Nur rund zu sein reicht längst nicht mehr: ein Besuch im Adidas-Testzentrum für den “Europass“ und andere Fußbälle.

Ein elektronisch gesteuertes Roboter-Bein kickt einen Ball auf ein Tor, wieder und wieder, stets mit demselben Trittwinkel, derselben Kraft, demselben Tempo von rund 80 Kilometern pro Stunde. Im Nebenraum rumpelt eine Waschmaschine. Hier schleudert ein zweiter Ball seit einer Stunde in der Trommel herum, die mit Schmirgelpapier ausgekleidet ist - ein Härtetest. Nicht nur auf dem Feld, auch im Testzentrum von Adidas steht ein Hightech-Produkt derzeit im Mittelpunkt: der "Europass", Spielball der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz.

Das Versuchslabor des Weltkonzerns befindet sich im kleinen Ort Scheinfeld in Franken und sieht aus wie eine Turnhalle. Es ist gefüllt mit Hightech-Geräten: Laser, Sensoren und Wärmebildkameras stehen an einem Laufband, an einer kurzen Sprintstrecke und um ein großes Fußballtor herum. Jeder Bereich ist mit Computern ausgestattet. Auf großen Flachbildschirmen sehen die Ingenieure die gemessenen Daten und werten sie aus. Seit 38 Jahren stellt der Sportartikelhersteller alle EM- und WM-Bälle her. Das "Adidas-Innovations-Team" (AIT) testet jeden Neuling im aufwendigen Prüfverfahren.

"Treten Sie nicht hinter die Absperrungen, das kann gefährlich sein", mahnt ein Mitarbeiter. Schon saust ein Ball quer durch die Halle. Der "Europass" landet zielgenau in der rechten oberen Ecke im Netz. Zum Beweis der Verbesserung zum Vorgängermodell fliegt anschließend der alte Ball der EM 2004 am Tor vorbei.

Viele Male lässt das Team den Schuss wiederholen. Das "Roby Leg" ist präziser als jeder Spieler aus Fleisch und Blut. Mit seinem roten Fußballschuh kickt der Roboterfuß stets gleich. Und der Kunststoffball soll möglichst immer gleich reagieren: "Trifft ein Spieler an eine Naht, fliegt der Ball anders, als wenn er eine Fläche erwischt. Je weniger Nähte, desto runder ist ein Ball und desto kontrollierbarer wird er", sagt Volker Steidle, Chefentwickler im AIT.

Fußbälle haben sich über die Jahre hinweg immer mehr der perfekten Kugelform angenähert. "Blickt man weit zurück, bis zur Fußballweltmeisterschaft in Bern anno 1954, war der dort verwendete braune Lederball im Prinzip ein gewölbter Würfel", erklärt Mathematikprofessor Hartmut Ring von der Universität Siegen. Die weitere Ball-Entwicklung war eine mathematisch logische Abfolge: "Der Würfel ist einer der fünf sogenannten Platonischen Körper, seine sechs Seitenflächen sind gleich groß. Der Platonische Körper mit den meisten Flächen, nämlich 20, ist das Ikosaeder. Es ähnelt bereits einer Kugel. Um es noch weiter anzunähern, kappt man die Ecken." Es entstehen 32 regelmäßige Fünf- und Sechsecke und damit die Form, die der Ball auf allen Welt- und Europameisterschaften von 1970 bis 2004 hatte.

2006 kam dann die von Adidas erklärte "Revolution": Der Ball der Weltmeisterschaft in Deutschland bestand nur noch aus 14 Einzelstücken. Sie waren verklebt statt genäht. Weniger Nähte, runder, mehr Kontrolle - auch der Europass besitzt dieses Grundgerüst.

Neu ist die Oberfläche mit der Struktur einer Gänsehaut: Kleine Noppen überziehen den Ball, damit er bei Regenspielen möglichst griffig bleibt. "Bei Nässe entsteht ein Wasserfilm. Wir haben eine Oberflächenstruktur auf den Ball gebracht, die hilft, diesen zu brechen. Ähnlich wie das Profil eines Autoreifens den Film auf einer nassen Straße bricht", erklärt Entwickler Steidle. Im Test besprüht er den roten Fußballschuh des Roboterbeins mit Wasser und reibt ihn für den nächsten Schuss wieder trocken. Hochgeschwindigkeits-Kameras zeichnen die Flüge auf, anschließend analysiert Steidle am Computer die Unterschiede.

Früher genügte es laut Regelwerk, dass ein Ball kugelförmig war und eine bestimmte Größe nicht überschritt. Inzwischen schreibt der Internationale Fußballverband Fifa sieben spezielle Prüfungen vor. In den statischen Tests müssen Gewicht, Umfang und Kugelform genauen Richtwerten entsprechen. "Um die Rundheit des Balls zu vermessen, befindet sich hinter ihm ein Sensor. Dieser legt sich auf die Oberfläche und misst den Abstand zum imaginären Mittelpunkt. Dieser Radius wird auf verschiedenen Umlaufbahnen gemessen", so Labortechniker Oliver Dittmann. Der Durchschnittswert darf maximal 1,8 Prozent von einer perfekten Kugel abweichen.

In den dynamischen Tests überprüft Dittmann Verformung und Sprunghöhe. Als Letztes durchläuft ein Ball die "zerstörenden Tests". "Um die Wasseraufnahme des Materials zu bestimmen, füllen wir zwei Zentimeter Wasser in eine Schale. Eine Maschine dreht den Ball und drückt ihn 300-mal ins Wasser. Die Gewichtsdifferenz vor und nach dem Test zeigt, welche Menge Wasser der Ball aufgesogen hat."

Insgesamt 30 bis 40 verschiedene Prüfungen durchläuft ein Ball bei Adidas, bis er auf den Markt kommt. Etwa 1500 Bälle pro Jahr prüfen Labortechniker Dittmann und sein Kollege. Zusätzlich zu den Fifa-Vorgaben untersuchen sie die Lichtechtheit des Materials, damit auch starke Sonneneinstrahlung die Farben nicht verblassen lässt. In einem mannshohen Ofen schmoren die Kunststoffbälle bei 70 Grad Celsius und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit sieben Tage lang. "Der wird ja auch im Dschungel gespielt. Und beim Verschiffen in einem Container können solche Bedingungen ebenfalls auftreten."

Für die Praxis haben Fußballmannschaften im In- und Ausland den Europass vorab auf dem Spielfeld getestet: "Die Spielfeldbedingungen in Spanien sind zum Beispiel ganz anders als hier in Deutschland. Spanien hat einen wesentlich trockeneren Boden und damit ist das Ball- und auch das Schuhverhalten anders", sagt Steidle. Wird er eines Tages den perfekten Ball entwickeln? "Gott sei Dank gibt es noch einen großen Spielraum, um Bälle zu verbessern. Von der perfekten Kugel sind wir noch weit weg."