Mit dieser Prognose verunsicherte US-Forscher kürzlich seine Spezies. Unsere Intelligenz verändere sich nur, beruhigen deutsche Forscher.

Hamburg. Eine Smartphone-App zeigt den Kontostand als Balkendiagramm. Der Rehrücken liegt bratbereit in der Kühltruhe. Navigationsgeräte weisen uns den Weg nach Hause. Das Leben ist leicht geworden. Zu leicht? Fordern die gesunkenen Ansprüche das Gehirn nicht mehr ausreichend? "Quatsch", urteilt der Hamburger Psychologe Prof. Hugo Schmale. Der Mensch von heute ist anders intelligent als der von früher. Das heißt nicht unbedingt, dass er schlauer geworden ist. Aber er sei eben auch nicht dümmer als seine Vorfahren, sagt Schmale.

Heiße Diskussionen um die Tendenz der Intelligenzentwicklung löste kürzlich der US-Forscher Gerald Crabtree aus. Der Entwicklungsbiologe von der kalifornischen Stanford University behauptete im Fachblatt "Trends in Genetics", dass die durchschnittliche Intelligenz des Menschen allmählich schwinde. Seine Theorie: Um zu Überleben und etwa bei der Jagd erfolgreich zu sein, war einst Intelligenz entscheidend. Wer nicht clever genug vorging, verhungerte. Nur die Schlauesten überlebten und vererbten ihre Intelligenz weiter. Rund 2000 bis 5000 Gene seien verantwortlich für die menschliche Intelligenz, so Crabtree.

Abwärts ging es vor einigen Tausend Jahren: Der Mensch ließ sich in größeren Gruppen nieder. Die Stärkeren fütterten die Schwächeren mit durch. Intelligenz war nicht mehr so entscheidend für das Überleben. Stattdessen rückte etwa die Widerstandskraft gegen Krankheiten in den Vordergrund. Weil dieser Selektionsdruck nachließ, begann die durchschnittliche Intelligenz langsam zu schwinden. Das gehe bis heute so, behauptet Crabtree.

"Intelligenz sinkt nicht, sie verändert sich", meint dagegen Schmale. "Intelligenz ist ein Anpassungsinstrument gegenüber der Außenwelt." Seine Intelligenz nutzt der Mensch, um mit seiner Umwelt zurechtzukommen. Ändert sich die Umwelt, ändern sich auch die Bereiche, in denen der durchschnittliche Mensch mit Schläue glänzen kann.

Beispiel Internet: Kommt etwa das Stammtischgespräch irgendwann auf Forrest Gumps Sockenfarbe in den berühmten Parkbanksequenzen, zückt garantiert einer in der Runde sein internetfähiges Handy. Ein Ozean an Informationen, in dem er schnell die Antwort findet, ohne seine Erinnerung bemühen zu müssen. Das Internet kann dem User nicht nur das Erinnern abnehmen, sondern auch das Orientieren, selbst das Wissen. Aber verdummen lasse es einen dadurch nicht, sagt Schmale. Es fördere die menschliche Intelligenz auf andere Weise, als dies etwa das Anpirschen an Wildtiere vor Tausenden von Jahren gemacht habe.

Die Wissenschaft unterscheidet zwischen zahlreichen Intelligenzfaktoren. Die numerische, die sprachliche und die anschaulich-praktische Intelligenz sind für Schmale die drei wichtigsten. Das Internet trainiere die anschaulich-praktischen Fähigkeiten des Menschen. Er muss zum Beispiel in relativ kurzer Zeit begreifen, was das Balkendiagramm auf dem Handydisplay über seinen Kontostand aussagt und wohin er den Finger schieben muss, um die genauen Ausgaben vom 1. Dezember anzuschauen. "Anschauliche Intelligenz ist das rasche Erkennen von dem, was auf dem Bildschirm abläuft", sagt Schmale.

