Zwischen Gehorsam und Fresslust. Im Dunkeln leisten sich Hunde mehr verbotene Aktionen als bei guter Beleuchtung, fanden Forscher heraus.

Portsmouth/Leipzig. Die Entscheidung ist nicht einfach. Das Futter sieht verlockend aus und riecht auch gut. Aber da ist dieser Mensch, der einem gerade mit strenger Stimme verboten hat, es zu fressen. Was nun? Viele Hunde sind in so einer Situation hin- und hergerissen zwischen Gehorsam und Fresslust. Was schließlich siegt, hängt stark von den Umständen ab. Offenbar sind sich die Tiere dabei durchaus darüber im Klaren, ob es für ihre Untaten Zeugen gibt. Im Dunklen lassen sie sich jedenfalls viel häufiger zu Diebstählen hinreißen als bei guten Lichtverhältnissen. Dieser Form von tierischer Raffinesse sind Juliane Kaminski von der Universität im britischen Portsmouth und ihre Kollegen vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig auf die Spur gekommen. Im Fachjournal "Animal Cognition" berichten sie über eine Reihe von Experimenten zur Überführung vierbeiniger Diebe.

Die Kandidaten dafür wurden nach drei Kriterien ausgesucht: Die Tiere mussten die im Versuch verwendeten Kommandos verstehen und sich auch ohne ihre Besitzer im Dunkeln wohlfühlen. Und sie mussten sich für Futter interessieren. "Das ist nicht bei allen Hunden gleichermaßen der Fall", sagt Kaminski. 42 Hündinnen und 42 Rüden verschiedener Rassen haben schließlich an den Tests teilgenommen.

Sie alle standen vor der gleichen Situation: Auf dem Boden lag ein Leckerbissen, die Versuchsleiterin sprach ein Fressverbot aus und zog sich dann ein paar Meter zurück. Die Lichtverhältnisse allerdings variierten von Versuch zu Versuch. Mal war der ganze Raum erleuchtet, dann wieder nur das Futter oder nur die Versuchsleiterin. Und manchmal herrschte totale Finsternis. Diese Unterschiede spielen aus Hundesicht offenbar eine große Rolle. Bei völliger Dunkelheit registrierten die Forscher nicht nur viermal so viele Futterdiebstähle wie im Hellen. Die Tiere zögerten auch kaum, bevor sie zuschlugen. "Das ist unglaublich", begeistert sich Juliane Kaminski. "Möglicherweise wissen die Hunde, dass der Mensch sie dann nicht sehen kann."

Bei früheren Versuchen haben Verhaltensforscher bereits festgestellt, dass Hunde die Aufmerksamkeit ihrer Bezugspersonen sehr gut einschätzen können. So stehlen sie weniger Futter, wenn ein Mensch sie anschaut, als wenn er ihnen den Rücken zudreht oder die Augen schließt. Dazu müssen sie allerdings nicht unbedingt verstehen, was ihr Gegenüber sieht. Sie könnten auch einfach nach der Devise handeln: "Wenn du die Augen eines Menschen siehst, halt dich zurück!"

So einfach haben es sich die Tiere in den neuen Experimenten aber nicht gemacht. Das zeigen die Versuchsdurchgänge, in denen nur ein Teil des Raumes beleuchtet war. Ob die Versuchsleiterin im Licht saß oder nicht, war den Hunden dabei weitgehend egal. Der bloße Anblick eines Menschen hält sie offenbar nicht vom Stehlen ab. War die Lampe dagegen auf das Futter gerichtet, zögerten sie länger oder ließen gleich ganz die Schnauze davon. Allerdings nur, solange die Leiterin anwesend war. Verließ sie den Raum, fraßen die meisten Kandidaten das beleuchtete Futter sogar schneller als das im Dunkeln liegende. Hunde scheinen also tatsächlich zu verstehen, ob der Mensch den Leckerbissen und damit auch den potenziellen Dieb im Blick hat oder nicht. Sie können die Welt also aus der Perspektive eines anderen betrachten. Das ist eine beachtliche geistige Leistung.

Es gibt allerdings noch einige andere Arten, die dazu in der Lage sind. Dazu gehören neben den Schimpansen auch die Westlichen Buschhäher. Wenn sich diese nordamerikanischen Rabenvögel von der Konkurrenz beobachtet fühlen, verstecken sie ihr Futter lieber an schummrigen statt an hell erleuchteten Plätzen. Ist dagegen kein Artgenosse anwesend, sind ihnen die Lichtverhältnisse egal. Die Talente von Rabenvögeln und Schimpansen reichen sogar noch weiter: Neben der aktuellen Lage berücksichtigen sie bei ihren Entscheidungen auch das, was ihr Gegenüber in der Vergangenheit gesehen hat. Damit aber scheinen Hunde dann doch überfordert zu sein.