Report “World Ocean Review“ zeigt Auswirkungen der globalen Fangmengen und Lösungsansätze für einen pfleglichen Umgang mit der Meeresumwelt

Hamburg. Weltweit ein Viertel aller Speisefischbestände sind übernutzt, weitere 30 Prozent stehen an der Schwelle zur Überfischung. Die Fischerei setzt nicht nur die sogenannten Zielarten unter Druck: Wenn eine Spezies dezimiert wird, so hat das Einfluss auf die gesamte Lebensgemeinschaft des Meeresgebietes. Den Stand des Wissens zur Situation der Bestände, zum komplexen Zusammenhang zwischen der Nutzung der Fischressourcen und den marinen Ökosystemen sowie Erkenntnisse zur illegalen Fischerei fasst der zweite "World Ocean Review" (WOR 2) zusammen, der am Donnerstag in Hamburg präsentiert wurde. Gleichzeitig weist der Bericht den Weg zu einem nachhaltigen Fischfang.

"Wir beschreiben mit dem Report nicht nur die aktuellen Probleme der Fischerei, sondern liefern auch Lösungsansätze" sagte Nikolaus Gelpke, Geschäftsführer der gemeinnützigen maribus gGmbH, die den 148-seitigen Bericht herausgab. Die wissenschaftlichen Inhalte lieferte vor allem das Kieler Exzellenzcluster "Ozean der Zukunft", ein Bündnis von mehr als 250 Forschern aus mehreren Institutionen, die in der Fördestadt zum Thema Klima- und Ozeanwandel arbeiten. "Wir müssen die Ozeane verstehen, um Szenarien für 50 oder 100 Jahre entwerfen zu können", sagte Prof. Martin Visbeck vom Geomar Helmholtz-Zentrum, Sprecher des Verbunds. "Der WOR gibt uns die Chance, unsere Ergebnisse für alle verständlich mitzuteilen."

Wie komplex die Auswirkungen der Fischerei auf die Meeresumwelt sein können, zeigten die Forscher unter anderem am Kabeljau: Der Raubfisch steht weit oben in der marinen Nahrungskette. Wird er tonnenweise herausgefischt, so profitieren seine Beutefische, etwa Lodde und Hering, davon. Ihre Bestände nehmen zum Teil sprunghaft zu. Die Arten fressen Zooplankton. Das ist aber auch die Nahrungsgrundlage der Kabeljaularven. So verstärkt die erhöhte Zahl der Beutefische den Druck auf den Kabeljau.

Die Fischerei beeinflusst sogar die Evolution einzelner Arten. Das zeigten Untersuchungen von Prof. Christian Möllmann vom Institut für Hydrobiologie und Fischereiwissenschaft der Uni Hamburg. "Durch den selektiven Fang von großen Tieren werden die Fische schneller geschlechtsreif. Sie sind dadurch noch kleiner und zeugen weniger Nachwuchs mit schlechterer Qualität", sagte Möllmann. Das trage dazu bei, dass sich dezimierte Fischbestände meist nicht so schnell erholen.

Solche "Sekundäreffekte" des Fischfangs blieben bislang unberücksichtigt, ergänzte Visbeck. "Unser Fischerei-Management betrachtet nur den Speisefisch. Dabei müsste es das Gesamtsystem im Blick haben."

Der WOR 2 kommt zur rechten Zeit: Anfang Februar beschloss das EU-Parlament eine Fischereireform, die Wissenschaftler und Umweltverbände als Durchbruch auf dem Weg zum nachhaltigen Fischfang feierten. Doch nun droht der Ministerrat das Gesetzeswerk zu verwässern. So wollen die Parlamentarier die Überfischung von EU-Gewässern bis zum Jahr 2015 stoppen, der Rat hält 2020 für ausreichend. "Wenn wir es in dieser Legislaturperiode nicht schaffen, unsere Fischerei nachhaltiger zu gestalten, dann schaffen wir es gar nicht mehr. Denn später sind die Bestände nämlich weg", sagte die SPD-Europaabgeordnete Ulrike Rodust, die für das Parlament mit dem Rat verhandelt.

"Wir wissen, dass man es besser machen kann, und das muss jetzt geschehen", sagte auch Möllmann. Zwar erholten sich dank strengerer Quoten einzelne EU-Bestände. "Doch viele andere haben ungesunde Altersstrukturen. Ihnen muss man die Zeit geben, damit der Anteil an größeren Fischen, die sich stärker vermehren, steigt." Wenn der Bestand wieder gesund sei, könnten die Fischer mehr fangen als heute, ohne dabei die Ressource zu übernutzen, so der Fischereibiologe.

Sein Kieler Kollege Martin Visbeck geht noch einen Schritt weiter: "Heute hat ein Fisch erst einen Wert, wenn er im Netz ist. Wenn auch die kostbare Ressource, die im Meer schwimmt, einen Wert bekommt, so könnte man in sie investieren. Anteilseigner von Fischbeständen hätten ein Interesse am Schutz der Ressource, etwa daran, die illegale Fischerei stärker zu bekämpfen. Der Fisch im Wasser hat einen großen Wert, der durch eine nicht nachhaltige Fischerei zerstört wird. Er könnte sich mit zehn, auch mit 100 Prozent verzinsen, wenn die Entnahmemenge stimmt."

Dieser ökonomische Ansatz gibt dem Begriff Fischmarkt eine ganz neue Wendung. Vorerst beschränkt sich der Fischhandel aber auf angelandete Ware, und die kommt aus aller Welt. Rund zwei Drittel der in der EU verspeisten Fische werden importiert. "Strengere EU-Quoten können dazu führen, dass mehr Fisch aus Ländern eingeführt wird, die nicht so weit sind wie wir", gab Visbeck zu bedenken. Doch das spreche erst recht für eine konsequente EU-Reform, so Visbeck: "Wir in Europa brauchen einen nachhaltigen Fischfang. Nur dann können wir von anderen Ländern wie China oder Russland fordern, ebenfalls nachhaltiger zu fischen."

Zum Weiterlesen: Die Inhalte des Berichtes sind im Internet unter www.worldoceanreview.com zu finden