Amseln, Kohlmeisen und Blaumeisen, ursprünglich Waldbewohner, haben sich in der Stadt angesiedelt. Auch Küstenvögel sind hier heimisch geworden

Die Stadt ist zum Paradies für anpassungsfähige Waldvögel wie Amseln und Meisen geworden", sagt Alexander Mitschke mit Blick auf die Entwicklung der Hamburger Vogelwelt in den vergangenen 50 Jahren. Anlass für den Rückblick ist ein Jubiläum, das am kommenden Donnerstag mit einem Festakt der Umweltbehörde begangen wird: das 50-jährige Bestehen des Arbeitskreises der Staatlichen Vogelschutzwarte Hamburg.

Mehr als 100 ehrenamtliche Helfer beteiligen sich regelmäßig an Zählungen, um die in Hamburg brütenden Vögel zu erfassen.

"Aktuell haben wir etwa 160 Brutvogelarten und weitere 174 Arten, die innerhalb der Stadtgrenzen wenigstens einmal als Gastvögel nachgewiesen worden sind", sagt Mitschke, der die Bestandsaufnahmen koordiniert und zum Leitungsteam des Arbeitskreises gehört. Die Vogelwelt habe sich seit Anfang der 1960er-Jahre stark verändert: "Damals gab es noch viele Brachflächen, unbebaute Trümmergrundstücke. Sie boten etwa der Haubenlerche, ursprünglich ein Steppenvogel, gute Lebensräume. Über Jahrzehnte überlebte die Art in Hamburg, in dem sie in Neubaugebieten brütete, wo die Vegetation noch schütter ist. Aber seit Mitte der 2000er-Jahre ist sie verschwunden - das letzte Vorkommen gab es in Neuallermöhe."

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Die Gärten um die Häuschen im Grünen bilden mit einem Flächenanteil von knapp 20 Prozent den wichtigsten Lebensraum der Vögel. Hier wuchsen in den vergangenen Jahrzehnten junge Bäumchen zu Bäumen heran, ebenso in Parks und entlang der Straßen. Folge: Die Gartenstadt und andere Grünbereiche wurden aus Vogelsicht immer waldähnlicher. Entsprechend zahlreich sind Arten, die ursprünglich in Wäldern lebten: 68 000 Amsel-Brutpaare sorgen in Hamburg für viel Nachwuchs und behaupten so ihren Rang als häufigste Vogelart der Stadt. Platz zwei und drei belegen mit der Kohlmeise (35 000 Paare) und der Blaumeise (30 000 Paare) ebenfalls ursprüngliche Waldvögel.

Am vierhäufigsten ist der Spatz, der früher die Rangliste anführte - die Bestände des Haussperlings seien in den vergangenen 35 Jahren um etwa 80 Prozent auf 25 000 Brutpaare gesunken, so Mitschke. Im Stadtbild hätten sie sich rar gemacht. "Die Sperlinge leiden darunter, dass Hamburgs Grün immer schattiger wurde. Während Meisen behände die großen Baumkronen nach Blattläusen absuchen, können Spatzen nicht so geschickt durchs Geäst turnen. Sie suchen sich ihre Nahrung eher am Boden, fressen etwa Gehwegameisen oder Blattläuse, die ein Regenguss von den Blättern zu Boden gespült hat."

Ein guter Gradmesser für die Trends in Hamburgs Vogelwelt sei der alte Botanische Garten am Dammtorbahnhof, sagt der Ornithologe. Hier verlief der Sturzflug des Spatzenbestandes besonders drastisch: Bei Zählungen der Jahre 1955 und 1966 war der Haussperling mit Abstand am häufigsten, seit 2003 ist er als Brutvogel komplett verschwunden. Einen leichten Aufschwung haben die relativ trockenen Frühjahre 2011 und 2012 gebracht. Mitschke: "Dadurch hat die erste Brut im April/Mai gut überlebt. Das ist in Hamburg unüblich. Oft herrscht durch feuchtes Wetter Insektenmangel, und die Jungvögel verhungern im Nest. In Berlin, wo aufgrund des kontinentalen Klimas das Frühjahr generell trockener ist, liegt der Haussperling mit Abstand auf Platz eins der häufigsten Arten." Der Sperling ist in Hamburg der prominenteste Verlierer, aber auch Gartenrotschwanz, Grauschnäpper und Rauchschwalbe sind aus dem Botanischen Garten verschwunden - und werden stadtweit seltener.

