Das Abendblatt berichtete über zwei Frauen, die gemeinsam eine Tochter großziehen. Was ist aus medizinischer Sicht davon zu halten?

Das Abendblatt sprach mit Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Kinder- und Jugendpsychosomatik am UKE.

Hamburger Abendblatt: Ein lesbisches Paar lässt aus Dänemark Samen einfliegen, um ein Kind zu bekommen. Wie beurteilen Sie das?

Prof. Michael Schulte-Markwort: Letztlich unterscheidet sich dieser Zeugungsakt nicht von vielen anderen, die mithilfe der künstlichen Befruchtung, also IVF, durchgeführt werden. Meine Vorgängerin, Frau Prof. Berger, hat bereits vor zehn Jahren in einer großen Studie die psychischen Folgen für IVF-Kinder untersucht. Das Ergebnis: Die Kinder wachsen ganz normal auf.

Abendblatt: Welche Gefahren sehen Sie dann für das Kind?

Prof. Schulte-Markwort: Grundsätzlich keine. Die Entwicklung des Kindes steht und fällt mit der Qualität von Beziehung und Bindung. Das zeigen auch alle Studien, die zum Thema Adoption gemacht worden sind. Es ist zudem ein Mythos, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Beziehungen häufiger schwul oder lesbisch werden. Vielmehr gibt es Hinweise darauf, dass sie selbstbewusster und toleranter sind. Leiden tun sie unter der Stigmatisierung von außen, die trifft aber oft auch die Kinder von schwarzen Vätern.

Abendblatt: Aber es wird doch immer gesagt, dass Jungen Väter und Töchter Mütter als Vorbild brauchen ...

Prof. Schulte-Markwort: Stimmt. Wir wissen, dass Kinder von Alleinerziehenden ein erhöhtes Risiko haben, psychisch auffällig zu werden. Aber das liegt weniger daran, dass es nur einen Elternteil gibt, sondern an anderen Faktoren wie Armut, soziale Isolation, Überforderungen. Außerdem wachsen diese Kinder in dem Bewusstsein und mit dem Gefühl auf, von einem Elternteil verlassen worden zu sein. Das kann eine psychische Belastung sein, der ein Kind, das geborgen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung aufwächst, nicht ausgesetzt ist. Für eine gelungene psychische Entwicklung scheint es nicht so wichtig zu sein, dass ein Kind mit einem Vater- und Mutterbild in der Kernfamilie aufwächst, als wirklich nachhaltig geliebt und gefördert zu sein. Ich glaube, diese Kinder suchen sich Leitbilder außerhalb der Familie, das tun ja auch viele andere Kinder. Im Übrigen können Kinder auch unter einem ständig abwesenden Vater sehr leiden.

Abendblatt: Ihre Einschätzung verwundert. Lange haben Psychologen und Kinderpsychiater die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Beziehungen skeptisch betrachtet. Was hat sie zu einer Änderung bewogen?

Prof. Schulte-Markwort: Bis vor zehn Jahren sind auch wir den Mythen aufgesessen, obwohl es damals bereits Studien aus den USA gab, die zeigten, dass die Kinder nicht litten. Erst seit fünf Jahren werden diese Forschungsergebnisse langsam zur Kenntnis genommen, erst in diesem Jahr legten zwei Forscherinnen des Staatsinstituts für Familienforschung an der Uni Bamberg die erste deutsche Studie vor. Die vom Bundesjustizministerium beauftragte Studie ist sehr sorgfältig. Und zeigt einmal mehr: Entscheidend für die Entwicklung der Kinder ist nicht die Struktur der Familie, sondern die Qualität innerfamiliärer Beziehungen.

Abendblatt: Und was brauchen Kinder für ihre Entwicklung?

Prof. Schulte-Markwort: Alle Forschungsergebnisse belegen, dass die Qualität der Eltern-Kind-Beziehung der entscheidende Faktor für die kindliche Entwicklung ist. Man müsste eigentlich bei jeder Geburt die Risikofaktoren, die ja gut bekannt sind, erfassen. In Darmstadt gibt es bereits ein Modellprojekt. Dort werden die Risikofaktoren überprüft, und die Mutter bekommt dann entweder "grün", unbedenklich, "gelb", sie sollte Hilfen in Anspruch nehmen, oder "rot", es muss dringend etwas geschehen. Diese Hilfen sind viel wichtiger als die Frage, ob ein Kind bei Schwulen, Lesben oder sonst irgendwo geborgen aufwächst.