Mit dem “European Extremely Large Telescope“, einem Großteleskop der Extraklasse, wollen Astronomen außerirdisches Leben aufspüren.

Hamburg. Wenn wir nachts zum Himmel blicken, brauchen unsere Pupillen einige Sekunden, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen: Je stärker sie sich weiten, desto mehr Licht fällt auf die Netzhaut, sodass wir auch schwach leuchtende Sterne erkennen können. Dennoch läge das Universum für uns weitestgehend im Dunkeln, gäbe es nicht Teleskope, die immer leistungsfähiger werden - und größer: Musste sich Galileo Galilei vor 400 Jahren noch mit einem armlangen Instrument begnügen, nutzen Forscher heute Armaturen im Format mehrstöckiger Häuser.

Gar die Maße eines Fußballstadions erreichen wird das weltweit größte Exemplar, das ab Juni in der Atacamawüste im Norden Chiles gebaut werden soll: "European Extremely Large Telescope" (EELT) nennen es seine Entwickler vorläufig. Das Herzstück der Anlage ist ein Hauptspiegel mit 42 Meter Durchmesser; mit ihm wird das Gerät acht Millionen Mal mehr Licht pro Sekunde sammeln können als Galileos Ur-Teleskop - und 100 Millionen Mal mehr Licht als das menschliche Auge.

Im Wettstreit um die Erforschung des Weltalls ist das EELT ein Beleg für die zunehmende Stärke Europas, so sieht es zumindest die Europäische Südsternwarte Eso, deren 15 Mitgliedstaaten die Kosten - eine Milliarde Euro - stemmen wollen. Obwohl die Fertigstellung erst für 2018 geplant ist, spricht die Eso schon jetzt vom "größten Auge der Welt ins All". Zwei US-Forschergruppen planen zwar ähnliche Riesenteleskope, doch sowohl das "Giant Magellan Teleskop" (GMT) als auch das "Thirty Meter Teleskope" (TMT) werden wohl mit einem Hauptspiegel-Durchmesser von 25 bzw. 30 Metern unter dem Wert des EELT bleiben.

Das Teleskop kann bis zu 30 Lichtjahre entfernte Sonnensysteme durchsuchen

Die höhere Leistungsfähigkeit ihres Superauges, hoffen die Eso-Forscher, wird ihnen dabei helfen, als Erste zu schaffen, wovon viele Astronomen träumen: "Wir wollen nachweisen, dass es außerhalb unseres Sonnensystems erdähnliche Planeten gibt und dass dort Leben existiert", sagt der wissenschaftliche Leiter Markus Kissler-Patig. Das Teleskop werde in der Atmosphäre von bis zu 30 Lichtjahren entfernten Objekten nach "Biomarkern" wie flüssigem Wasser und Sauerstoff suchen können - Stoffen, die Leben ermöglichen.

Bisher war das nicht möglich. Die meisten Planeten, die nicht unsere Sonne, sondern ferne Sterne umkreisen, sind für Astronomen nicht einmal direkt sichtbar. Zwar wurden bereits vor 19 Jahren die ersten dieser sogenannten extrasolaren Planeten, kurz Exoplaneten, aufgespürt. 2010 wurde bereits Nummer 500 registriert, erst gestern gab die Nasa die Entdeckung des Planeten Kepler-10b bekannt. Doch von Beweisen kann nicht die Rede sein. Die räumliche Auflösung aktueller Teleskope reicht nicht aus, um Exoplaneten und ihre Sterne getrennt darzustellen, weil die Trabanten nur sehr schwach leuchten und von ihren vielfach helleren Muttersternen überstrahlt werden. Belege erbrachten Astronomen bisher nur indirekt, etwa durch die Radialgeschwindigkeitsmethode: Während der Planet seinen Stern umkreist, ziehen sich die beiden Körper an. Zwar ist die Kraft des Sterns stärker und hält den Planeten auf seiner Bahn, dennoch schafft es der Planet hin und wieder, den Stern zum "wackeln" zu bringen. Diese minimalen Abweichungen können Astronomen messen und als Beleg für die Existenz des Trabanten werten.

