Gülle stand im Verdacht, EHEC zu verbreiten. Warum die Bauern trotzdem nicht ohne diese Düngung auskommen und was beachtet werden muss.

Hamburg. Der Bann ist vom Tisch: Salat, Gurken und Tomaten dürfen wieder verzehrt werden. Das anfängliche Schreckensszenario, Gülle hätte die EHEC-Bakterien auf das Gemüse gespült, ließ sich nicht bestätigen. Aber: In Tierfäkalien sind EHEC-Erreger nachweislich enthalten. Die Spurensuche führt deshalb auch weiter hinaus auf den Acker, wo der Kot der Tiere für die Düngung genutzt wird. Aber wie genau läuft eine Düngung tatsächlich ab? Welche Richtlinien und Regeln müssen eingehalten werden, damit sie die Umwelt nicht gefährdet? Die wichtigsten Fakten.

Woraus besteht Gülle und wieso ist sie für die Düngung von Pflanzen wichtig?

Gülle besteht hauptsächlich aus Urin und Kot landwirtschaftlicher Nutztiere. Sie enthält Nährstoffe, die für das Pflanzenwachstum unverzichtbar sind. Dazu gehören Stickstoff, Phosphor oder Kalium. Der Boden verfügt zwar von Natur aus über beträchtliche Nährstoffressourcen. Diese werden ihm jedoch mit jeder Ernte entzogen und durch das Düngen nachgeliefert.

Wodurch unterscheiden sich organischer und mineralischer Dünger?

Als organischen Dünger, der auch Wirtschaftsdünger genannt wird, bezeichnet man Tierdung: Gülle (Kot und Urin gemischt), Jauche (ausschließlich flüssige Exkremente) und Mist (Kot und Stroh). Mineraldünger werden demgegenüber künstlich hergestellt und meist aus Bergwerken gewonnen (z. B. für Kalium und Magnesium). Im Gegensatz zur Wirkung von Mineraldünger ist diejenige von organischem Dünger nicht klar vorherzusagen, da die Nährstoffe (z. B. Stickstoff und Schwefel) aus organischen Düngemitteln zunächst im Boden mineralisiert werden müssen und der Prozess sehr wetterabhängig ist.

Wie viel Gülle fällt innerhalb eines Jahres in Deutschland an?

Laut Statistischem Bundesamt gab es zum Zeitpunkt der letzten Datenerhebung 2009 rund 13 Millionen Rinder und ca. 27 Millionen Schweine in Deutschland. Sie hinterlassen einen Großteil der Güllemenge: Studien zufolge fallen jährlich rund 175 bis 200 Millionen Kubikmeter Rinder- und Schweinegülle an.

Was genau passiert mit den Tierexkrementen, bis sie als Dünger auf den Feldern verteilt werden?

Die Gülle wird üblicherweise nicht extra behandelt, sondern gelangt, nach einer bestimmten Lagerungszeit, direkt auf die Ackerflächen. Wirtschaftsdünger werden nach Angaben des Deutschen Bauernverbands (DBV) in Güllebehältern oder auf Mistplatten gesammelt, bis die Felder zu Beginn der Vegetationsperiode mit neuen Nährstoffen angereichert werden dürfen. Landwirte lassen die Ackerflächen dann zunächst analysieren, um zu erfahren, welche Nährstoffe dem Boden fehlen. Sie können die Düngemittel anschließend gezielt auf die Felder ausbringen. Im Bereich der ökologischen Landwirtschaft fällt laut Bund Ökologische Landwirtschaft (BÖLW) derweil vor allem Mist in den Betrieben an. "Normalerweise wird der Mist nach der Ernte auf dem Feld untergearbeitet", sagt Peter Röhrig vom BÖLW. Zum Einsatz kommt der Dünger in diesem Fall vor allem auf Getreide-, Raps- und Mais-Feldern. Im Gemüseanbau wird laut Röhrig allenfalls stärker verrotteter Mist-Kompost zur Düngung der Felder eingesetzt. Auf den Einsatz von leicht löslichem, mineralischem Dünger verzichten ökologische Betriebe hingegen grundsätzlich. Alternativ nutzt man hier Pflanzen wie die Luzerne oder den Klee, die Luftstickstoffe im Boden binden können, um sie auf diese Weise den Pflanzen zugänglich zu machen.

Gibt es Fristen und Verordnungen, die bei der Nutzung und Lagerung von Gülle beachtet werden müssen?

Die europäische Nitratrichtlinie sowie verschiedene Verordnungen in Deutschland regeln die Lagerung und Düngemittelnutzung. Vorgegeben ist etwa, dass die Betriebe Lagerkapazitäten besitzen müssen, die es ihnen ermöglichen, die Gülle mindestens sechs Monate lang aufzubewahren und erst dann auszubringen, wenn ein Nährstoffbedarf der Kulturpflanzen besteht. In den Wintermonaten (1. November bis 31. Januar) sieht die Düngeverordnung zudem ein Gülle-Ausfahrverbot für Ackerland vor, da der Boden in dieser Zeit häufig gefroren ist.

