48 Jahre im "falschen Leben" - so beschreibt Krankenpflegerin Christiane V. ihr Leiden. Sie war als Junge identifiziert und erzogen worden, da sie bei Geburt einen kleinen Penis hatte. Erst mit 17 Jahren entdeckten Ärzte bei einer Blinddarmoperation einen kompletten Uterus. Er wurde entfernt, ohne dass sie es erfuhr. Danach versuchten Ärzte wiederholt, den Penis zu vergrößern; es misslang. Erst 2006 wurde ihr beim Ausfüllen eines Fragebogens der Hamburger Arbeitsgruppe zur Intersexualität plötzlich klar, warum sie sich stets unwohl fühlte, häufig krank war. "Es gibt zahlreiche Betroffene, die unter diesen veralteten Behandlungsmethoden, vor allem unter der mangelnden Aufklärung sehr leiden", weiß Prof. Hertha Richter-Appelt, Leiterin der "Hamburger Forschergruppe Intersexualität" am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). 75 Betroffene hat die Arbeitsgruppe, die am Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie beheimatet ist, befragt. Die Ergebnisse dieser bundesweit ersten Studie werden am kommenden Mittwoch im Mittelpunkt des 2. Interdisziplinären Forums zur Intersexualität stehen. 100 Gynäkologen, Kinder- und Jugendärzte, Psychiater und Psychologen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich oder auch Finnland werden anreisen. "Es werden auch Menschen da sein, die selber von dieser Störung der Sexualentwicklung betroffen sind", sagt Prof. Hertha Richter-Appelt. Nach vorsichtigen Schätzungen leben mindestens 80 000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Intersexualität allein in Deutschland. "Intersexualität hat nichts mit Transsexualität oder Transvestie zu tun", unterstreicht Richter-Appelt. "Transsexuelle haben eindeutige Geschlechtsmerkmale und wollen ihr Geschlecht ändern. Transvestiten fühlen sich in der Kleidung des anderen Geschlechts wohl. Intersexuelle haben hingegen einen männlichen oder weiblichen Chromosomensatz, aber ihr Äußeres entspricht dem nicht. Der Grund: Zwischen der siebten und zwölften Schwangerschaftswoche wurde die Entwicklung des Embryos gestört, die Sexualhormone wurden nicht im erforderlichen Umfang ausgeschüttet." Die Folgen sind vielfältig. So kann ein Intersexueller einem männlichen Chromosomensatz (XY) haben und zugleich Brüste ausbilden. Oder ein Mensch mit einem weiblichen Chromosomensatz (XX) gerät in den Stimmbruch. "In jedem Fall sollten ein Chromosomentest und eine molekularbiologische Untersuchung gemacht werden", betont Richter-Appelt. Dann gelte es, das Kind so zu nehmen, wie es ist, es behutsam aufzuklären, damit es versteht, warum es manchmal anders fühlt und warum bestimmte Behandlungen durchgeführt werden. "Das kann verhindern, dass diese Menschen sich immer weiter in sich zurückziehen, vereinsamen", so Richter-Appelt, die hofft, dass die Mauer des Schweigens durchbrochen wird, die Zeit der Fremdbestimmung endlich endet. Als Erster habe, so Richter-Appelt, der studierte Biophysiker Milton Diamond (Universtity of Hawaii) die Probleme in der Behandlung von Menschen mit Intersexualität benannt. "Er hat die Medizinwelt wachgerüttelt." Am Mittwoch wird er in Hamburg einen Vortrag halten.


Informationen im Internet:

www.uke.uni-hamburg.de/institute/sexualforschung