Die weltgrößten Hirsche haben bei uns wieder eine kleine Population aufgebaut, nachdem 1746 der letzte deutsche Vertreter erschossen wurde.

Hamburg/Berlin. Der schwedische Elchtest könnte zukünftig auch auf deutschen Straßen relevant werden. Nachdem in mehreren Bundesländern mit Grenzen zu Polen oder Tschechien seit Jahren immer mal wieder einzelne Tiere aufgetaucht waren, hat sich in Brandenburg offenbar eine erste kleine Population gegründet. Naturschützer hoffen darauf, dass nach dem Wolf nun auch die weltgrößte Hirschart allmählich in Deutschland verlorenes Terrain zurückerobert - der letzte deutsche Elch wurde 1746 in Sachsen erlegt.

Es ist symptomatisch, dass die Einwanderer zu Verkehrsmeldungen werden: Im September 2009 stellte die hessische Polizei den bekanntesten Zuzügler, Knutschi, an der A 7 und brachte ihn in den nahe gelegenen Reinhardswald, wo er etwas später verendete. Er ist bislang der Elch, der am weitesten gen Westen vorgestoßen ist. Bei Passau tauchte vor Jahren ein Elchpaar auf. Der Bulle kollidierte mit einem Auto und musste schwer verletzt erschossen werden. 2012 wurde ein junger Elch auf Usedom gesichtet. Zudem meldeten bei Greifswald mehrere Autofahrer einen Elch, der dort den Autobahnzaun entlangwanderte. Und im September 2012 wurde ein Tier auf der A 10 bei Erkner östlich von Berlin von einem Pkw erfasst und getötet.

Die meisten Einwanderer kommen aus Polen nach Deutschland. Dort wurden Elche bis in die 1990er-Jahre bejagt. Seitdem die Büchsen ruhen, ist der Bestand von rund 2000 auf geschätzte 16.000 Tiere angewachsen. Auf der Suche nach neuem Lebensraum treibt es vereinzelte polnische Elche westwärts. Die Grenzflüsse Oder und Neiße sind für die guten Schwimmer kein großes Hindernis, im Winter laufen sie einfach über das Eis.

Die Großhirsche streifen vor allem durch Brandenburg. Seit 2010 registrierte die Forschungsstelle Wildökologie und Jagdwirtschaft (Eberswalde) 45 Sichtungen, wobei einzelne Tiere sicherlich mehrfach beobachtet wurden. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) freut sich über eine "Elch-Familie in Brandenburg", ebenso Dr. Andreas Kinser von der Deutschen Wildtierstiftung in Hamburg: "Es hat sich dort eine kleine selbstständige Population gebildet, die bereits Nachwuchs hatte", sagt der Wildbiologe. An allen anderen Orten seien dagegen vereinzelte "Wanderelche" zu sehen. Kinser kann sich vorstellen, dass die markanten Tiere, die ein Gewicht von 800 Kilogramm und eine Schulterhöhe von 2,30 Meter erreichen, eines Tages sogar vor den Toren Hamburgs stehen könnten. Kinser: "Wenn die Elche erst einmal Fuß gefasst haben, dann geht es weiter. So läuft es derzeit bei den Wölfen. Sie zeigen, dass die Ausbreitung funktionieren kann. Allerdings wird entscheidend sein, wie viel Toleranz wir den Elchen entgegenbringen."

Anders als der Wolf habe der Elch in Deutschland kein Imageproblem, urteilt Till Hopf, Naturschutzexperte des Nabu. Der Großhirsch sei "ein Wildtier, das hierher gehört wie jedes andere auch". Das sieht die Brandenburger Jägerschaft anders: "Es gibt in Brandenburg für Elche keinen geeigneten Lebensraum", heißt es in einer Stellungnahme des Landesjagdverbandes. Die Wanderer stellten "eine akute Gefahr für Verkehrsteilnehmer dar". Zudem habe sich der Wildschaden "mit zunehmenden Elchbestand drastisch erhöht".

Das Fazit der Jäger: "Elche sind nur in direkter unmittelbarer räumlicher Nähe zu Polen tolerierbar", etwa im Nationalpark Unteres Odertal. Weiter heißt es: "Sowohl die internationale als auch die nationale Gesetzeslage lässt eine Bejagung des Elches zu. Aus den genannten Gründen sollte im Sinne des Tierschutzes und der Sorgfaltspflicht gegenüber der Bevölkerung jeder Elch außerhalb der abzugrenzenden Gebiete gestreckt werden."

Um die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen, entwickelt - nach Bayern - nun auch das Land Brandenburg einen Elch-Managementplan. Tatsächlich frisst ein erwachsener Elch bei gutem Futterangebot im Sommer täglich gut 40 Kilogramm Knospen, Triebe, Blätter und Zweige und setzt dem Wald damit zu. Aus Sicht des Naturschützers Hopf sind die elchbedingten Wildschäden jedoch eher marginal: "20 Tiere sind sicherlich kein Problem." Schwer wiegt aus Sicht der Ökologen die Unfallgefahr.

Anders als Rehe zeigen die behäbigen Großhirsche keinen Fluchtreflex bei herannahenden Fahrzeugen, sondern bleiben erst einmal stehen. Das kann zu schweren Kollisionen führen, bei denen auch Menschenleben in Gefahr geraten. Denn die Tiere sind hochbeinig, sodass die mehrere Hundert Kilo schweren Körper auf der Höhe der Windschutzscheibe aufschlagen.

Straßen seien große Wanderungsbarrieren, sagt Andreas Kinser. Dennoch werde es Tieren mit "langem Atem und dem Drang nach Westen" immer wieder gelingen, sogar Autobahnen zu überqueren. Zudem gebe es Viadukte, die unter den Schnellstraßen hindurchführen, und Grünbrücken, die Wildtieren darüber hinweghelfen.

Damit eine Wanderung erfolgreich ist, müssen die Elche große, unzerschnittene Waldgebiete erreichen können. Diese sollten mit Seen, Mooren und Flussauen durchzogen sein, denn die Großhirsche versumpfen gern ein bisschen, um an Wasserpflanzen heranzukommen. Diese gehören zu ihrer Lieblingsnahrung.

Anders als die Jägerschaft in Brandenburg sehen die Naturschützer durchaus passende Dauerlebensräume in dem dünn besiedelten Bundesland: weite Feuchtwiesen mit lockerem Baumbestand, Moor- und Bruchwälder. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Bayern gebe es geeignete Gebiete, so der Nabu.

Schwedische Verhältnisse sind in Deutschland allerdings nicht zu erwarten: Dort streifen rund 350.000 Elche durch die Wälder und verursachen jährlich rund 5000 Verkehrsunfälle.