Die geistige Entwicklung eines Kindes hängt davon ab, ob es auch körperlich gefordert wird. Ein Mediziner sagt, wie man dazu richtig anleitet.

Spielen, toben, die Welt entdecken: So mancher Erwachsener wundert sich, woher kleine Kinder all die Energie nehmen und ständig in Bewegung sind. Doch das ändert sich schnell mit dem Alter. Dann sind Computerspiele oft interessanter als mit Freunden herumzutollen. "Dass ausreichend Bewegung so selbstverständlich ist wie das Zähneputzen, müssen Kinder früh lernen, am besten dadurch, dass Eltern mit gutem Beispiel vorangehen", sagt Prof. Klaus-Michael Braumann, Leiter des Instituts für Sport- und Bewegungsmedizin an der Universität Hamburg.

Bewegung hält nicht nur fit und ist gesund, sondern macht auch schlau. "Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass geistige Prozesse durch regelmäßiges körperliches Training erheblich verbessert werden", sagt der Sportmediziner. Die geistige Entwicklung eines Kindes hänge von seiner körperlichen Aktivität ab. Im Tierversuch wurde nachgewiesen, dass Mäuse und Ratten, die regelmäßig trainieren, mehr Nerven im Gehirn bilden. Außerdem, so Braumann, belegen neue Untersuchungen, dass die Muskulatur nicht nur ein Bewegungsapparat ist, sondern Substanzen produziert, die auf das Immunsystem wirken und Entzündungen entgegenwirken. Diese Erkenntnisse, hofft Braumann, sollten Eltern dazu bringen, sich genauso dagegen zu wehren, wenn Sportstunden in der Schule gestrichen werden, wie beim Ausfall von Mathe oder Latein. Bewegung müsse einen viel höheren Stellenwert bekommen und viel mehr in den Schulalltag integriert werden, vor allem auch weil immer mehr Kinder viel zu dick sind.

Die Auswirkungen von Bewegungsmangel sind gravierend: "Er macht sich bei kleinen Kindern genauso bemerkbar wie bei Erwachsenen, durch Übergewicht mit allen Folgeerscheinungen wie Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und dem Typ-2-Diabetes. Das sind keine Einzelfälle mehr", sagt Braumann.

Erst kürzlich sei auf einer Tagung berichtet worden, dass mehr als ein Prozent der übergewichtigen Kinder Typ-2-Diabetes habe. Auch seelisch tragen übergewichtige Kinder eine schwere seelische Last. Sie werden oft gehänselt und ausgegrenzt. "Übergewichtige Kinder sind seelisch so belastet wie Kinder mit Tumorerkrankungen", betont Braumann.

Um diese fatale Entwicklung zu verhindern, ist Bewegung ein Muss. "Wenn die Kinder nicht vom Computer wegzulocken sind, muss man die Bewegung notfalls zum Bildschirm bringen", sagt Braumann und meint zum Beispiel computeranimierte Fahrradspiele, die in Reha-Kliniken für dicke Kinder eingesetzt werden. "Dort stehen sie Schlange, um auf einer Fahrradanimation in die Pedale zu treten und auf dem Bildschirm zu verfolgen, wohin sie fahren." Auch wenn es wünschenswert wäre, wenn sich die Kinder im Freien bewegten, sei dies eine Option, die besser sei als keine Bewegung. Eltern sollten schon Säuglinge an Bewegung gewöhnen. "Bereits beim Baby im Alter von vier Wochen können sie Körperspannung trainieren und die Kinder animieren, den Kopf zu heben. Wenn sie einige Monate alt sind, können sie Gleichgewichtsübungen machen, sobald sie laufen können, Bälle schießen, werfen, fangen. Am Klettergerüst auf dem Spielplatz können sie Balancierfähigkeit und Gleichgewichtssinn trainieren."

Um Kinder an Sport heranzuführen, sind Mannschaftsspiele gut geeignet, wie Fußball, Handball, Hockey. Eltern sollten ermöglichen, dass ihre Kinder mehrere Sportarten kennenlernen, sodass sie sich irgendwann eine Sportart aussuchen können, die ihnen besonders viel Spaß macht und die sie regelmäßig betreiben. Das gilt auch für Kinder, die ein wenig ungelenk sind und sich mit Sport zunächst schwertun: "Diese Kinder, die meist sehr groß für ihr Alter sind, sollten Sportarten wählen, bei denen sie ihre körperliche Präsenz ausleben können. Gut für sie ist es auch, wenn sie im Alter von acht bis zehn Jahren mit Rudern oder Judo beginnen", empfiehlt der Sportmediziner. Auch Sportwettkämpfe seien für Kinder eine wichtige Erfahrung: "Dabei lernen sie zu verlieren, sich an Regeln zu halten, mit einer Niederlage umgehen können, auch in der Niederlage noch fair zu bleiben", sagt Braumann.

Für kranke Kinder kann Bewegung ein Teil der Therapie sein, zum Beispiel bei Asthmakranken. Denn die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit senkt die Asthmaschwelle: "Wenn jemand nicht fit ist, bekommt er schon asthmatische Beschwerden, wenn er alltägliche Belastungen wie das Treppensteigen bewältigen muss. Wenn er seine Fitness steigert, bekommt er erst bei deutlich stärkeren körperlichen Belastungen Atemprobleme", sagt Braumann.

Wenn Bewegung als Therapie eingesetzt wird, braucht das Kind allerdings eine Anleitung und muss in einem speziellen Training langsam an die richtige Belastung herangeführt werden. Hier gilt der gleiche Grundsatz wie auch bei gesunden Kindern: Bewegung muss man lernen. Es hilft keinem, einfach nur zu sagen: Beweg dich mehr.