Dagegen brüten heute ursprüngliche Waldbewohner wie Buntspecht, Eichelhäher und Kleiber in der Grünanlage. Ein Zaunkönig gründete 1975 die erste Familie, das Rotkehlchen 1989, die Schwanzmeise 1996. Trotz mancher Herausforderungen im Vogelschutz ist die Vogelwelt vielfältiger geworden. Im Vergleich zu 1962 brüten heute 15 Arten mehr in Hamburg.

Auch wenn Hans Albers schon 1952 die kleine weiße Möwe besang: Erst in den beiden vergangenen Jahrzehnten haben die Küstenvögel Hamburg erobert. Mitschke sortiert sie unter den Begriff Hafenvögel, denn dort brüten sie zum Teil in großen Kolonien. "Sie besiedeln offene, sandige Spülflächen, die der Nordseeküste ähneln", sagt er. "Sturmmöwen brüten, ähnlich wie Austernfischer, inzwischen aber auch auf Flachdächern." Die Sturmmöwe ist die häufigste Möwe und hat ihren Bestand seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt, auf heute 3700 Paare. Das erste Paar brütete wahrscheinlich 1967 auf der Hohen Schaar, dem Hafenteil, den die Shell-Raffinerie dominiert.

Dieselbe Entwicklung nahmen die Silbermöwen (Zuwachs von 127 auf 250 Paare). Andere Möwen haben sich erst jüngst in Hamburg niedergelassen: 1996 registrierten die Beobachter des Arbeitskreises die ersten brütenden Schwarzkopfmöwen (heute: 37 Paare), im Jahr 2000 die ersten Heringsmöwen (heute 30 Paare). Möglicherweise wird sich der Trend in einigen Jahren wieder umkehren. Denn die künstlichen Brachflächen verschwinden allmählich im Rahmen der Hafenentwicklung.

Auch direkte menschliche Eingriffe veränderten die Vogelwelt. Der Uhu wurde in Schleswig-Holstein, der Wanderfalke und die Graugans wurden auch in Hamburg ausgewildert, sie alle haben sich längst hier niedergelassen. Die in den Niederlanden und Großbritannien ausgesetzte Nilgans erobert gerade die Stadt aus westlicher Richtung. Die Singschwäne sind wohl aus menschlichen Haltungen entfleucht. Andere Arten verloren die Scheu vor den Menschen. So brütet ein Reiherentenpaar im Campusteich der Uni Hamburg, und die Höckerschwäne auf der Alster lassen sich alljährlich ins Winterquartier kutschieren.

Dagegen gehört der Kormoran zu den Vögeln, die früher heftig bejagt wurden und nun von der Waffenruhe profitieren. "Vor 50 Jahren liefen die Leute zusammen, wenn sich ein Kormoran niederließ, um diese Seltenheit zu sehen", erzählt Mitschke. 1994 brütete die Art erstmals wieder auf dem Stadtgebiet, heute tun dies 195 Paare.

Ohne die ehrenamtliche Arbeit der Vogelzähler gäbe es all diese Daten nicht. Sie erheben die Bestände flächenhaft und decken dabei nicht nur das Stadtgebiet (etwa 750 Quadratkilometer) ab, sondern auch das angrenzende Umland, sodass die gesamte Beobachtungsfläche 2122 km² beträgt.

Die Zählmethoden seien in den vergangenen 50 Jahren so verfeinert worden, dass die Verbreitungskarten für die Arten nur die jeweilige Vogeldichte widerspiegele und nicht, wie früher, auch den Arbeitseifer des Beobachters, so Mitschke. Geblieben sind die "Problemvögel", etwa Baumfalken, Wespenbussarde und Waldschnepfen. "Sie leben sehr heimlich. Deshalb wissen wir bei ihnen nicht, wo wir stehen." Dennoch hat der Arbeitskreis seit 1962 ganze Arbeit geleistet - die Datendichte der Erhebungen ist so groß wie in keinem anderen Bundesland.