Mini-Kunststoffpartikel in den Meeren könnten sich in der Nahrungskette ansammeln und als Vehikel für Schadstoffe und Krankheiten dienen.

Bremerhaven/Hamburg. Plastikmüll, in dem sich Seevögel verheddern und der Strände verunziert, ist längst ein anerkanntes Umweltproblem. Doch eine weitgehend unbekannte Gefahr für die Meere sind sogenannte Mikroplastikpartikel: Kunststoffteilchen kleiner als Sandkörner, die Wissenschaftler weltweit in den Ozeanen finden. Auch Biologen vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) sind den schädlichen Winzlingen auf der Spur.

Um die Belastungen der Ozeane weltweit einschätzen und miteinander vergleichen zu können, veröffentlichte ein Wissenschaftlerteam aus Chile, Plymouth (Großbritannien) und vom AWI in Bremerhaven jetzt einen Leitfaden zur Untersuchung des Problems. "Es macht einen Unterschied, ob wir bei der Probenahme Netze mit Maschenweite von 450 oder 85 Mikrometern (tausendstel Millimeter) durch das Wasser ziehen", sagt Dr. Lars Gutow, Meeresbiologe beim AWI und Mitautor des Leitfadens. Auch die Aufbereitung der Proben im Labor und die Identifizierung des Kunststoffes sollten möglichst einheitlich erfolgen, sagt Gutow.

Feinstverteilt wie die Partikel sind auch die Quellen der Plastikfitzel. Zum einen entstehen die oft unsichtbar kleinen Teilchen beim biologischen Abbau von größerem Plastikmüll. Er machte bei einer internationalen Erhebung des Strandguts entlang des gesamten Wattenmeeres drei Viertel des aufgelesenen Abfalls aus. Verpackungsmüll und Überreste von Fischernetzen, Tüten und Kanister werden durch Wind und Wellen grob zerlegt und ganz allmählich von Bakterien zersetzt - der Abbau dauert mehrere Jahrhunderte.

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Zum anderen entdecken Wissenschaftler immer neue Ursachen für die unsichtbare Plastikschwemme: Der irische Meeresbiologe Mark Browne warnte im vergangenen Herbst davor, dass Kläranlagen Kunststofffussel aus dem Abwasser von Waschmaschinen nicht zurückhalten. Browne und seine Kollegen sammelten Proben von 18 Stränden auf sechs Kontinenten - und fanden überall Polyester- und Acrylfasern von synthetischen Textilien. Bei Waschversuchen fusselten vor allem Fleece-Stoffe. Sie verloren bis zu 2000 Fasern pro Waschgang.

"Anderen Studien zufolge werden auch bei Gesichtsreinigern kleinste Plastikpartikel frei, die in den Produkten als leichte Scheuermittel dienen", sagt Gutow. Ein Großteil der Kunststoffbelastung entstehe zudem durch Pellets. Die Rohstoffe für Kunststoffprodukte liegen meist als linsenförmiges Schüttgut vor. Werden sie zum Beispiel unvorsichtig von Schiffen entladen, werden die leichten Pellets schnell vom Wind verweht und gelangen ins Wasser. Gutow: "Ich habe auf Sylt kaum fünf Minuten den Strand absuchen müssen, um auf ein Pellet zu stoßen. Die Pellets sehen aus wie kleine Tabletten und sind an den Stränden sehr häufig."

Auch Gutows Kollege Dr. Gunnar Gerdts, Mikrobiologe an der zum AWI gehörenden Biologischen Anstalt Helgoland, hat sich auf die Fährte der Kleinstpartikel begeben: "Noch ist völlig unklar, wie groß das Problem überhaupt ist. Bisher funktionierte die Analytik meist so, dass Forscher in Planktonproben unter dem Mikroskop nach Plastikteilchen suchten. Einer erkennt viele Teilchen, ein anderer übersieht sie. Sehr viel sicherer ist der Einsatz der sogenannten Infrarotspektroskopie. Dann sagt uns das Mikroskop: Das ist jetzt Plastik. Ein solches Gerät steht uns auf Helgoland zur Verfügung."

Im Juli wollen Gerdts und Kollegen mit dem Forschungsschiff "Heincke" auf die Nordsee hinausfahren und Planktonproben sammeln, um sie danach im Labor zu untersuchen. Dabei interessiert sie nicht nur die Frage, wie viele Plastikteilchen sie finden werden, sondern auch, ob an deren Oberflächen Schadstoffe oder Krankheitserreger anhaften. Gerdts: "Es ist bekannt, dass größere Plastikteilchen giftige Algen verfrachten und so über die Meere verbreiten. Und bei einer Untersuchung des pazifischen Müllstrudels vor Kalifornien hafteten spezielle Cholera-Bakterien an den Partikeln. Das ist schon bedenklich."

Inwieweit die Minipartikel die Meeresfauna und -flora schädigen, sei derzeit mangels quantitativer Daten zum Problem kaum zu beurteilen, sagt Gerdts. Immerhin zeigte bereits ein Laborexperiment mit Miesmuscheln, dass diese die Mikropartikel aufgenommen haben. Die Teilchen gelangten in Blutbahn und Gewebe der Muscheln, verursachten Zellschäden. Gerdts bezeichnet die Versuchsanordnung allerdings als "hoch artifiziell": Die Partikelmengen, denen die Muscheln ausgesetzt waren, seien sehr groß gewesen, um Effekte zu sehen. In solchen Konzentrationen werden sie im freien Wasser kaum vorkommen.

Zur Bekämpfung des Problems gebe es nur einen Schlüssel, meinen beide AWI-Forscher unisono: die Vermeidung von Plastikabfällen im Meer. "Weltweit müssen die Menschen vorsichtiger mit Kunststoffen umgehen. Es ist wie beim Treibhausgas Kohlendioxid: Ist es erst einmal in der Atmosphäre, so lässt es sich nicht zurückholen."

Einen Beitrag zur maritimen Müllentsorgung will der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) mit seinem Projekt "Fishing for Litter" leisten. Es ermuntert Fischer, Müll, der sich in ihren Netzen verfängt, nicht wieder ins Meer zu werfen, sondern mit an Land zu nehmen. Gerade wurde in Sassnitz auf Rügen ein Container aufgestellt, um den zivilisatorischen Beifang aufzunehmen - es ist nach Heiligenhafen und Burkstaaken auf Fehmarn der dritte Ostsee-Hafen, der beim Nabu-Projekt mitmacht, und lässt die Zahl der beteiligten Fischer auf gut 30 anwachsen.

"Das Projekt ist gut, um Bewusstsein zu schaffen", urteilt Gerdts. "Lösen wird es das Problem aber nicht. Dazu brauchen wir auf globalem Niveau ein steigendes Umweltbewusstsein." Immerhin dienen die Müllfischer, wie auch die weltweiten Säuberungsaktionen an Stränden, dem Schlüsselziel: die Belastung von Plastikmüll in den Meeren zu reduzieren.