In Deutschland beherrschen nur wenige Zahnärzte die Gebärdensprache. Ins Dentologicum in Bahrenfeld kommen deshalb rund 200 Gehörlose.

Hamburg. Zahnärztin Marianela von Schuler Alarcón streicht erst über ihre Wange, dann machen drei ihrer Finger die Bewegung einer Spritze nach. "Bitte, eine Spritze", bedeutet das in der Gebärdensprache. Ihre gehörlose Auszubildende Kinga Ostrowski holt das gewünschte medizinische Instrument aus einer Schublade. Die 30-Jährige ist nach Angaben des Zahnmedizinischen Versorgungszentrums Dentologicum in Hamburg-Bahrenfeld die erste Gehörlose in Deutschland, die eine dreijährige Ausbildung zur Zahnmedizinischen Fachangestellten macht, früher Zahnarzthelferin genannt.

Der Bundeszahnärztekammer und dem Deutschen Gehörlosen-Bund liegen dazu keine Zahlen vor. "Aber es ist uns bisher nicht bekannt, dass es so etwas schon in Deutschland gab", erklärt der Vizepräsident des Gehörlosen-Bundes, Alexander von Meyenn.

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Seit dem 1. August arbeitet Kinga Ostrowski im Dentologicum, das im April dieses Jahres eröffnet wurde. "Ich möchte es allen zeigen, dass Gehörlose auch diese Ausbildung schaffen können", sagt sie in Gebärdensprache, die ein Dolmetscher in die Lautsprache übersetzt. Der Dolmetscher steht ihr für einige Stunden in der Woche zur Verfügung, begleitet sie in die Berufsschule. Anfangs hätten die hörenden Patienten des Dentologicums sehr überrascht reagiert, wenn sie sich als Gehörlose vorstellte, berichtet Ostrowski. "Aber sie fanden es toll, dass ich diese Lehre machen kann."

Ostrowskis Ausbilderin ist die hörende Zahnärztin von Schuler Alarcón aus Venezuela, die die Gebärdensprache spricht. Auf ihre Initiative geht es zurück, dass das Dentologicum nun auch rund 200 gehörlose Patienten hat. "Mein Traum war es immer, mit Gehörlosen zu arbeiten", berichtet sie. Ihre Patienten kommen aus mehreren Bundesländern und nehmen zum Teil Hunderte Kilometer Fahrt auf sich. Nach Angaben des Gehörlosen-Bundes gibt es bundesweit viel zu wenige Ärzte, die die Gebärdensprache mehr oder weniger beherrschen. Schätzungen zufolge leben in Deutschland etwa 80 000 Gehörlose.

Für viele von ihnen sei es schwierig, den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu schaffen, berichtet von Meyenn. Oft werde Gehörlosen zu Berufen "im stillen Kämmerlein" wie technischer Zeichner oder Zahntechniker geraten. Deshalb sei es sehr erfreulich, dass Taube wie Ostrowski inzwischen auch andere Ausbildungsplätze finden. Neben der 30-Jährigen hat im Dentologicum auch eine hochgradig Schwerhörige ihre Ausbildung begonnen. Die 21-jährige Vanessa Wadewitz trägt zwar an beiden Ohren ein Hörgerät, ist aber trotzdem stark auf das Lippenlesen angewiesen. Weil sie den Mund der Zahnärztin von Schuler Alarcón während der Behandlung schlecht sehen kann, kommunizieren auch die beiden über die Gebärdensprache.

Für viele Fachbegriffe gibt es nach Angaben der Zahnärztin noch gar keine Gebärde. Die entwickelt sie nun gemeinsam mit ihren Auszubildenden, erstellt dazu Videos und will die Ergebnisse in einem Buch präsentieren. "Viele Gehörlose wollen dieses Pilotprojekt mitverfolgen", sagt von Schuler Alarcón. Auch mehrere hörende Mitarbeiter des Dentologicums haben sich schon gemeldet, weil sie Begriffe aus der Gebärdensprache lernen möchten. Aber es dauert seine Zeit, bis man sie wirklich flüssig beherrscht. "Man braucht dafür so lange wie für eine Fremdsprache", erklärt von Meyenn.

Grundsätzlich hat nach seinen Angaben zwar jeder Gehörlose das Recht, bei einem Arztbesuch von einem Dolmetscher begleitet zu werden. Doch die Hemmschwelle sei hoch und manch einer gehe deshalb viel zu spät zum Arzt, sagt von Meyenn. Deshalb sei es wichtig, dass es mehr medizinisches Personal gebe, das die Gebärdensprache könne. "Es geht um das Gefühl, aufgehoben zu sein."

So fühlt sich nun auch die taube Rosemarie Albrecht, die seit fünf Monaten bei von Schuler Alarcón in Behandlung ist. Bei anderen Zahnärzten habe sie viele Missverständnisse erlebt, berichtet sie in Gebärdensprache. "Hier gibt es keine Kommunikationsbarrieren."

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