In Hamburg werden Kunstwerke junger Schimpansen versteigert. Diese seien Kinderzeichnungen sehr ähnlich, zeigt eine Studie.

Hamburg. Nicht wenige Menschen haben an ihren Bleistiften oder Kugelschreibern Zahnabdrücke, die von kreativen Denkpausen und der oralen Malträtierung des Schreib- und Malwerkzeugs herrühren. Auch Pancho kaute, während er seine Bilder anfertigte, zwischendurch immer gerne einmal kurz auf dem Pinsel herum. Und Karen probierte alle Farben auf ihren Geschmack, bevor sie sie auftrug. Malen ist ein Prozess, den nicht nur Menschen beherrschen - sondern auch Menschenaffen. Schimpansen wie Pancho, Orang-Utans wie Karen oder Gorillas, denen man in Zoos oder wissenschaftlichen Instituten Farben und Papier gab, haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts viele Bilder geschaffen. Im Zoologischen Institut der Universität Hamburg sind derzeit einige davon zu sehen und sogar zu ersteigern. Sie zeigen in Farb- und Formenwahl eine auffällige Übereinstimmung mit Bildern von menschlichen Kindern, wie eine Studie belegt.

"Zeichnungen von Menschenaffen sind, ebenso wie die von jungen Kindern, keine zufälligen Produkte." Zu diesem Schluss kommt die kanadische Anthropologin Anne Zeller. Sie hatte für ihre Untersuchung 340 Bilder von Menschenaffen und 57 von Menschenkindern auf verschiedene Kriterien wie Anzahl der benutzten Farben, Farbpräferenzen, Linienführung, Muster und das Malen über den Rand hinaus analysiert. Das Ergebnis: "Die Bilder zeigen eine reflektierte Auswahl dessen, wie viele und welche Farben eingesetzt wurden, wo sie in dem Bild verwendet und welche Muster genutzt wurden sowie, bis zu einem gewissen Grad, einen Respekt vor den Grenzen des Papiers", so Prof. Anne Zeller.

So nutzen alle der untersuchten "Künstler" (Menschenkinder, Schimpansen, Orang-Utans und Gorillas) in den meisten Fällen Gelb als erste Farbe, favorisierten deutlich diagonale Linien bei der Strichführung und konzentrierten sich überdurchschnittlich häufig beim Malen auf die Papiermitte, fand Zeller heraus. Die Menschenkinder und die Orang-Utans erwiesen sich dabei als die kreativsten, was die Vielfalt der Muster anging, wobei sie gleichzeitig weit weniger über den Rand malten als etwa Schimpansen und Gorillas.

Kann man bei dem, was die Affen tun, tatsächlich von Malen im menschlichen Sinn sprechen? Bei ihren Werken von Kunst? Und warum lässt man Tiere Dinge tun, für die es in ihrem natürlichen Lebensraum kein Äquivalent gibt? Diese Diskussion wurde in den 1960er-Jahren unter anderem von dem britischen Verhaltensforscher und Künstler Desmond Morris angeregt. Morris ließ den Schimpansen Congo im Londoner Zoo Gemälde anfertigen und verglich diese mit von Menschenkindern gemalten Bildern. Bei den Affenbildern sehe man sich "Auge in Auge mit den Grundzügen der ästhetischen Kreativität", schreibt Morris in seinem Buch "The Biology of Art" ("Der malende Affe. Zur Biologie der Kunst").

Dass das, was die Affen mit Farben zu Papier brächten, Kunst sei, könne man durchaus vertreten, sagt Dr. Claudio Tennie. "Ich halte das, was sie tun, jedoch nicht für Malen", differenziert der Verhaltensforscher der University of Birmingham (England). In seiner Zeit am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hätten die Menschenaffen immer mal wieder Farben und Papier bekommen. "Ich habe aber nie den Eindruck gehabt, dass da etwas Menschliches hintersteckt, hinter dieser Art der Beschäftigung." Und dass Kinder und Menschenaffen häufiger diagonale Striche malten, könne auch auf "unsere ähnliche Körperstruktur" zurückgehen.

Auch wenn ihr nicht bekannt sei, dass es ein dem Malen ähnliches Verhalten bei frei lebenden Menschenaffen gebe, sieht Prof. Ute Radespiel vom Zoologischen Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover die Untersuchung von gehaltenen Tieren als sinnvoll an: "Es ist ein ganz aktueller Ansatz, bei unseren nächsten Verwandten Eigenschaften zu beobachten, um unsere eigenen Wurzeln zu verstehen."

Ute Radespiel ist Vorsitzende der Gesellschaft für Primatologie, die sich kommende Woche in Hamburg zu ihrer Jahrestagung trifft. In diesem Zusammenhang werden auch 50 Bilder verkauft und versteigert, die in den 1950er- und 1960er-Jahren von Pancho und anderen Schimpansen im Alter von zwei bis fünf Jahren in den USA gemalt wurden. "Unser 2011 verstorbenes Mitglied Prof. Robert Glaser hat lange mit den Schimpansen gearbeitet. Nach seinem Tod gingen die Gemälde in den Besitz der Gesellschaft über. Mit dem Erlös aus dem Verkauf und der Versteigerung in Hamburg soll der wissenschaftliche Nachwuchs bei der Erforschung der Primaten gefördert werden", so Ute Radespiel.

Robert Glaser, erzählt die Zoologin, hatte die Theorie, dass das Malen der Affen dem sogenannten Grooming (der Fellpflege) vergleichbar sei: Das Ziehen der Striche habe eine Ähnlichkeit mit dem Durchkämmen des Fells; es könne eine Art Ersatzhandlung sein. Ute Radespiel sieht bei der Beschäftigung der Menschenaffen mit Farben und Papier auf jeden Fall eine spielerische Komponente: "Menschenaffen brauchen Beschäftigung, und die kann man gut wissenschaftlich begleiten." Somit ergänzten sich die Forschungen an Tieren im Freiland und in Menschenobhut optimal, sagt die Zoologin.

Bei der Frage, ob die Gemälde nun Kunst seien, gibt Radespiel zu bedenken: "Fragt man sich das bei Menschengemälden nicht auch oft?" Dass die Affenkunstwerke von einigen Menschen spöttisch belächelt oder die Herstellung gänzlich als abwegig betrachtet werde, habe aber einen tiefer sitzenden Grund: "Es gibt Menschen, die damit ein Problem haben, dass wir mit den Menschenaffen verwandt sind."