Die europäischen Permafrostforscher tagen im Klimarechenzentrum Hamburg. Sie erkunden die Folgen der Erderwärmung.

Hamburg. Das schmelzende Meereis der Arktis machte gerade Schlagzeilen, doch auch an Land beobachten Wissenschaftler drastische Veränderungen: Permafrostgebiete in Sibirien, Alaska oder Kanada verwandeln sich im Sommer stärker als bisher zu Schlammwüsten. Häuser und Straßen verlieren den festen Boden unter ihren Fundamenten, Rentiere ihre uralten Wanderrouten. Zudem verstärkt der Auftauprozess seinerseits den Ausstoß von Treibhausgasen. Das europäische Forschungsprojekt Page21 will die Interaktionen der arktischen Dauerfrostböden mit der Klimaerwärmung näher untersuchen. Ein Jahr nach dem Projektstart treffen sich von heute an bis Freitag Vertreter der 18 beteiligten Institute im Deutschen Klimarechenzentrum in Hamburg, um erste Ergebnisse auszutauschen.

"Die Erwärmung hat bereits dazu geführt, dass die Böden im Sommer zehn bis 20 Prozent tiefer auftauen", sagt Prof. Hans-Wolfgang Hubberten. Er leitet die Forschungsstelle Potsdam des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) und koordiniert Page21. Vor allem die südlicheren, wärmeren Bereiche, in denen der Dauerfrost nur vier bis fünf Meter tief in den Boden eindringt, drohten durch die Erderwärmung allmählich zu verschwinden, so Hubberten. Dagegen seien sibirische Böden, die meist mehrere Hundert Meter, zum Teil sogar bis zu 1400 Meter tief gefroren sind, relativ stabil. Sie "werden auch in 1000 Jahren noch da sein".

Dennoch könnten auch bei tief gefrorenen Böden oberflächliche Tauprozesse die Landschaft stark verändern, sagt Hubberten. Er spricht von den "tanzenden Wäldern" der sibirischen Taiga - die Bäume stehen plötzlich im Sommer auf puddingartigem Untergrund und verlieren ihren Halt. Seen verschwinden, wenn ihr Grund plötzlich auftaut und das Wasser versickern lässt. Und dort, wo Menschen leben, sind die Infrastruktur (Straßen, Schienen, Pipelines, Öltanks), Gebäude und zum Teil auch traditionelle Lebensweisen in Gefahr.

Die am Page21-Projekt beteiligten Forscher betreiben ein Netzwerk von Forschungsstationen rund um den arktischen Polarkreis, um das Auftauverhalten der Böden näher zu beobachten. Besonders interessiert sie die Frage, inwieweit der in den Böden gebundene Kohlenstoff (C) in Form von Methan (CH{-4}) oder Kohlendioxid (CO2) zusätzlich in die Atmosphäre gelangen und damit den künstlichen Treibhauseffekt verstärken kann - immerhin sind 24 Prozent der Landfläche der Nordhalbkugel Permafrostgebiete.

Hubberten: "In den Permafrostböden ist doppelt so viel Kohlenstoff gespeichert wie in allen tropischen Böden und auch doppelt so viel wie in der Atmosphäre. Etwa 1600 Gigatonnen (Milliarden Tonnen, die Red.) Kohlenstoff sind dort gebunden. Das ist eine beachtliche Menge, zumal ein Teil mobilisiert werden kann." Dies kann auf drei Wegen geschehen: Mikroorganismen setzen die aufgetauten Nährstoffe unter Sauerstoffeinfluss zu CO2 um. Fehlt der Sauerstoff, erzeugt der bakterielle Abbau Methan, ein Treibhausgas, das gut 20-mal so wirksam ist wie CO2. Und drittens kann das in den Böden gespeicherte Methangas direkt entweichen.

Hier kommen die Hamburger Forscher ins Spiel, neben den Potsdamern "das zweite Bein der deutschen Permafrostforschung", so Hubberten. Sie arbeiten zusammen mit den AWI-Kollegen an der sibirischen Station "Samoylov" im Lena-Delta. "Wir messen die Methan- und CO2-Flüsse zwischen Tundren, Böden und Atmosphäre", sagt Prof. Lars Kutzbach vom Institut für Bodenkunde der Universität, das zum KlimaCampus gehört. "Das ist ein zentraler Teil des Page21-Projekts, allerdings auch ein sehr komplexer Teil. Mit einem speziellen Messsystem analysieren wir Methan in turbulenten Luftpaketen."

Als turbulente Luftpakete bezeichnen die Forscher abgrenzbare Luftwirbel, von denen sie wissen, aus welcher Richtung sie kommen. Die Luftwirbel werden erfasst, wenn sie einen der in der Tundra aufgestellten Messtürme erreichen. Kutzbach: "Ein Luftpaket, das vom Boden aufsteigt, enthält mehr Methan als eines aus höheren Schichten. Mit dieser Messmethode können wir die Gasemission der Böden auf Flächen von einem Hektar und mehr beobachten."

Die Hamburger messen bereits seit einigen Jahren in der Tundra. "Die Messungen laufen jeweils während der gesamten Auftauperiode. Die echten Messdaten, die wir erzeugen, werden genutzt, um Computermodelle zu verbessern", sagt Kutzbach. "Bislang haben wir keine drastischen Veränderungen des Kohlenstoff-Kreislaufs festgestellt. Zumindest in Sibirien sieht es so aus, als seien die Permafrost-Ökosysteme relativ stabil gegenüber der Erwärmung. Aus Alaska gibt es aber Hinweise, dass die dortigen wärmeren Tundren nicht mehr wie üblich mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden als sie abgeben, sondern, dass sie zur Kohlenstoffquelle werden können."

Die Feldarbeit im sibirischen Permafrostgebiet ist nur etwas für Liebhaber: Im Winter machen Temperaturen um die minus 35 Grad das Forschen weitgehend unmöglich. Im Sommer steigt das Quecksilber auf fünf, vielleicht auch mal 15 Grad. "Wenn es ausnahmsweise 20 Grad warm wird, so ist das höllisch", erzählt Hans-Wolfgang Hubberten, "denn Sie müssen sich auch dann dick anziehen, wegen der Mücken. Manche Forscher tragen Imkerhüte." Zudem sei es so schlammig, dass die Böden nicht mit Fahrzeugen befahren werden können. Dann entstünden tiefe Spuren, die noch in 100 Jahren zu sehen seien - "wir sind zu Fuß oder per Boot auf den Flüssen unterwegs."

Wenn Mitte August die Mücken verschwinden, dann sei es dort oben traumhaft, schwärmt Hubberten. Er und seine Forscherkollegen werden in den kommenden Jahren das Lena-Delta noch genauer untersuchen können: "Präsident Putin hat uns eine neue Station zugesagt, die auch im Winter bewohnbar ist, inklusive beheizbarer Fahrzeuge." Der Page21-Koordinator ist sich sicher: Zum Projektende in drei Jahren werde feststehen, in welcher Größenordnung Permafrostböden auf die globale Erwärmung reagieren und wie stark sie dadurch zusätzliches Methan und Kohlendioxid freisetzen.