In Hamburg-Altona ist ein Zentrum für kleinwüchsige Kinder und Jugendliche entstanden, das einzigartig in ganz Norddeutschland ist.

Hamburg. Auf die Frage, was er am liebsten macht, antwortet Taylan spontan: "Fußball spielen!" Dabei hat der zwölf Jahre alte Junge aus Hamburg es viel schwerer als andere Kinder. Er leidet an einer Achondroplasie, einem Gendefekt, der dazu führt, dass die Röhrenknochen in Armen und Beinen nicht richtig wachsen. Deswegen ist Taylan nur 1,07 Meter groß - rund 45 Zentimeter kleiner als normalwüchsige Kinder seines Alters.

"Der Junge hat in seinem Leben schon einiges mitmachen müssen", sagt Prof. Ralf Stücker, Chefarzt der Kinderorthopädie im Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK). Diese Abteilung gehört mit zu dem neu gegründeten Kleinwuchszentrum des AKK und des Universitätsklinikums Eppendorf, in dem sich alle Spezialisten zusammengeschlossen haben, die an der Behandlung von kleinwüchsigen Patienten beteiligt sind. Dazu zählen Kinderärzte, Kinderorthopäden, Kinderhormon- und Stoffwechselexperten, Kinderneurologen und Neurochirurgen, Fachärzte für Erkrankungen der Lunge, Spezialisten für Beatmungs- und Schlafmedizin, Humangenetiker, Physiotherapeuten sowie Spezialisten für Kinder- und Jugendpsychosomatik. In diesem einzigen Zentrum seiner Art in Norddeutschland werden etwa 150 Kinder und Jugendliche im Jahr betreut.

In Deutschland gibt es 40 000 bis 60 000 kleinwüchsige Menschen mit vielen unterschiedlichen Formen der Erkrankung. Die Achondroplasie, an der Taylan leidet, ist selten. Nur eins von 25 000 Kindern ist davon betroffen. "Die meisten Erkrankungsfälle werden durch spontane Genmutationen verursacht. Aber die Krankheit ist auch erblich, sodass Kinder von Betroffenen ein 50-prozentiges Risiko haben, ebenfalls daran zu erkranken", sagt Stücker.

Dass Taylan davon betroffen ist, war schon bei seiner Geburt klar. Sein Kopf und sein Rumpf hatten eine normale Größe, aber Arme und Beine waren zu kurz. Hinzu kamen weitere für diese Erkrankung typische Symptome, die ihm das Leben schwer machten. So stellte sich heraus, dass sein Hinterhauptsloch, an dem das Gehirn in das Rückenmark übergeht, zu eng war. "Dadurch entsteht ein Druck auf das Rückenmark und das Atemzentrum. Das war wahrscheinlich auch die Ursache dafür, dass Taylans Muskeln so schwach waren, dass seine Entwicklung sich verzögerte, denn er konnte erst mit vier Jahren laufen. Außerdem hatte er nächtliche Atemaussetzer, sodass nachts der Sauerstoffgehalt seines Blutes drastisch absank", erzählt Stücker.

Deswegen musste das Kind im Alter von zwei Jahren das erste Mal operiert werden. Dabei wurde das Hinterhauptsloch erweitert. Dann stellte sich heraus, dass sich zwischen zwei Wirbelkörpern in Taylans Halswirbelsäule eine Instabilität entwickelte. Deswegen folgte im Alter von sechs Jahren die zweite OP: Der Bereich der Wirbelsäule vom Hinterhaupt bis zum zweiten Halswirbel wurde versteift. "Danach hat Taylan sich ganz gut entwickelt. Aber dann fiel auf, dass seine Gehstrecken immer kürzer wurden. Er musste immer häufiger Pausen einlegen, um wieder Kraft zu schöpfen und überspielte das dadurch, dass er immer in die Hocke gegangen ist. Das ist typisch für eine angeborene Spinalkanalstenose, eine Verengung des Wirbelkanals", sagt Stücker.

Bei der Untersuchung stellte sich dann noch heraus, dass Taylans Wirbelsäule nach hinten verkrümmt war, was die Beschwerden noch verstärkte. "Deswegen wird er 2010 zum dritten Mal operiert: Wir haben ihm Bandscheiben entfernt, weil diese noch zusätzlich auf das Rückenmark drückten. Und die Verkrümmung der Wirbelsäule wurde mit Stäben und Schrauben begradigt und die hintere knöcherne Wand des Wirbelkanals entfernt, sodass das Rückenmark jetzt unter der Muskulatur liegt."

Das Ganze ist jetzt stabil, sodass sich Taylan auch im gleichen Maße sportlich betätigen kann wie vor der Operation und in der Beweglichkeit nur wenig eingeschränkt ist. Nachts braucht er noch eine Atemmaske, weil sein Atemzentrum sich noch nicht wieder komplett erholt hat. "Ohne Maske geht es nicht", sagt seine Mutter Bahriye Y.. Aber sonst gehe es Taylan gut. Neben dem Fußballspielen hat er auch eine Vorliebe für Musik: Er hört gern Schlagzeugmusik, spielt selbst zu Hause Keyboard und ist in seiner Schule Mitglied der Band Heiße Reifen.

Jetzt hofft der Zwölfjährige, dass ihm weitere Operationen helfen können, ein bisschen größer zu werden. Die Endgröße bei einer Achondroplasie liegt etwa bei 1,25 bis 1,30 Metern. Aber es gibt Möglichkeiten, die Beine zu verlängern, erklärt Stücker: "Wir können Nägel in die Knochen einbauen, die von außen durch Magneten verlängert werden und so den Knochen langsam auseinanderziehen. Damit lässt sich eine Verlängerung um fünf Zentimeter erreichen. Setzt man die Nägel in Ober- und Unterschenkel ein, sind das schon zehn Zentimeter. Und wenn das Verfahren noch einmal wiederholt wird, kommt man auf eine Größenzunahme von 20 Zentimetern."

Solche Eingriffe sind möglich, wenn das Wachstum der Knochen weitgehend abgeschlossen ist. Am Oberschenkel kann man das auch schon im Alter von 13 Jahren machen, am Unterschenkel ab 15 oder 16 Jahren. Auch der Oberarm lässt sich auf diese Weise verlängern. "Für die Behandlung der Unterarme ist die Methode nicht geeignet, weil sie die Drehbewegung im Unterarm und damit die Beweglichkeit der Hand einschränken würde", sagt Stücker. Er ist aber zuversichtlich, dass in den nächsten drei bis vier Jahren dünne Nägel entwickelt werden, die auch dort den Eingriff ermöglichen.