Bremer Forscher werten Patientendaten aus und stellen Anstieg von Herz-Kreislauf-Erkrankungen fest.

Fluglärm ist nicht nur lästig, sondern macht auch krank - und offenbar wesentlich stärker als bisher vermutet. Das ergab eine Studie des Bremer Mediziners und Epidemiologen Eberhard Greiser, über die jetzt das Nachrichtenmagazin "Spiegel" in seiner neuesten Ausgabe berichtet. Die Untersuchung belegt einen starken Anstieg von gefährlichen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfällen bei Flughafenanwohnern.

Für die im Auftrag des Umweltbundesamts erstellte Studie wurden die Krankenkassendaten von mehr als einer Million gesetzlich Versicherter aus der Umgebung des Flughafens Köln/Bonn ausgewertet, mit genauen Daten über Entlassungsdiagnosen von Patienten aus Krankenhäusern und Berichten über Todesursachen. Demnach haben zum Beispiel über 40-jährige Frauen, die tagsüber einer Fluglärmbelastung von 60 Dezibel und mehr ausgesetzt werden, ein fast doppelt so hohes Risiko, wegen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung in einer Klinik behandelt werden zu müssen, als Frauen aus Wohngebieten ohne Fluglärm. Bei Männern dieses Alters steige das Erkrankungsrisiko um 69 Prozent.

Die schwersten Auswirkungen zeigten sich laut den Ergebnissen auf das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Es stieg für Frauen bei Fluglärm am Tage um 172 Prozent und um bis zu 139 Prozent in der Nacht und wesentlich stärker als bei den Männern.

Auch das Risiko, an einer Verengung der Herzkranzgefäße zu erkranken, stieg bei Frauen, die tagsüber Fluglärm von 60 Dezibel ertragen mussten, um 80 Prozent und bei 55 Dezibel in der Nacht sogar um 110 Prozent. Auch hier lag das Erkrankungsrisiko bei Männern niedriger. Es stieg bei Fluglärm am Tag von 60 Dezibel um 61 Prozent und bei 55 Dezibel nachts um bis zu 37 Prozent.

Bei Frauen wurden zudem höhere Risiken für Brustkrebs und Leukämie in Fluglärm-Gebieten festgestellt, was in weiteren Untersuchungen noch abgeklärt werden müsste. Es sei denkbar, so Greiser im "Spiegel", dass Stress und Schlafentzug durch Fluglärm das körpereigene Immunsystem schwächen und damit die Verbreitung von Krebszellen begünstigen könnten. Dass Frauen anscheinend höheren Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind, führt der Wissenschaftler unter anderem auch darauf zurück, dass sie sich länger im Wohngebiet aufhalten als die meist berufstätigen Männer.

Die in der Studie gewonnenen Daten erlauben laut "Spiegel" auch Voraussagen über erwartbare Krankheitsfälle an anderen Flughäfen. Etwa zehn Jahre nach dem Ausbau von Berlin-Schönefeld zum Großflughafen müssten sich nach Greisers Berechnungen die umliegenden Krankenhäuser beispielsweise auf fast 5000 zusätzliche Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten einstellen, darunter etwa 1350 Männer und Frauen mit einem Schlaganfall. Durch umfangreichen Lärmschutz lasse sich die Zahl der Schlaganfall-Patienten auf etwa 950 verringern.

Diese neue Studie schließt sich an an eine Untersuchung, mit der die Bremer Wissenschaftler bereits vor drei Jahren auf die krank machende Wirkung von nächtlichem Fluglärm hingewiesen haben. Zusammen mit seinen Kollegen untersuchte Eberhard Greiser den Zusammenhang von nächtlichem Fluglärm und Arzneimittelverordnungen für vier Zeitfenster am Tage und in der Nacht. Grundlage waren die Daten von 809 379 gesetzlich Versicherten. Dabei fanden die Wissenschaftler heraus, dass mit der Intensität des Fluglärms auch die Verschreibung von Blutdrucksenkern, Herz-Kreislauf-Medikamenten, Beruhigungs- und Schlafmitteln sowie Medikamenten zur Behandlung von Depressionen zunahmen. Dieser Effekt war bei Frauen auch in der damaligen Studie deutlich stärker ausgeprägt als bei Männern. Eine Kombination von verschiedenen Arzneimittelgruppen, die auf eine schwerere Erkrankung hindeutet, wurde mit steigendem Fluglärm häufiger von Ärzten verordnet als Medikamente aus den einzelnen Arzneimittelgruppen allein. Um andere Ursachen für diese Beobachtungen auszuschließen, wurden auch zusätzliche Faktoren berücksichtigt, wie nächtlicher Straßen- und Schienenlärm sowie die Dichte von Alten- und Pflegeheimplätzen in den Gemeinden oder die Sozialhilfe-Häufigkeit eines Orts- oder Stadtteils.

Die stärksten Auswirkungen des Fluglärms wurden in der ersten Studie in der zweiten Nachthälfte zwischen 3 und 5 Uhr beobachtet. "Wenn man in der Traumschlafphase gestört ist, ist die Nacht gelaufen. Dann taugt der Schlaf der ganzen Nacht nichts. Und wir haben gefunden, dass das Risiko einer Beeinträchtigung durch Fluglärm desto stärker ist, je mehr Vorerkrankungen vorhanden sind", sagte Greiser damals im Bonner Generalanzeiger.