweis, dass Ötzi mit dem Borreliose-Erreger infiziert war", sagt Pusch.

Diese neue Methode der DNA-Sequenzierung, die derartige metagenomische Analysen ermöglicht, ist aufwendig und teuer - und sie erfordert eine Menge an Geduld und Akribie. "Es dauert im günstigsten Fall etwa zwei bis vier Wochen, bis die Auswertung abgeschlossen ist. Für die Auswertung von alten Proben haben wir auch schon ein Dreivierteljahr gebraucht", sagt Pusch, der mit seiner Arbeitsgruppe schon viele jahrtausendealte Mumien untersucht hat.

Als Metagenom bezeichnet man die gesamte Erbinformation, die in einer untersuchten Probe enthalten ist. Bei der Analyse erhält man zum Beispiel nicht nur Informationen über ein Bakterium, sondern über alle Mikroorganismen, die darin vorkommen.

Die Ergebnisse der neuen Sequenzierungsmethoden seien viel genauer und detaillierter als herkömmliche DNA-Analysen, die in den vergangenen zehn bis 15 Jahren benutzt wurden und immer nur punktuelle Analyse von Abschnitten des Erbguts erlauben. "Die herkömmlichen Methoden sind auch weiterhin von Nutzen, aber wenn man das gesamte Genom entschlüsseln will, ist die erst kürzlich entwickelte Form der Sequenzierung die einzige Methode", sagt Pusch.

Die modernen Untersuchungsverfahren wird der Humangenetiker auf der Tagung der Deutschen Borreliose-Gesellschaft vorstellen, die vom heutigen Freitag bis zum 14. April in Hamburg stattfindet - rechtzeitig zu Beginn der Zeckensaison. Denn wenn im Frühling die Natur zu neuem Leben erwacht, werden auch die kleinen Blutsauger wieder aktiv. Mittlerweile sind sie fast überall anzutreffen, nicht nur in den Wäldern, sondern auch in den Parks der Städte, auf Wiesen und in den Gärten.

Zecken sind vor allem deshalb so gefürchtet, weil sie mit ihrem Stich in die Haut Krankheiten übertragen. Dazu zählen - vor allem im Süden Deutschlands - Viren, die die gefährliche Gehirnentzündung FSME auslösen. Am häufigsten aber übertragen sie (überall in Deutschland) Borrelien - große, schraubenförmige Bakterien. Nach Schätzungen der Deutschen Borreliose-Gesellschaft geschieht dies etwa 100.000-mal im Jahr.

Typisches Zeichen einer solchen Infektion ist eine Hautrötung, die sich rund um die Einstichstelle ausbreitet und auch als "Wanderröte" bezeichnet wird. Doch in vielen Fällen verläuft die Infektion völlig ohne Symptome. Heilt sie nicht von selber aus, kann sie noch Jahre später zahlreiche Beschwerden verursachen. So können Gelenke, Haut, das periphere und das zentrale Nervensystem, Knochen, Muskeln, Augen und das Herz-Kreislauf-System betroffen sein.

Häufig sind die Beschwerden so diffus, dass die Ursache lange im Dunkeln bleibt. Denn wer denkt schon daran, dass ein Zeckenstich, der Jahre zurückliegt, dahintersteckt. Erst eine Blutuntersuchung bringt dann Klarheit. Denn im Blut sind nach einer Infektion Antikörper gegen die Bakterien nachweisbar. Behandelt wird die Erkrankung in der Regel mit Antibiotika. Eine Impfung gegen Borreliose gibt es nicht.

Welche Auswirkungen die Infektion bei dem Mann aus dem Eis hatte, ist nicht bekannt. Die Borrelien haben die Wissenschaftler, die auch andere Mumien und Skelettüberreste untersuchten, nur bei Ötzi gefunden. Doch die neuen DNA-Analysen bieten bisher ungeahnte Einblicke in die Geschichte der Infektionskrankheiten. So fanden die Tübinger Forscher damit bei etwa 2500 Jahre alten ägyptischen Mumien erstmals einen anderen Erreger, der auch heute noch vorkommt. Es handelt sich dabei um Toxoplasma gondii, den Erreger der Toxoplasmose. Diese Infektion wird von Katzen übertragen und kann vor allem für Schwangere und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem gefährlich werden. Bei anderen Mumien in bestimmten Regionen von Ägypten wurden Malaria und Tuberkulose nachgewiesen. In einigen Fällen konnten sogar beide Erkrankungen als Doppelinfektion in einem Individuum identifiziert werden.