Irrtümer: Elefanten werden 100 Jahre alt, und Rabeneltern kümmern sich nicht um ihre Brut.

Elefanten werden hundert Jahre alt und gehen zum Sterben auf einen Friedhof; das Chamäleon passt seine Farbe der Umgebung an, und Raben sind schlechte Eltern: Viele angebliche Weisheiten über die Tiere werden seit Jahrhunderten von Generation zu Generation und manchmal auch von Lehrbuch zu Lehrbuch weitergegeben. Doch stimmen sie überhaupt?

Der Stuttgarter Biologe und Museumspädagoge Ulrich Schmid hat solche Behauptungen in seinem Buch "275 populäre Irrtümer über Pflanzen und Tiere" auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft. Der älteste bekannte Elefant wurde nach seinen Recherchen nur 69 Jahre und nicht 100 Jahre alt. Und er erreichte dieses Alter nur deshalb, weil er unter optimalen Bedingungen in einem Zoo lebte.

In der Natur hätte der Dickhäuter viel früher das Zeitliche gesegnet, weil seine mächtigen Backenzähne durch Abnutzung immer kleiner werden. Das zu Lande mächtigste Säugetier kann die täglich benötigten 150 Kilogramm Nahrung nicht mehr kauen und verhungert.

Es sucht dann aber keinen "Elefantenfriedhof" auf, wie immer wieder behauptet wird, sondern geht meist in ein Sumpfgelände, weil die Nahrung dort feuchter und leichter zu kauen ist.

Das Chamäleon ist zwar ein Meister der Tarnung, kann sich aber durch Farbveränderung nicht aktiv jeder Umgebung anpassen. Seine Färbung ist nicht steuerbar, sondern von Stimmungsschwankungen und der Außentemperatur abhängig. In der Kühle der Nacht erbleicht auch der bunteste Tarnungsspezialist.

Aber während dem Chamäleon sagenhafte Fähigkeiten angedichtet werden, schneiden andere Tierarten in den Legenden viel schlechter ab. Schon vor mehr als 2000 Jahren galten die Raben und Krähen in den Mythen der Griechen, Römer und Germanen als Unglücksbringer. Und wieder beruhte diese Einschätzung auf einem wahren Kern: Als Aasfresser waren manche Rabenarten ebenso zuverlässige wie ungeliebte Begleiter auf allen Schlachtfeldern und Richtplätzen.

Der negative Ausdruck Rabeneltern" ist dagegen auf keinen wahren Kern zurückzuführen: Sie pflegen ihre Brut hingebungsvoll und aufopfernd.

Eine hartnäckige Legende ist auch, dass Lemminge Selbstmörder sind. In der Tat finden sich manchmal an See und Flussufern ertrunkene Wühlmäuse in großer Zahl. Nicht der rätselhafte Lebensüberdruss ist es allerdings, der die Lemminge ins Wasser treibt, sondern im Gegenteil ein starker Überlebenstrieb. Wird die Population zu groß, müssen viele Tiere auswandern. Dabei geraten sie an Hindernisse wie Seen oder Flüsse, die überwunden werden müssen. Das schaffen sie sogar ziemlich gut. Bei größeren Wellen allerdings ertrinken sie.

Viele falsche Annahmen über die Natur gehen Ulrich Schmid zufolge auf ungenaue Beobachtungen zurück. Und manche davon halten sich hartnäckig, weil nie jemand versucht hat, die Behauptung mit der Realität zu vergleichen. Der Stuttgarter Naturkundler räumt auch mit der alten Vorstellung auf, dass Kamele und Dromedare Wasser im Höcker speichern.

Ihre Strategie ist viel raffinierter: Das Kamel beginnt erst bei einer Körpertemperatur von etwa 42 Grad zu schwitzen und Flüssigkeit zu verlieren. Außerdem überlebt einen Wasserverlust von 40 Prozent seines Körpergewichts, während der Mensch schon bei 14 Prozent stirbt. Die Höcker bestehen aus Fett und sind damit kein Wasser-, sondern ein lebenswichtiger Energiespeicher.

Der gutgläubige Naturfreund kann sich nicht einmal darauf verlassen, dass Eintagsfliegen nur einen Tag leben. Sie haben eine extrem lange Kindheit, denn ihre Larvenzeit dauert zwei bis drei Jahre.

Erst nach dem Schlüpfen lebt die Fliege nur noch wenige Stunden oder manchmal Tage, um in lauen Nächten schwärmend den Partner für den allzu kurzen Lebensabend zu finden und die Nachkommenschaft zu sichern.

Der Biologe Schmid weist allerdings darauf hin, dass originelle Irrtümer in der Wissenschaftsgeschichte die Forschung oft stärker gefördert haben als sterile Wahrheiten.

Schon der britische Zoologe und Darwinist Thomas Henry Huxley (1825-1895) meinte, dass für den Fortschritt der Wissenschaft "irrational verteidigte Wahrheiten schädlicher sein können als vernünftig begründete Irrtümer". Denn schließlich könnten sich die Wahrheiten von heute leicht als die Irrtümer von morgen erweisen.

Weitere Informationen: Ulrich Schmid: "275 populäre Irrtümer über Pflanzen und Tiere", Kosmos Verlag 2002, 224 Seiten, 14,90 Euro.