Mehr als 5000 Intensiv- und Notfallmediziner tagen in Hamburg. Neben der Sepsis sind auch Lungenersatzverfahren ein Schwerpunktthema

Hamburg. Wenn aus einer kleinen Schramme eine lebensbedrohliche Erkrankung wird, spricht der Volksmund von Blutvergiftung. Die Experten nennen diese Krankheit eine Sepsis, eine schwere Infektion, die auf den ganzen Körper übergreift und zum Versagen der Organe führt. Jeden Tag fordert diese Erkrankung in Deutschland 162 Todesopfer. Die Diagnostik und die Behandlung der Sepsis ist eines der Schwerpunktthemen des dreitägigen Kongresses der Deutschen Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), der zurzeit mit mehr als 5000 Teilnehmern im CCH stattfindet.

Durch viele kleine Fortschritte sei die Sterblichkeit bei der Sepsis im Vergleich zu früher deutlich zurückgegangen und liege heute bei 30 bis 35 Prozent, berichtete am Donnerstag Prof. Tobias Welte, Kongresspräsident und Direktor der Klinik für Pneumologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Je früher die Krankheit erkannt und behandelt wird, umso besser sind die Überlebenschancen. Doch die Erkrankung sei noch viel zu wenig bekannt und werde dramatisch unterschätzt, meinten die Experten. Die Menschen müssten wissen, dass sie einen Arzt aufsuchen sollten, wenn nach einer Verletzung Fieber und Schüttelfrost auftreten. "Außerdem müssen wir die Forschung vorantreiben und die Ärzte besser aus- und fortbilden", sagte Welte. Auch im Medizinstudium soll das Thema Sepsis größeren Raum bekommen.

Zurzeit werden neue Untersuchungen entwickelt, um den Erreger der Infektion so schnell wie möglich zu finden. "Wir arbeiten an chipbasierten Tests, die innerhalb von Stunden ein Ergebnis liefern - sowohl über den Erreger als auch darüber, mit welchen Antibiotika er behandelt werden kann", sagte der Pneumologe. DIVI-Vizepräsidentin Prof. Elke Muhl von der Universitätsklinik Lübeck ergänzte: "Bislang dauert der Nachweis drei Tage. So lange dauert es, bis die bakteriellen Erreger in einer Kultur gewachsen sind und auf ein Antibiotikum getestet werden." Sie betonte aber auch, dass schon beim Eintreffen des Patienten in der Notaufnahme die richtige Therapie beginnen müsse: "Bisherige Studien zeigen, welche Erreger bei welchen Infektionen eine Rolle spielen. Das muss der Intensivmediziner wissen, damit er dem Patienten schon in der ersten Stunde in der Klinik das richtige Antibiotikum gibt."

Ein Problem dabei ist auch, dass die Erreger zunehmen, die gegen viele Antibiotika unempfindlich (resistent) sind. "Es entwickeln sich immer neue Resistenzen", sagte Welte. Notwendig sei es, die Entwicklung von neuen Antibiotika zu fördern. Und es müssten auch neue Substanzen entwickelt werden, die hilfreich in das Immunsystem eingreifen. "Außerdem müssen wir besser werden in der Behandlung des Organversagens", so Welte.

In diesem Zusammenhang nannte der Pneumologe die Lungenersatzverfahren, die über Tage bis Wochen die Funktion einer schwer kranken Lunge übernehmen und sie so entlasten können. Auch das ist ein Schwerpunktthema des Kongresses. Bei diesem System wird das Blut des Patienten außerhalb des Körpers über eine spezielle Membran von Kohlendioxid gereinigt und mit Sauerstoff angereichert. Dann wird das sauerstoffreiche Blut in den Kreislauf des Patienten zurückgegeben. Es kann zusätzlich bei Patienten eingesetzt werden, die über einen Plastikschlauch, einen sogenannten Tubus, nach der herkömmlichen Weise künstlich beatmet werden.

Mittlerweile gibt es aber auch ein Verfahren, das als Awake-Ecmo (Extracorporeal Membrane Oxygenation)-Technik bezeichnet und bei wachen, nicht intubierten Patienten angewandt wird, die etwa auf eine Lungentransplantation warten, an akutem Lungenversagen oder an einem schweren Asthma leiden. Welte: "Die Vision ist die Entwicklung einer permanenten künstlichen Lunge." Bei der Awake-Ecmo-Technik können die Patienten normal essen und reden und erhalten eine leichte körperliche Trainingstherapie.

Es habe sich gezeigt, dass sie diese Technik bei Patienten, die auf eine Lungentransplantation warten und künstlich beatmet werden müssen, die Sterblichkeit nach einer Transplantation von 50 auf 20 Prozent senken kann. Ohne künstliche Beatmung liegt die Sterblichkeit nach einer Lungentransplantation bei zehn Prozent. Eine künstliche Beatmung über einen Tubus versuchen Ärzte heute möglichst zu vermeiden. Denn durch das Intubieren kommt es leichter zu Infektionen und zu einem Lungenversagen.

Die ersten Apparate mit einer künstlichen Lunge habe es bereits vor 30 Jahren gegeben. Damals waren es jedoch noch riesige Apparate, erzählte Tobias Welte. Dann habe die Methode 20 Jahre auf Eis gelegen. Entscheidende Fortschritte seien dann durch bessere Membransysteme erzielt worden, sodass die Pumpen kleiner werden konnten. Mittlerweile gibt es auch schon mobile Geräte.

Ein neuer Impuls für die Entwicklung sei die Schweinegrippe-Pandemie im Jahr 2009 gewesen, bei der viele Patienten so schwer krank waren, dass sie künstlich beatmet werden mussten.