Neues Universitätskolleg soll Studienanfänger in den ersten Semestern beim Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten unterstützen.

Hamburg. Der Seminarraum 527 liegt im fünften Stock, eine breite Fensterfront gibt den Blick frei auf Baumwipfel und Dächer. Doch Hani Priandini kann die schöne Aussicht nicht genießen; sie ringt mit der deutschen Grammatik. "Ein Spiel ist eine Mittel, die Spaß für Menschen machen", so hat sie den ersten Satz ihres Textes formuliert. Die 25-Jährige stammt aus Indonesien, 2009 kam sie nach Hamburg. Sie hat hier als Au-pair gearbeitet und ein freiwilliges soziales Jahr absolviert; seit Anfang dieses Jahres studiert sie Linguistik. Gespräche, E-Mails, das bereite ihr keine Schwierigkeiten mehr, erzählt Priandini. "Aber wissenschaftliche Arbeiten ..." - sie seufzt. "Ich habe beim Schreiben so viele Fragen."

Seit Kurzem bekommt sie Hilfe in der Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit. Dort stehen vom Institut für Erziehungswissenschaft ausgebildete Schreibberater, allesamt selbst noch Studenten, Kommilitonen mit Migrationshintergrund zur Seite. "Wir haben diese Momente ja auch schon erlebt, in denen man sich völlig hilflos fühlt", sagt Birte Stark, 26, Studentin der Erziehungswissenschaften, die an diesem Morgen Hani Priandini betreut. "Deshalb können wir viele Probleme gut nachvollziehen." Dabei geht es nicht nur um den Ausdruck, sondern auch um Fragen, die wohl fast jeden Studenten einmal beschäftigen: Wie zitiere ich korrekt? Gehören Erläuterungen zur Methodik in die Einleitung? Brauche ich ein Fazit nach jedem Kapitel oder nur am Ende der Arbeit?

Die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit ist eines der ersten Projekte des sogenannten Universitätskollegs, das der Präsident der Universität Hamburg, Prof. Dieter Lenzen, gestern im Beisein von Hamburgs Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) und von Prof. Holger Fischer, dem Vizepräsidenten der Hochschule, offiziell eröffnete. Die neue Einrichtung koordiniert 40 Projekte, die zwei Ziele verfolgen: Schüler und Berufstätige beim Übergang in die Universität besser zu beraten und Studenten in den ersten Semestern besser an wissenschaftliches Arbeiten heranzuführen. Beide Faktoren entscheiden mit darüber, ob Studenten erfolgreich abschließen oder hinschmeißen. Die Abbrecherquote an der Universität lag 2010 in den Bachelor-Studiengängen bei 35 Prozent. Inzwischen sei es aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mehr möglich, die Quote genau zu erheben, sagte Fischer kürzlich.

12,8 Millionen Euro will die Universität für ihre Initiative bis 2016 ausgeben. Das Geld kommt vom Bundesbildungsministerium, das mit einem "Qualitätspakt Lehre" 186 Hochschulen in Deutschland bis 2020 mit zwei Milliarden Euro unterstützt. Für einen Zuschuss mussten sich die Hochschulen bewerben. In Hamburg erhalten auch die Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die HafenCity-Universität, die Hochschule für Musik und Theater und die Technische Universität Hamburg-Harburg Geld aus diesem Topf. Das neue Kolleg der Universität bekommt zusätzliches Fördergeld von der Hamburgischen Wissenschaftlichen Stiftung, der Herz-Stiftung, der Körber-Stiftung, der Reemtsma-Stiftung, der Töpfer-Stiftung und der "Zeit"-Stiftung.

Bedarf gibt es reichlich, die Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit ist nur ein Beispiel. 16 Prozent aller Studenten an der Universität Hamburg haben einen Migrationshintergrund und sprechen zwei Sprachen, ergab 2011 eine Umfrage der Erziehungswissenschaftlerin Prof. Ursula Neumann. Die meisten dieser Studenten sind zwar mit Deutsch aufgewachsen, viele haben in Deutschland Abitur gemacht. An der Uni zeige sich aber, dass gerade diese Gruppe Texte produziere, "die sprachlich wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen", sagt die Leiterin der Schreibwerkstatt Mehrsprachigkeit, Dr. Dagmar Knorr. "Sie haben Schwierigkeiten mit dem Ausdruck, kombinieren etwa sprachliche Bilder, die nicht zusammenpassen." In der Schreibwerkstatt können sie sich jeden Montag Hilfe holen und ihre Texte zu Hause überarbeiten. Diese Unterstützung allein genüge allerdings nicht, sagt Ursula Neumann: "Auch die Dozenten müssen den Studenten auf sprachlicher Ebene Rückmeldungen geben."

Eigentlich sollte kein Zweifel bestehen, dass Studenten mit Migrationshintergrund ein Gewinn für unsere Gesellschaft sein können, dass es nützlich und wertvoll ist, verschiedene Sprachen zu sprechen. Ein Beispiel sind die Schulen, wo Lehrer mit Migrationshintergrund helfen könnten, Schüler mit ausländischen Wurzeln besser zu fördern. Zumindest viele der hier zweisprachig aufgewachsenen Studenten hätten aber die Erfahrung gemacht, dass ihre Zweisprachigkeit eher als Hindernis gesehen werde, sagt Dagmar Knorr. "Ich habe gelernt, meine Zweisprachigkeit zu kaschieren" - derartige Sätze habe sie bei der Schreibberatung schon mehrfach von Studenten gehört. Deshalb gehe es auch darum, diesen Studenten Selbstbewusstsein zu vermitteln und ihnen zu zeigen, wie sie ihre mehrsprachigen Kompetenzen nutzen könnten.

Hani Priandini besucht die Schreibwerkstatt schon zum fünften Mal. In Indonesien hat sie bereits einen Bachelor in Germanistik erworben, in Hamburg will sie einen Master draufsatteln. Drei Semester liegen noch vor ihr. So sehr sie noch mit der deutschen Grammatik ringt - entmutigen lässt sie sich nicht; sie kann sogar über ihre Fehler lachen. "Hast du verstanden, was ich meine?", fragt sie Birte Stark mit Blick auf den Untertitel ihrer Hausarbeit, der noch ein wenig umständlich formuliert ist. Es geht darum, wie Kinder beim Spielen kommunizieren. "Na ja", entgegnet die Studentin, "das ist ein sehr komplexer Untertitel mit vielen Verschachtelungen. Aber das bekommen wir hin."