Sechsmal liegt der blaue Planet noch im grünen Bereich, nicht jedoch bei Treibhausgasen, Artensterben und Stickstoffeinsatz.

Von neun global lebenswichtigen Grenzwerten hat der Mensch bereits drei überschritten, berichtet eine internationale Forschergruppe. Derzeit werden zu viele Arten ausgerottet, wird die Atmosphäre zu sehr aufgeheizt und zu viel Stickstoff in die Umwelt gebracht, schreiben die Wissenschaftler im Journal "Nature" (Bd. 461, S. 472). Zu ihnen zählen unter anderen der Klimafolgenforscher Hans Joachim Schellnhuber (Potsdam) und Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen (Mainz).

Das neue Denkmodell soll dem Menschen zeigen, innerhalb welcher Grenzen er das System Erde ohne Gefahren für seine Zukunft nutzen kann. Die Rede ist von "globalen biophysikalischen Grenzen". Diese sollen einen "sicheren Handlungsraum" für die Menschheit zeigen, in dem sich viele weitere Generationen nachhaltig entwickeln könnten. Das Konzept soll leicht verständlich sein, etwa nach dem Motto: So lange Du genügend Abstand zum Vordermann hast, kannst Du durchaus 130 Kilometer in der Stunde fahren.

Demnach gibt es neun globale Limits (siehe Extratext). "Wenn sie überschritten werden, dann können bedeutende Systeme - etwa der Monsun - einen neuen Zustand einnehmen, oft mit desaströsen Folgen für den Menschen", warnt die Autorengruppe unter der Leitung von Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre an der Universität Stockholm.

In Zahlen gefasste Grenzwerte gibt es bereits für sieben Bereiche, für die chemische Verschmutzung und der Luftbelastung fehlen sie noch. Den 28 renommierten Wissenschaftlern zufolge dürfen nicht mehr als elf Millionen Tonnen Phosphor im Jahr in die Ozeane fließen, weil diese sonst zu stark überdüngt würden.

Beim Abbau der wuchernden Biomasse kann Sauerstoffmangel entstehen, in Küstennähe bereits vielfach zu beobachten. Derzeit liegen die Einträge bei 8,5 bis 9,5 Millionen Tonnen jährlich.

Die Ausrottung von Pflanzen und Tieren hingegen hat die sicheren Grenzen bei weitem schon überschritten. Der vorgeschlagene Schwellenwert liegt bei zehn ausgestorbenen Arten je einer Million Arten und Jahr - der aktuelle Wert ist zehnmal höher. Ebenfalls außerhalb sicherer Grenzen ist der Gehalt des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre. Er beträgt derzeit 387 ppm (parts per million), die vorgeschlagene Grenze sind 350 ppm. Auch beim Stickstoff ist der sichere Bereich längst verlassen. Als maximal zulässig sieht es Rockströms Gruppe an, 35 Millionen Tonnen Stickstoff (N2) pro Jahr aus der Atmosphäre zu holen - für Dünger oder die chemische Industrie. Derzeit sind es 121 Millionen Tonnen.

In den vergangenen 10 000 Jahren waren die Lebensumstände auf dem Planeten für die Entwicklung des Menschen außerordentlich günstig und stabil, heißt es in "Nature". In dieser Zeit, dem Holozän, blühten viele Zivilisationen. Seit aber der Mensch mit dem Beginn der Industrialisierung riesige Mengen Öl und Gas verheizt und eine industrielle Landwirtschaft betreibt, sei der Fortbestand dieser stabilen Holozän-Periode gefährdet. "Die Folgen könnten unumkehrbar sein und unter Umständen zu abrupten Änderungen der Umwelt führen, die für die Entwicklung des Menschen wenig zuträglich sind", formulieren die Forscher.

Die Grenzwerte sind miteinander gekoppelt, betont Rockström. "Wir können es uns nicht leisten, uns auf nur einen der Werte, isoliert von den anderen, zu konzentrieren." Das Überschreiten etwa der Stickstoff- und Phosphor-Limits schade den Ökosystemen der Meere und könne damit deren Aufnahmekapazität für CO2 schwächen - was den Klima-Wert weiter verschlechtere.

Das Klimasystem beginnt, so erklärt Hans Joachim Schellnhuber, "den Bereich der historischen Erfahrung zu verlassen". Das Risiko nichtlinearer Veränderungen der Umwelt erhöhe sich dadurch wesentlich. "Das Einsetzen solcher Übergänge im Klimasystem zeichnet sich im rasanten Rückgang des arktischen Sommer-Meereises, dem Abschmelzen der meisten Gletscher weltweit und dem beschleunigten Anstieg des Meeresspiegels ab", berichtet Schellnhuber.

Die Forscher weisen darauf hin, dass sie viele Annahmen machen mussten, um zu ihren Zahlen zu kommen, und dass es noch Lücken in ihrer Datenbasis gibt. Doch bislang sehe es so aus, dass die Menschheit die Freiheit hat, sich weiterhin gesellschaftlich und wirtschaftlich zu entwickeln, solange die Grenzwerte nicht überschritten werden. Der Ansatz sei allerdings kein Masterplan für die nachhaltige Entwicklung: "Wir liefern eine erste, wenngleich vorläufige Karte des sicheren Aktionsraums im Erdsystem und sollten uns nicht über die dort eingezeichneten Grenzen hinaus bewegen", sagt der Direktor des Umweltinstituts der University of Minnesota, Jonathan Foley.

"Nature" hat unabhängige Experten eingeladen, um das Konzept der Grenzwerte zu prüfen und zu kommentieren. Im Prinzip begrüßen sie den Ansatz, weil er leicht verständlich ist und damit auch Entscheidungsträgern, etwa Politikern, die jeweilige Situation deutlich macht. Doch William Schlesinger, Präsident der Cary Institute of Ecosystem Studies Millbrook (US-Staat New York), warnt, wer das Erreichen eines Grenzwertes zulässt, nehme unnötige Umweltzerstörung in Kauf: "Grenzen zu setzen ist fein, aber mit dem Handeln zu warten, bis diese erreicht sind, erlaubt es uns, unsere schlechten Angewohnheiten so lange fortzuführen, bis es zu spät ist, sie zu ändern."

David Molden, Generaldirektor des International Water Management Institute bei Colombo (Sri Lanka), blickt auf den Wasser-Grenzwert von 4000 Kubikkilometer (km{+3}) Süßwasserverbrauch im Jahr. Derzeit sind es 2600, im vorindustriellen Zeitalter waren es 415 km{+3}. Er geht davon aus, dass 4000 zu hoch gegriffen ist, begrüßt aber das Grenzwert-Konzept als ein Warnruf an die Menschheit.