Im 21. Mai 1992 begann der Aufbau eines europäischen Systems von Naturschutzgebieten. Hamburger Experten ziehen nun Bilanz.

Hamburg. Damit Europas Natur nicht unter die Räder kommt, vereinbarten vor 20 Jahren die damals zwölf EU-Mitgliedstaaten, ein umfassendes Netz von Naturschutzgebieten (Natura 2000) zu schaffen. Die gesetzliche Basis bildet die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie), ergänzt durch die EU-Vogelschutzrichtlinie. Am 21. Mai 1992 trat die FFH-Richtlinie in Kraft. Sie verlangt von den Mitgliedsländern, wertvolle Naturgebiete zu melden und zu erhalten. 15 Prozent der Fläche Deutschlands unterliegt inzwischen diesem Schutz, in Hamburg sind es 8,6 Prozent (ohne Wattenmeer), EU-weit 20 Prozent. Das Abendblatt befragte Vertreter von vier Naturschutzverbänden in Hamburg zum Erfolg und zu den Schwächen von Natura 2000.

Wie weit ist das Europäische Naturschutz-Netzwerk gediehen?

"Die Initiative war ein Durchbruch für den Naturschutz in Europa. Der Aufbau von Natura 2000 ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber er trägt schon jetzt entscheidend dazu bei, der biologischen Vielfalt in Europa eine Zukunft zu geben", urteilt Hilmar Freiherr von Münchhausen, Geschäftsführer der Deutschen Wildtierstiftung. Auch Alexander Porschke, Vorsitzender des Naturschutzbunds (Nabu) Hamburg und ehemaliger Umweltsenator, hält das Schutzgebietsnetz für einen "herausragenden europäischen Beitrag zum Naturschutz". Dessen Verwirklichung sei trotz des Widerstands aus vielen Nationalstaaten auf gutem Weg, brauche aber immer wieder Unterstützung durch die Naturschutzverbände. Manfred Braasch, Geschäftsführer des BUND Hamburg: "In Norddeutschland gab es anfänglich deutliche Widerstände, gerade von Wirtschaftsverbänden und der Agrarlobby. Aber mittlerweile scheint auch in diesen Kreisen klar zu sein, dass wir mehr für den Erhalt unserer Flora und Fauna tun müssen."

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Was bewirkte die FFH-Richtlinie im Großraum Hamburg?

Hamburg sei im Vergleich zu den Flächenländern führend, was die Ausweisung von FFH-Schutzgebieten betrifft, betont Dr. Klaus Hamann, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Aber es wäre wünschenswert gewesen, noch mehr FFH-Flächen zusätzlich zu bereits bestehenden Schutzgebieten zu benennen - "dass dies mit dem Moorgürtel in Neugraben gelungen ist, ist erfreulich". Zu den Nachbarländern meint Hamann: "Die regionale Politik befasst sich gern mal mit der Frage, ob denn die gemeldeten FFH-Flächen in nationales Recht umgesetzt werden sollen oder nicht. Hier hat mancher noch nicht verstanden, dass es bindendes Recht ist, das umzusetzen ist." Wichtige Lebensräume wie der Moorgürtel oder das Süßwasserwatt und der Tideauwald entlang der Elbe seien durch Europa besser geschützt als durch die lokalen und nationalen Verwaltungen, die oft dem Druck wirtschaftsfreundlicher Lobbyisten nachgeben, sagt Alexander Porschke. "Heute ist Hamburg gegenüber Europa verpflichtet, seine Naturschutzbesonderheiten wie den Schierlingswasserfenchel - eine Art, die es weltweit nur bei uns gibt - wirksam zu schützen."

Was sind die Schwächen des Gesetzes aus Naturschutzsicht?

Die FFH-Richtlinie habe bislang eher selten dazu geführt, dass ökologisch bedenkliche Großprojekte tatsächlich gestoppt wurden, kritisiert Manfred Braasch: "Die Kommission in Brüssel unterliegt Lobbyeinflüssen, im Zweifelsfall werden wie etwa beim Mühlenberger Loch Wirtschaftsinteressen vorangestellt." Am Einfluss der Lobbyisten stört sich auch Alexander Porschke: "Wenn großer politischer Druck auf europäischer Ebene ausgeübt wird, knickt auch die dortige Verwaltung vor Wirtschaftsinteressen ein. Das ist bei der Stellungnahme zum Elbvertiefungsvorhaben sichtbar geworden." Von Münchhausen bemängelt den langen Umsetzungszeitraum sowie "eine völlig unzureichende Kommunikation mit den Landnutzern bei der Identifizierung und Ausweisung der Gebiete". Hamann betont, das zum Schutz auch die "fachliche Umsetzung" des Gesetzes gehöre, also Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen in den einzelnen Gebieten - "und dazu braucht es ausreichend Personal".

Reicht es aus, neue Schutzgebiete zu schaffen, um Artenvielfalt zu sichern?

"Die Ausweisung von Schutzgebieten kann nur eine von mehreren Strategien im Naturschutz sein", betont von Münchhausen. "Die Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft und auch der Meeresfischerei ist verantwortlich für einen dramatischen Artenschwund in Europa. Ein Wirtschaften mit der Natur muss daher unser Leitbild werden", fordert er. Klaus Hamann wünscht sich mehr Naturnähe in Wohngebieten und am Rande von Industrie- und Gewerbeflächen: "Hier ist ein Umdenken erforderlich, dass nicht nur der Zierrasen das Gestaltungsmerkmal ist, sondern auch Flächen mit Spontanvegetation sowie Dach- und Fassadenbegrünung und das ,Matschloch', in dem Kinder spielen können und Libellen ihre Eier ablegen."

Wäre Europas und die Hamburger Natur ohne die EU-Initiative heute ärmer?

Alexander Porschke antwortet mit Ja! "Die Natura-2000-Regeln schützen europäische Naturschätze besser. Sie sind mit einem gut durchdachten System der Aufwertungsgebote verbunden, dessen Umsetzung allerdings oft erst den nationalen Verwaltungen abgetrotzt werden muss. Ohne den europäischen Schutz wäre es um die biologische Vielfalt in Europa deutlich schlechter bestellt." Natura 2000 sei zu einem der wichtigsten Werkzeuge für den Erhalt von Lebensräumen und von vielen Wildtieren und -pflanzen geworden, urteilt von Münchhausen. "Vom Kammmolch bis zum Seeadler, vom Feldhamster bis zum Kranich: Unzählige Arten profitieren heute davon, dass wir gestern begonnen haben, uns um ihre Zukunft Gedanken zu machen."