Auch Prof. Dirk Hagemann von der Universität Heidelberg hält es für unwahrscheinlich, dass das Internet den Menschen "ein generelles Denkfaulheitsproblem" auflastet - und dadurch ihre Intelligenz auf Dauer schwächt. Er belegt seine Hypothese anhand der theoretischen Unterscheidung von fluider und kristallisierter Intelligenz. Das Modell entwickelte der britisch-amerikanische Psychologe Raymond Cattell (1905-1998). Demnach ist die fluide Intelligenz die eher genetisch bestimmte Intelligenz, die für logisches Denken und Problemlösungen zuständig ist und die Geschwindigkeit des Denkens bestimmt. Dagegen werde die kristallisierte Intelligenz durch die Umwelt geformt, etwa durch Bildung, erklärt Hagemann. "Die fluide Intelligenz schafft sozusagen das Potenzial, das Bildungsangebot optimal zu nutzen, um kristallisierte Intelligenz aufzubauen." Dieses Modell sei besonders nützlich, um herauszufinden, wie sich die Intelligenz der Spezies Mensch verändert.

Das Internet stellt für Hagemann lediglich eine bessere Verfügbarkeit von Wissen dar, eine Veränderung der Umwelt. Das eigenständige Denken einzustellen, liege aber nicht in der Natur des Menschen. "Da siegt nicht so etwas wie Trägheit, nach dem Motto: 'Wir machen immer nur den Minimalaufwand'", erklärt der Psychologe. "Dem steht nämlich die Neugierde entgegen, die Lust am Denken."

So viel zur Umwelt. Aber was ist mit den Genen? Haben die sich verändert und so die genetisch bestimmte Intelligenz gesenkt? "Genetische Faktoren zu suchen ist unendlich mühsam", sagt Hagemann. Grundsätzlich sei zwar davon auszugehen, dass Tausende Gene am Werk sind, gesteht er der umstrittenen Abhandlung Crabtrees zu. "Die werden aber einzeln betrachtet einen kaum messbaren Effekt haben und erst in ihrer Summe Intelligenzunterschiede im messbaren Bereich aufspannen."

Crabtrees Hypothese sei zwar interessant, beweisen lasse sie sich aber nicht, sagt Hagemann. Tests des Intelligenzquotienten (IQ) gebe es erst seit gut 100 Jahren. In Evolutionsmaßstäben gemessen, ist das ein winziges Zeitfenster. Aus diesen Ergebnissen ließen sich also keine Schlüsse ziehen, sagt er. Täte man das, käme man zu dem Schluss, dass die Menschheit immer schlauer wird, weil der IQ seit rund 30 Jahren steigt.

"Aber man kann die Ergebnisse von Intelligenztests ohnehin historisch nicht vergleichen", sagt der Psychologe Thomas Grüter aus Münster. Das kann zum Beispiel daran liegen, dass sich das Schulsystem ändert oder dass die Menschen besser mit Testsituationen umgehen können. Bildung sei heute eher darauf ausgelegt, Probleme selbstständig zu lösen, sagt Grüter. Zu Zeiten der ersten Intelligenztests fragten die Lehrer dagegen eher auswendig gelerntes Wissen ab. Ein Intelligenztest sei nach etwa zehn Jahre überholt.

Gegen Crabtrees Annahme sprechen nach Grüters Ansicht aber andere Argumente: Wäre die Intelligenz seit 2000 bis 3000 Jahren bereits auf dem absteigenden Ast, müssten antike Sprachen komplizierter sein als moderne. "Wir müssten uns entsetzlich schwertun, Latein zu lernen oder Ägyptisch - tun wir aber nicht." Außerdem müssten Völker, die erst vor relativ kurzer Zeit von Jägern und Sammlern in den sesshaften Status übergingen und sich in größeren Gemeinschaften ansiedelten, intelligenter sein als etwa Europäer. "Weil da der Genverfall dann ja theoretisch später eingesetzt hat." Dafür gebe es aber keine Anzeichen, so Grüter.

Was ist nun also Intelligenz? Das ist die Frage, die jeden Experten seufzen lässt. Vielfältig sei sie, kulturspezifisch, sie hänge von verschiedenen Faktoren ab. Als Fähigkeit, Probleme durch Nachdenken zu lösen, definiert Hagemann sie. Für Schmale ist sie die Fähigkeit, Unterschiede wahrzunehmen und darauf zu reagieren. Aber: "Zu glauben, dass der, der am meisten weiß, intelligent ist, ist dumm." Dumm kann auch Forrest Gump definieren. "Dumm ist der, der Dummes tut", sagt er auf der Parkbank. Mit rot-blau-weißen Socken.