Wer kontrolliert die sachgemäße Lagerung und Ausbringung der Gülle?

"Einerseits überprüfen die Länderbehörden die Einhaltung der Düngeverordnung. Andererseits kontrolliert die EU die Einhaltung der Düngestandards im Rahmen der sogenannten 'Cross Compliance'-Vorschriften", sagt Steffen Pingen, Umweltreferent des Deutschen Bauernverbands. Sollten Betriebe nachweislich gegen diese Richtlinie verstoßen, müssen sie damit rechnen, unterstützende Direktzahlungen aus Brüssel einzubüßen.

Was passiert mit den Gülleresten, die die Landwirte nicht in ihrem eigenen Betrieb nutzen können?

Es gibt verschiedene Güllebörsen, an denen Wirtschaftsdünger gehandelt wird. "Für viele Ackerbaubetriebe ist das ein Segen, da die Preise für Mineraldünger im Gegensatz zu denjenigen für organischen Dünger sehr hoch sind", sagt Prof. Mühling. Im Ökolandbau wird das Problem der Güllereste nach Informationen vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) dadurch vermieden, dass es eine Begrenzungsregel gibt: Die Anzahl der Tiere eines Betriebs steht immer in Relation zur bewirtschafteten Fläche.

Wird der Kot von Tieren, die zuvor mit Antibiotika behandelt worden sind, ebenfalls als Dünger verwendet?

"Gülle wird üblicherweise nicht vorbehandelt, bevor sie auf die Felder gelangt. Das bedeutet, dass sie auch Urin und Kot von Tieren enthalten kann, die zuvor mit Antibiotika behandelt worden sind", sagt Prof. Stefan Gäth vom Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement an der Universität Gießen. Er hat verschiedene Untersuchungen zu Antibiotika in Gülle und Kot von Nutztieren vorgenommen. Diese haben gezeigt, dass sich die Antibiotika in geringen Konzentrationen im Boden anreichern und auch Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum haben können. "Es kann aber auch ein Grund dafür sein, dass Bakterien heutzutage mitunter resistent auf Antibiotika reagieren", sagt Gäth.

Können EHEC-Bakterien in Gülle überleben?

Ja, das können sie. "Wir wissen, dass sie in angetrocknetem Kot oder in der Gülle über Monate lebensfähig bleiben und dadurch auch auf Felder gelangen können", sagt Prof. Georg Baljer vom Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten für Tiere an der Universität Gießen. E.coli-Bakterien sind ein normaler Bestandteil der Darmflora von Wiederkäuern. "Einige von ihnen haben aber im Laufe der Evolution krank machende Eigenschaften erworben", so Baljer. Was der Auslöser dafür ist, kann nicht sicher gesagt werden.

Es gibt Vermutungen, dass die krank machende Variante HUSEC 041 im Menschen entstanden ist. Ist das Rind damit als Urheber der jetzigen Epidemie ausgeschlossen?

"Der neue EHEC-Erreger, der die Epidemie in Deutschland ausgelöst hat, besitzt nicht die Anheftungseigenschaften der klassischen EHEC an die Zellen der Darmwand. Die neue Variante HUSEC 041 besitzt Anheftungseigenschaften der enteroaggregativen E.coli (EAEC), die im Rahmen einer Doktorarbeit allerdings auch im Rinderkot nachgewiesen werden konnten. Die Quelle ,Rind' als Ursprung für die EHEC-Epidemie kann, vor allem auch wegen der Multiresistenz des Erregers, somit nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Die Quelle ist weiter offen", sagt Prof. Baljer.

Kommen Gemüse oder Obst überhaupt mit Gülle in Berührung?

Tomaten und Gurken werden in Gewächshäusern angebaut. Düngung und Bewässerung erfolgen mithilfe einer computergesteuerten Tröpfchenbewässerung. "Dabei kommt ausschließlich mineralischer Dünger zum Einsatz, was eine Belastung des Gemüses mit EHEC-Bakterien unmöglich macht", sagt Jochen Winkhoff, Geschäftsführer der Bundesfachgruppe Gemüsebau.

Welche Gefahren bestehen bei einer nicht sachgemäßen Handhabung oder Lagerung von Gülle?

Wird Gülle zu Jahreszeiten ausgebracht, in denen der Boden die darin enthaltenen Nährstoffe nicht aufnehmen kann, steigt die Gefahr einer Einsickerung oder Abschwemmung in Grund- und Oberflächenwasser. Einige Gülle-Inhaltsstoffe können eine Eutrophierung, also eine Überdüngung der Gewässer zur Folge haben, das Algenwachstum fördern und Fischsterben auslösen. Bei der Trockenheit, die dieses Jahr aufgrund ausbleibenden Niederschlags geherrscht hat, ist es nach Ansicht von Prof. Baljer zudem denkbar, dass die Ursache der EHEC-Epidemie in fäkal-kontaminiertem Gießwasser liegen könnte. Wenn z. B. beim Ausbringen von Gülle die vorgeschriebenen Abstände zu Oberflächengewässern nicht eingehalten werden, können diese kontaminiert werden und eine Quelle für die Verbreitung des Erregers sein.