Wissenschaftler untersuchen, wie sich Nachtigallen und Rotkehlchen an Verkehrslärm und nächtliches Dauerlicht in der Stadt anpassen.

Hamburg/Seewiesen. Unzählige Autos, die anfahren und abbremsen, S-Bahnen, die sich quietschend in Schienenkurven legen, Abriss- oder Sanierungsarbeiten an Häusern und Straßen und dazu noch regelmäßig überfliegende Düsenjets: Der Lärm, dem sich Bewohner von großen Städten täglich stellen müssen, ist kein geringer. Unwillkürlich hebt man bei dem Versuch, vor so einer Kulisse Gehör zu finden, beim lauteren Sprechen oder gar Schreien die Stimme - ein Phänomen, das vor gut 100 Jahren von dem französischen Ohrenarzt Étienne Lombard nachgewiesen wurde und seitdem als Lombard-Effekt bekannt ist. Doch nicht nur menschliche Städter greifen zu diesem Mittel: Auch Stadtvögel singen aus vollem Hals und in höchsten Tönen, um den Verkehrslärm zu übertreffen, fanden Ornithologen heraus.

Bisher hatte man angenommen, dass etwa Amseln in Innenstädten eine höhere Tonlage wählen, um sich besser vom tiefer frequenten Straßenlärm abzuheben. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts (MPI) für Ornithologie in Seewiesen fanden jetzt jedoch durch Gesangsaufnahmen von Amseln in schallisolierten Räumen und anhand eines Rechenmodells heraus, dass die Lautstärke der entscheidende Faktor ist: "Indem die Stadtvögel aktiv hochfrequente Töne wählen, können sie ihre Fähigkeit steigern, laut zu singen und so die akustische Überlagerung des umgebenden Lärms abschwächen", sagt der Leiter des Forschungsprojekts, Henrik Brumm.

Untersuchungen zu den Auswirkungen von Lärm und Lärmverschmutzung auf Vögel gebe es noch nicht allzu lange, erzählt der Ornithologe: "Vor etwa 20 Jahren geriet die Beeinflussung von Meeressäugern durch Schiffsverkehr in den Fokus. Doch da man an die Tiere im Meer schlecht herankommt, weiß man auch heute noch nicht allzu viel darüber." Beim Menschen hingegen gibt es mittlerweile detaillierte Untersuchungen, wie sich Lärm auf die Gesundheit auswirkt. So wird in dem 2011 vom Regionalbüro für Europa der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegebenen Bericht "Burden of disease from environmental noise" (Krankheitslast durch Umweltlärm) aufgeführt, dass Verkehrslärm nach der Luftverschmutzung das Umweltproblem mit den zweitstärksten Auswirkungen auf die Gesundheit ist. Und dass allein im westlichen Teil der Europäischen Region aufgrund von Verkehrslärm jährlich mindestens eine Million gesunder Lebensjahre verloren gehen.

So weit sind die Ornithologen in ihren Untersuchungen noch nicht. Henrik Brumm war einer der ersten Biologen, die sich überhaupt mit der Auswirkung von Lärm auf Vögel beschäftigte. 2004 publizierte er eine Studie über Nachtigallen in Berlin, die zeigte, dass die Sangeskünstler entlang von Bahntrassen lauter schmettern. "Der Unterschied zwischen den leisesten und den lautesten Sängern betrug 14 Dezibel - das entspricht mehr als einer Verdoppelung der wahrgenommenen Lautstärke", sagt der Forscher. Für diesen Anstieg müsste der Druck in den Lungen der Tiere fünfmal so hoch sein wie bei normal laut singenden Nachtigallen. Da lag die Vermutung nah, dass das Ansingen gegen den Lärm die Vögel viel Energie kostet. "Doch das ist überraschenderweise nicht so", sagt Brumm. Man habe herausgefunden, dass durch eine sehr effiziente Schallübertragung das Singen generell, aber auch ein Anstieg der Lautstärke für die Tiere nicht sehr aufwendig sei. "Die Grenze der Lautstärke für die einzelnen Arten kennen wir jedoch noch nicht. Aus Naturschutzsicht wäre es wichtig zu wissen, über welche Lärmgrenze die Vögel nicht mehr hinwegkommen. Denn irgendwann wird es ihnen etwas ausmachen", so Brumm.

Eines bewirke der laute Gesang der Stadtvögel schon jetzt: Er führe zu aggressiverem Verhalten der Tiere untereinander, so der Wissenschaftler. "Wer lauter brüllt, kriegt eher eins aufs Dach", fasst es Brumm zusammen. Dabei hatte man früher geglaubt, dass Vögel immer so laut singen würden, wie sie könnten. Brumm: "Das ist aber falsch. Heute weiß man, dass sie ihre Lautstärken sehr schnell an die Gegebenheiten anpassen können." So singen Nachtigallen im Stadtgebiet an Wochenenden, bei der Abwesenheit von Berufsverkehr, deutlich leiser als unter der Woche, fand der Ornithologe heraus.

Warum ziehen die Vögel, meist ehemals scheue Waldbewohner, überhaupt in die Städte, wo sie sich verschiedensten Anpassungsstrategien unterwerfen müssen? "Eine gute Frage, die wir noch nicht genau beantworten können", sagt Alexander Mitschke vom Arbeitskreis der Staatlichen Vogelschutzwarte Hamburg. Die Ornithologen wüssten bisher, dass die Eroberung der Städte durch die Vögel auf unserem Kontinent von Nordwesten her verliefe: "Arten, die in England und Deutschland längst in den Städten heimisch sind, sind in Russland dort oft noch nicht zu sehen."

Dem in Hamburg mit 68.000 besetzten Revieren mit Abstand häufigsten innenstädtischen Singvogel, der Amsel, gefielen unsere Gärten: "Die Amsel ist genügsam, braucht ein kleines Stück Rasen und einen Busch. Und da wir den Garten immer wässern, sind - anders als im Wald - Regenwürmer als Nahrung auch immer ausreichend vorhanden", so Mitschke. Immergrüne Hecken böten dazu, anders als entlaubtes Waldgrün, auch im Winter und Frühjahr guten Schutz und führten zu früheren und häufigeren Bruten der Stadtamseln im Jahr (vier bis fünf, im Gegensatz zu ein bis zwei auf dem Land).

Selbst an das allgegenwärtige Kunstlicht hätten sich die Stadtvögel angepasst, so Mitschke: "An der nachts hell erleuchteten U-Bahn-Station Lattenkamp etwa singt die ganze Nacht über ein Rotkehlchen." Und Bart Kempenaers vom MPI in Seewiesen fand heraus, dass Blaumeisen sich erfolgreicher paaren, wenn sie in der Nähe von Straßenlaternen leben.

Wer sich Stadtlärm und -licht als Vogel antut und wer das ruhigere (und dunklere) Landleben vorzieht, ist nach ersten Ansätzen der Forscher übrigens auch bei Vögeln eine Charakterfrage. Manche kämen mit dem Stress besser klar als andere.