Vattenfall-Manager Pieter Wasmuth und Klimaforscher Mojib Latif fordern eine autofreie Innenstadt und loben Gebäude-Isolierungen.

Hamburg. Pieter Wasmuth, 44, rückt die silbernen Manschettenknöpfe seines Oberhemds zurecht, wirft einen konzentrierten Blick auf den Mann, der ihm auf dem Podium des Bechstein-Saals in der Europa-Passage gegenübersitzt. Beim Abendblatt-Forum "Klimaschutz in Hamburg" schlug Wasmuth, der designierte Chef von Vattenfall Hamburg, Töne an, die dem renommierten Klimaforscher Mojib Latif, 56, wohl oftmals dissonant erschienen. Im Rahmen der Hamburger Klimawoche lieferten sich die zwei Experten über weite Strecken heiße Wortgefechte.

Wie wird es im Jahr 2050 um den Klimaschutz in der Hansestadt bestellt sein? Was kann jetzt getan werden, damit die Metropole den Titel "Umwelthauptstadt", der ihr für das Jahr 2011 von der EU-Kommission verliehen wurde, auch in Zukunft trägt? Einen Kernpunkt der Diskussion am Donnerstagabend bildete das im Bau befindliche Kohlekraftwerk Moorburg an der Süderelbe - eine nicht versiegende Quelle für kontroversen Gesprächsstoff.

Der gebürtige Hamburger Latif, Professor für Meteorologie im Geomar-Institut der Universität Kiel, eröffnete die Kontroverse: "In Hamburg besteht sehr viel Nachholbedarf beim Klimaschutz. Wir müssen an die großen Umweltsünder heran. Musste Moorburg tatsächlich so gebaut werden?" Er bezweifelte, dass es mit dem Steinkohlekraftwerk von Vattenfall, das im Jahr 2012 in Betrieb gehen soll, überhaupt möglich ist, die ambitionierten Klimaziele zu erreichen. Denn nach Hochrechnungen wird es mehr als neun Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in die Atmosphäre freisetzen - und damit den heutigen Ausstoß um mehr als 50 Prozent erhöhen. Dies steht im Gegensatz zum Ziel der Stadt, bis 2020 die Kohlendioxid-Emission im Vergleich zum Jahr 1990 um 40 Prozent zu senken. Kraftwerksgegner kritisieren zudem, dass trotz des Einsatzes der sogenannten Kraftwärme-Kopplung, mit der gleichzeitig Strom und Wärme für Heizzwecke gewonnen werden, viel Abwärme in die Elbe gelangt, die die Flora und Fauna gefährdet.

Pieter Wasmuth, ehemaliger Chef des Windenergiekonzerns Repower, sah sich als Vattenfall-Chef in spe in einer neuen Rolle. Er relativierte den zusätzlichen CO2-Ausstoß: "Das ist eine Frage, wie man die Berechnung anstellt." Im Übrigen ersetze das neue Kraftwerk das veraltete Heizkraftwerk in Wedel. Unter dem Strich werde dadurch der Atmosphäre jährlich eine halbe Million Tonnen CO2 erspart.

Die Genehmigung zum Bau des Kraftwerks erteilte der Senat dem schwedischen Energiekonzern im Jahr 2008 indes nur unter strengen Umweltauflagen. Zum Beispiel musste das Unternehmen eine hochmoderne Fischtreppe an der Staustufe in Geesthacht errichten lassen. "Diese haben wir heute eingeweiht", sagte Wasmuth und signalisierte damit, dass sein Unternehmen offen für Umweltprojekte ist. Außerdem sei, verteidigte der Vattenfall-Manager das rund 2,6 Milliarden Euro teure Großprojekt Moorburg, die Investitionsentscheidung damals von einer politischen Mehrheit getragen worden. Diese Aussage brachte Latif in die Offensive: "Können Sie, Herr Wasmuth, so viel Druck auf die Politik ausüben, dass diese Ihrem Willen folgt?", fragte er. Wasmuth reagierte mit Ironie: "Das wäre ein fantastischer Zustand."

Beim Thema "Umweltfreundliche Mobilität" näherten sich die Diskutanten hingegen an. In Hamburg muss und wird in Zukunft viel getan werden, lauteten ihre Botschaften. "Hamburg braucht eine autofreie Innenstadt, die mindestens bis zum ersten Ring, also dem Verlauf des Wallrings, reicht", forderte Latif. Der öffentliche Nahverkehr sei so gut aufgestellt, dass ein Auto bei Fahrten in die City gar nicht gebraucht werde. Noch besser wäre es, wenn die Autofreiheit erst am zweiten Ring ende. Nach dem Vorbild anderer Großstädte wie zum Beispiel London könne damit außerdem ein Großteil des Schadstoffausstoßes vermieden werden. Weiterhin sei der vermehrte Gebrauch der öffentlichen Verkehrsmittel eine große Chance. "Ich selbst fahre liebend gern mit dem Bus", sagte er.

Wasmuth blies ins gleiche Horn, ergänzte aber, dass viele Menschen auf das Auto angewiesen seien, zum Beispiel durch das berufliche Pendeln: "Wir müssen auch im individuellen Nahverkehr auf neue Technologien setzen." Sein Energieunternehmen will deshalb im kommenden Jahr einen Feldversuch starten. Nach dem Vorbild Berlins sollen in Hamburg 50 Elektro-Kleinwagen (Smarts) auf die Straße kommen. Und er ergänzte: "Denkbar ist auch eine City-Maut, die zum Beispiel 10 Euro kosten könnte."

Ebenfalls Einigkeit herrschte beim Thema Energiesparen. "Absolut grundlegend ist die Frage, wie wir mit der Energie umgehen. Hier liegt ein gigantisches Sparpotenzial von geschätzt 20 Prozent", konstatierte Latif - Wasmuth nickte zustimmend. Einen besonders großen Nachholbedarf beim Energiesparen sah Latif im Wärmeschutz von Gebäuden. Denn rund 40 Prozent der verbrauchten Energie wird zum Heizen (Raumwärme und Wasser) verwendet. Nach dem Energiekonzept der Bundesregierung sollen alle Häuser im Jahr 2050 klimaneutral sein, dabei spielt die Wärmedämmung eine Hauptrolle. "Hier gilt es Konzepte zu entwickeln, die weder den Mieter noch den Vermieter zu stark belasten, zum Beispiel durch mehr staatliche Fördermittel", forderte Latif.

Seit fast zwei Jahrzehnten engagiert sich der Meteorologe für mehr Klimaschutz. "Was wir heute sehen, ist nicht die Klimakatastrophe. Es sind nur die ersten Anzeichen. Das dicke Ende kommt noch", warnte er das Publikum. Von Pieter Wasmuth erhofft er sich, dass der neue Hamburg-Chef im wahrsten Wortsinn frischen Wind in sein Unternehmen bringt.

Mit Blick auf seinen vorherigen Job bei Repower sagte Wasmuth: "Ich bin aus der Wohlfühlecke herausgetreten, um jetzt bei Vattenfall etwas zu bewegen." Auch in Richtung Klimaschutz.