Auf dem Hof bei Uelzen bilden bis zu 500 Tiere eine stabile Rangordnung und verbringen viel Zeit im Freien.

Hingebungsvoll nimmt die braun gefiederte Henne ein Staubbad, schmiegt ihre Brust an den Boden, streckt ihre Flügel aus, schüttelt zum Schluss ihr Federkleid, steht auf und lässt sich dann genüsslich im Halbschatten eines Obstbaumes nieder. Die idyllische Szene spielt nicht auf einem Museumsbauernhof, sondern im Betrieb der Familie Odefey in Mehre bei Uelzen. Sie liefert den Beweis, dass die artgerechte Haltung von Mastgeflügel auch in Zeiten der Massentierhaltung lukrativ ist, wenn die Kundschaft bereit ist, einige Euro pro Huhn oder Hahn mehr zu bezahlen.

Der Löwenanteil der rund 420 Millionen Masthühner in Deutschland fristet ein erbärmliches Dasein in abgedunkelten Ställen ohne Auslauf. Die Tiere "leben" ähnlich dicht gedrängt wie die Legehennen, kritisiert die Kieler Nutztier-Organisation ProVieh. Eine britische Studie mit 50 000 Industriebroilern habe kürzlich gezeigt, dass mehr als ein Viertel der Tiere sich zum Ende der Mast nicht mehr richtig bewegen und drei Prozent gar nicht mehr laufen konnten. Zudem würden oft nur die männlichen Küken gemästet, weil die Hähnchen etwas schneller wachsen und mehr Brustfleisch bilden, die weiblichen Küken würden vergast.

Niels und Annette Odefey wollten dem Elend etwas entgegensetzen. Zusammen mit ihren fünf Kindern, die inzwischen alle flügge sind und den Hof verlassen haben, begannen sie 1990 mit der alternativen Hühnermast. "Bei uns leben Hennen und Hähne tagsüber im Freien. Nachts kommen sie in unsere mobilen Ställe", sagt Niels Odefey. "Unsere Tiere werden mindestens 14, 15 Wochen alt. Sie wachsen ohne vorbeugende Medikamentengaben auf und mit viel natürlichem Futter, das sie sich selbst im Freien suchen. Die Kameraden sind kerngesund. Die einzigen Verluste fügt uns der Hauptfeind der Hühner zu, der Habicht."

Die Angst vor dem Greifvogel mit der Vorliebe für Chicken Wings lasse die Hühner in anderen Betrieben ihren Auslauf nicht nutzen, sagt der Bioland-Bauer. "Auch viele Biobetriebe, die sich die Freilandhaltung auf die Fahnen schreiben, stellen ihre mobilen Ställe einfach nur auf die Wiese. Doch wenn die Tiere nirgends Deckung finden, bleiben sie in Stallnähe und bewegen sich kaum. Das ist keine artgerechte Haltung."

Bei Odefeys verleiten Bäume und Sträucher das Geflügel dazu, die gesamte Auslauffläche zu bevölkern. Zudem setzt der Biobauer seine "Bauerngockel", wie er sie nennt, auf Diät. Er hält das Futter kurz, damit die Tiere im Freien nach Fressbarem suchen. "Sie picken Würmer und decken damit ihren Bedarf an tierischem Eiweiß", erklärt der 59-jährige Betriebswirt. "In der Ökohaltung dürfen wir kein tierisches Futter einsetzen, das müssen sich die Hühner selbst suchen. Und durch die Lauferei bildet sich mehr Muskelfleisch."

Wenn morgens gegen zehn Uhr die Stallklappen aufgehen, strömen die Gefiederten auf die Freifläche. Schnell wird deutlich, wer hier das Sagen hat. Kommt ein dominantes Huhn oder ein dominanter Hahn des Weges, gehen niedriger stehende Tiere auf Abstand - von wegen dummes Huhn. "Wir beschränken die Gruppengröße auf maximal 500 Tiere", erklärt der Biolandwirt. "Dann ist gewährleistet, dass sich die Tiere gegenseitig erkennen und ausweichen können, um Streit zu vermeiden. In größeren Gruppen herrscht ständig Stress, die Rangordnung wird dauernd neu ausgefochten."

Deshalb kritisiert Odefey seine Öko-Kollegen, die aufgrund des Bio-Booms immer größere Gruppen hielten: "Bioland erlaubt Ställe mit 5800 Stück Geflügel. Und ein Demeter-Nachbar in unserem Landkreis will in 2500er-Ställen in nur neun Wochen Mastdauer über 50 000 Stück Mastgeflügel produzieren. Nicht selten werden schnell wachsende weiße Hybridhühner eingesetzt, die mit Ausnahmegenehmigung schon nach 63 Tagen geschlachtet werden - das verwässert den Bio-Begriff."

Um dem geliebten Federvieh auch auf seinem letzten Weg Stress zu ersparen, schlachtet Odefey seit 1997 auf dem eigenen Hof, jährlich um die 7000 Tiere. Er unterwirft sich damit EG-Regelungen, von denen Kritiker sagen, sie machten Hofschlachtungen nahezu unmöglich. Tatsächlich gebe es seitdem ständig einen "Kampf mit den Ordnungs-, Hygiene- und Veterinärsamtsbehörden des Landkreises Uelzen", erzählt der streitbare Bauer schmunzelnd.

Auch das Stallhaltungsgebot zur Vogelgrippenprävention wollte der Hühnerrebell seinem Geflügel nicht antun, münzte es zum Feldtest um: Er simulierte mit 400 Junghühnern die konventionelle Bodenhaltung im Stall, ließ weitere 400 Versuchstiere in einem "Biostall" mit Wintergarten groß werden und den großen Rest von 1000 Exemplaren weiterhin ins Freie. Nach acht Wochen waren die Bodenhaltungs-Hühner 30 Prozent schwerer als die Freilandgockel, die Biostall-Insassen brachten 15 Prozent mehr auf die Waage. Doch starben in der Bodenhaltungsgruppe 70 Tiere an Kannibalismus, im Biostall 35. Unter den Freigängern gab es nur leichte Verluste (zehn Tiere), die einmal mehr auf das Konto des Habichts gingen. Aus Mitleid mit den Stallhühnern ließ Odefey sie bis zum Schlachttermin ins Freie.

Dass die Hühner dies zu schätzen wissen, betont auch Dr. Anita Idel. Die Tierärztin engagiert sich seit Jahrzehnten für die artgerechte Zucht und Haltung von Nutzvieh. "Hühner sind echte Genießer. Sie liegen gern in der Sonne oder dösen an heißen Tagen im Halbschatten unter Bäumen. Sie haben eine differenzierte Kommunikation, etwa zwischen Henne und Küken. Und sie lieben ihre Sand- und Staubbäder." Mit welch einfachen Mitteln ein gestalteter Auslauf zum tierischen Wellnessbereich werden kann, das demonstrieren die Bauerngockel auf dem Hof Odefey.

Der Hühnerhof im Internet: www.bauerngockel.de