Jeder fünfte Arbeitnehmer ist gefährdet. Die Zahl der Krankmeldungen ist stark gestiegen. Hamburg nimmt dabei eine Spitzenposition ein.

Hamburg. Mediziner warnen vor einer neuen Volkskrankheit in Deutschland. "Burn-out nimmt stark zu und ist wie eine psychosoziale Epidemie", sagt Professor Stephan Ahrens, Leiter des Psychosomatischen Fachzentrums Falkenried in Hamburg. Untersuchungen in Unternehmen hätten gezeigt: 20 Prozent aller Erwerbstätigen seien aufgrund von beruflichen und privaten Belastungen gefährdet, ein Burn-out zu erleiden.

Immer mehr Menschen begeben sich wegen des "vegetativen Erschöpfungssyndroms", an dem jetzt auch der zurückgetretene Schalke-Trainer Ralf Rangnick erkrankte, in ärztliche Behandlung. Bundesweit ist die Anzahl der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen in den vergangenen elf Jahren um fast 60 Prozent gestiegen. Die Diagnose "Depression" steht an Platz eins bei den Krankschreibungen, Burn-out bereits an Platz vier.

Hamburg nimmt dabei eine Spitzenposition ein: 2010 wurde jeder sechste Fehltag in Hamburger Betrieben durch psychische Erkrankungen verursacht. Im Bundesdurchschnitt war es nur jeder achte Fehltag.

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Eine gesicherte Erklärung, warum in Hamburg das Risiko einer psychischen Erkrankung höher ist, gibt es nicht. Man weiß aber, welche Personengruppen besonders Burn-out-gefährdet sind: Lehrer, Ärzte und Mitarbeiter in Unternehmen der freien Wirtschaft. "Solche Erschöpfungszustände treten besonders häufig in Dienstleistungsberufen auf, in denen es viel um mitmenschliche Beziehungen geht", sagt Dr. Hans-Peter Unger, Leiter des Zentrums für seelische Gesundheit an der Asklepios-Klinik Harburg.

Wichtig ist auch die Position, die man in seinem Job einnimmt. "So haben Berufstätige, die nach oben Verantwortung tragen, diese aber nach unten nur schlecht durchsetzen können, ein erhöhtes Risiko", erklärt Ahrens. Außerdem haben die Anforderungen im Beruf stark zugenommen, mit der Folge, dass auch die Kollegialität leidet: "Das Verständnis füreinander hat nachgelassen und ist einer Wettkampfmentalität gewichen", sagt Ahrens.

Dabei ist Burn-out nicht unbedingt eine Frage des Alters. "Wir haben in unserer Praxis Patienten zwischen 20 und 60 Jahren, die an einem Burn-out leiden. Aber meistens sind es Menschen im Alter zwischen Mitte 30 bis Ende 40, also in der Zeit, in der Familiengründung und der Aufbau einer beruflichen Karriere zusammenfallen", sagt Nadja Behling, Ärztin im Psychosomatischen Fachzentrum Falkenried.

Es trifft oft auch diejenigen, die sich am meisten engagieren. Denn die Persönlichkeit eines Menschen spielt ebenfalls eine Rolle. Wer sehr perfektionistisch ist und dazu neigt, die eigenen Grenzen zu überschreiten, hat ein höheres Burn-out-Risiko als jemand, der auch mal fünfe gerade sein lassen kann. "Richtig gefährdet ist man, wenn man Probleme im Beruf hat und gleichzeitig keinen Ausgleich im Privatleben", warnt Ahrens.

Wer so erschöpft ist, dass er auch an Wochenenden und im Urlaub keine Erholung mehr findet oder dass die Symptome bereits seinen Alltag beeinträchtigen, sollte professionelle Hilfe suchen. "In der Therapie geht es nicht darum, Stress aus dem Wege zu gehen, sondern den richtigen Umgang damit zu finden", sagt Unger.

Erst seit Kurzem ist dem Burn-out-Syndrom im ärztlichen Diagnose-Schlüssel eine eigene Position eingeräumt. Unter dem EinteilungskürzelICD 10 Z 73 werden "Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung" diagnostiziert. 2010 verzeichnete die Techniker Krankenkasse unter ihren 3,51 Millionen Mitgliedern bundesweit 9248 Fälle von Burn-out. Damit übertreffen sie bereits etwa die Zahl von Krampfader-Behandlungen.