Bei der vorzeitigen Geburt wog das Baby gerade einmal 600 Gramm. Hamburger Ärzte hatten für den Eingriff nur eine Dreiviertelstunde Zeit.

Hamburg. Tim hatte es besonders eilig, auf die Welt zu kommen. "In der 24. Schwangerschaftswoche bekam ich plötzlich Wehen, die nicht mehr zu stoppen waren. Sie kamen wie aus heiterem Himmel. Bis dahin war alles völlig unkompliziert verlaufen", erzählt Mutter Katharina*. Am 30. Januar kam der kleine Junge per Notkaiserschnitt auf die Welt. Er wog nur 600 Gramm, musste künstlich beatmet und ernährt werden. Was die Ärzte im Pränatalzentrum des Altonaer Kinderkrankenhauses und die Eltern besonders sorgte: Der erste Stuhlgang von Tim ließ auf sich warten. Trotz ärztlicher Maßnahmen setzte er kein Kindspech (Mekonium) ab, wie der erste Stuhlgang eines Neugeborenen genannt wird. Tim hatte einen Darmverschluss - und musste deshalb schon als ungewöhnlich kleines Frühchen operiert werden.

Bei Frühgeborenen ist eine solche Komplikation gar nicht so selten. "Bei den Babys, die weniger als 1500 Gramm wiegen, liegt die Häufigkeit bei ein bis zwei Prozent. Und je früher ein Kind auf die Welt kommt, umso größer ist das Risiko", sagt Professor Konrad Reinshagen, Chefarzt der Kinderchirurgie im Altonaer Kinderkrankenhaus. Die Ursache für einen solchen Verschluss: Das Nervengeflecht, das die Darmtätigkeit steuert, ist bei einem Frühgeborenen noch nicht ausgereift, sodass das zähe Kindspech nicht richtig transportiert wird. "Dann kommt es zum Stopp. Vor dem Verschluss weitet sich der Darm auf. Und je stärker er sich aufweitet, umso schlechter wird die Funktion. Denn durch den zunehmenden Druck auf die Wand kann der Darm sich immer schlechter zusammenziehen. Die Kinder geraten dadurch in einen Teufelskreis hinein, aus dem sie allein nicht mehr herauskommen", erklärt der Kinderchirurg.

Wird eine solche Situation nicht rechtzeitig erkannt, kann der Darm reißen, das Kindspech in die Bauchhöhle gelangen und zu einer lebensbedrohlichen Bauchfellentzündung führen.

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Eine andere, weitaus gefährlichere Ursache für Darmverschlüsse, die ebenfalls häufiger bei Frühgeborenen als bei reifen Neugeborenen vorkommt, ist eine besondere Form der Darmentzündung. "Weil der Darm noch nicht ausgereift ist, ist auch sein Immunsystem noch nicht so stark. Dadurch wandern Bakterien in die Darmwand ein und zerstören Teile des Darms. Die Kinder vertragen die Nahrung nicht mehr gut, es fließt Gallenflüssigkeit aus dem Darm zurück. Diese Erkrankung ist sehr viel gefährlicher, weil es zu einer schweren Blutvergiftung kommen kann und auch weil eventuell ein Teil des Darmes entfernt werden muss", sagt Reinshagen.

Bei Tim konnten die Ärzte den Verschluss rechtzeitig erkennen und beseitigen. In seiner zweiten Lebenswoche wurde der kleine Junge von Reinshagen operiert. "Die Bauchhöhle wird eröffnet und mit weichen Tupfern vorsichtig inspiziert. Dort, wo sich der Verschluss befindet, wird der Darm nach außen abgeleitet und vorübergehend ein künstlicher Darmausgang angelegt. Wichtig ist dabei, den zarten, empfindlichen Darm so wenig wie möglich zu berühren. Die Verwendung von scharfen Instrumenten ist tabu ", erklärt Reinshagen. Denn dadurch kann es zu Verwachsungen und zu weiteren Schädigungen des Darms kommen. Und der Eingriff muss möglichst schnell erfolgen, damit der winzige Körper des Frühchens nicht zu stark belastet wird. "Die OP sollte nicht länger als eine Dreiviertelstunde dauern, weil sonst die Gefahr besteht, dass der Körper auskühlt, dass es zu Blutungen im Gehirn kommt oder der Stoffwechsel des Kindes entgleist", sagt Reinshagen. Bei Tim verlief der Eingriff ohne Probleme, und er hat sich gut davon erholt.

Der kleine Patient macht jetzt Fortschritte: Nachdem er in der Zeit um die Operation herum nochmals abgenommen hatte, liegt sein Gewicht jetzt wieder bei 660 Gramm, er muss nicht mehr künstlich beatmet werden, sondern erhält nur noch über eine Maske Sauerstoff. Und zum Kuscheln darf er für mehrere Stunden am Tag aus dem Brutkasten und auf dem Bauch seiner Mutter liegen.

Wenn Tim so viel zugenommen hat, dass er zwei bis zweieinhalb Kilogramm wiegt, wird der künstliche Darmausgang in einem kleinen Eingriff wieder zurückverlegt. "Dann hat er das alles überstanden, und es wird auch keine Folgeschäden geben. Selbst die Narbe auf dem Bauch wird später kaum zu sehen sein", sagt Reinshagen. Bis Tim nach Hause entlassen werden kann, werden allerdings noch einige Wochen vergehen.

* Die Eltern wollten mit ihrem Baby anonym bleiben