Das EELT soll solche weit entfernten, nah beieinanderliegenden Objekte schärfer darstellen. Während aktuelle Riesenteleskope Licht auf einer Fläche von höchstens 50 Quadratmetern einfangen, werde der Hauptspiegel des EELT über eine Lichtsammelfläche von 1300 Quadratmeter verfügen und so bis zu 15-mal mehr Licht empfangen können; zudem werde seine Winkelauflösung, also der kleinste Winkel, unter dem es zwei punktförmige Quellen noch getrennt wahrnehmen könne, fünfmal größer sein, sagt Kissler-Patig.

Die extrem hohe räumliche Auflösung von Objekten, die sichtbares Licht ausstrahlen, ist auch der entscheidende Vorteil des EELT gegenüber Weltraumteleskopen wie Hubble und dessen geplantem Nachfolger, dem James-Webb-Teleskop. Letztere sind zwar sehr empfindlich für infrarotes Licht, das von extrem weit entfernten Objekten stammen kann, was sie für die Erforschung des frühen Universums prädestiniert; ihre räumliche Auflösung ist jedoch vergleichsweise gering. Hier ist das EELT wegen seines weit größeren Spiegels besser, allerdings muss es mit einer Herausforderung fertig werden: Das Licht aus dem All - und damit das Abbild von Sternen und Exoplaneten - wird in der Erdatmosphäre verzerrt.

Deshalb verpassen die Ingenieure dem EELT eine sogenannte adaptive Optik: Einer der fünf Spiegel ist verformbar, er kann bis zu 100-mal pro Sekunde scharf stellen, vergleichbar mit dem Autofokus einer Kamera, und die Verzerrungen so korrigieren. Wie das System korrigieren muss, erfährt es durch vier Laser: Sie erzeugen in der oberen Atmosphäre künstliche Leitsterne, Lichtpunkte, die zeigen, wie die Atmosphäre das Licht beeinflusst.

Obwohl das EELT rund 5000 Tonnen wiegen wird, will die Eso sicherstellen, dass der Koloss sich extrem stabil zum Himmel richten lässt und die bestmögliche Sicht genießt. Deshalb fiel die Wahl auf die Atacamawüste: Dort ist der Himmel 350 Tage im Jahr wolkenfrei, Luftströmungen haben nur wenig Kraft. Auf dem Berg Cerro Paranal betreibt die Eso bereits die Paranal-Sternwarte mit dem "Very Large Telescope" (VLT); 20 Kilometer davon entfernt soll nun auf dem 3064 Meter hohen Berg Cerro Armazones das EELT entstehen. Dafür wird die Bergspitze 20 Meter abgetragen, um ein Plateau zu schaffen. Weil der Hauptspiegel viel zu groß sein wird, um ihn komplett zu liefern, soll er vor Ort aus 984 Segmenten zusammengesetzt werden.

Bis zum Start soll schon ein Katalog der "bewohnbaren" Planeten entstehen

Das EELT werde alle bekannten Exoplaneten ausspähen, insbesondere aber Gesteinsplaneten, die in einer "bewohnbaren Zone" lägen, sagt Markus Kissler-Patig. Dies treffe auf Objekte zu, die in einem ähnlichen Abstand um ihren Mutterstern kreisten wie die Erde um die Sonne: Nicht zu nah, sonst könnte an ihrer Oberfläche durch die extreme Hitze des Sterns statt flüssigem Wasser nur Gas existieren, aber auch nicht zu weit entfernt, dann wäre es dort zu kalt und es existierte nur Eis.

Die Zeit bis zur Fertigstellung ihres neuen Riesenteleskops wollen die Eso-Forscher nutzen, um empfindlichere Instrumente für ihre aktuellen Geräte zu bauen, mit denen sie einen Katalog der bewohnbaren Exoplaneten erstellen wollen. "Ab 2018", sagt Markus Kissler-Patig, "werden wir dann nicht nur sehen, ob diese Planeten tatsächlich bewohnbar sind, sondern auch, welche Lebensformen dort existieren."

Video: European Extremely Large Telescope (E-ELT)

Quelle: Eso