Seit 50 Jahren werden im Forschungszentrum Desy Atomteilchen durch Beschleunigerringe geschickt

Hamburg. Sie heißen Petra, Doris, Hera - und sind doch alles andere als weiblich. Vielmehr verbergen sich hinter den Namen Teilchenbeschleuniger, riesige Maschinen, die die Herzen der Physiker höherschlagen lassen. Die Beschleuniger stehen auf dem 50 Hektar großen Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) der Helmholtz-Gemeinschaft. Es feiert morgen sein 50-jähriges Bestehen mit einem Fest, zu dem mehr als 2000 Gäste erwartet werden.

Petra III, die Enkelin der 1978 in Betrieb gegangenen Petra (Positron-Elektron-Tandem-Ring-Anlage), ist eine der Vorzeigeanlagen des Desy anno 2010. Sie darf auf einem Rundgang mit Prof. Edgar Weckert, Forschungsdirektor für die Lichtphysik, nicht fehlen. Schon von Weitem fällt das bogenförmige, zweistöckige Gebäude ins Auge. Durch die 280 Meter lange Halle verläuft der wichtigste Abschnitt des 2,3 Kilometer langen Rings, in dem Elektronen oder ihre Antiteilchen, die Positronen, kreisen. An den 14 Messplätzen im Gebäude können die rasenden Teilchen so abgelenkt werden, dass sie intensives, kurzwelliges Röntgenlicht abstrahlen. Dieses wird vom Ring abgezapft, um kleinste Strukturen zu durchleuchten. Petra III erzeugt das schärfste Röntgenlicht der Welt. Es wird zur Materialforschung genutzt oder in der Medizin, etwa um die räumliche atomare Struktur von Proteinen zu betrachten.

Die Teilchen-Rennstrecke ist mit Betonplatten abgeschirmt. An ihrer Seite ist die Halle mit containerartigen Labors zugestellt. Sie markieren die 14 Stellen, an denen die Lichtteilchen (Photonen) für Experimente genutzt werden. In einigen Laboreinheiten werden gerade komplizierte Messapparaturen zusammengeschraubt, in anderen flimmern Daten über die Bildschirme. Die ausgefeilte Technik im Ring lässt sich nur erahnen. Etwa am Stromverbrauch. "Petra III hat eine Anschlussleistung von acht Megawatt", sagt Weckert. "Das entspricht etwa dem Bedarf eines ICE bei voller Fahrt."

Petra III sei eine der Anlagen, die für die Zukunft von Desy stünden. Eine zweite heißt Flash. Hier werden Blitzlichter erzeugt, die ebenfalls weltweit einmalig sind. Auf einer geraden, 300 Meter langen Strecke werden auch hier Elektronenpakete beschleunigt und am Ende des Tunnels so abgelenkt, dass Licht entsteht. Weckert: "Wir erzeugen zum einen ultraviolettes oder Röntgen-Licht, zum anderen einen sichtbaren roten Laserstrahl. Mit einem der beiden Lichtpulse regen wir die Elektronen im Untersuchungsobjekt an, erzeugen instabile Zustände. Mit dem anderen können wir beobachten, wie daraus wieder der Gleichgewichtszustand entsteht." Auf diese Weise ließen sich zum Beispiel chemische Reaktionen verfolgen.

Die Bewegungen von Atomen, die die Forscher beobachten möchten, dauern Bruchteile von Sekunden. Die Lichtpulse müssen noch kürzer sein, um dies "filmen" zu können. Bei Flash erstrahlt das Licht nur einige Femtosekunden lang - während eines unvorstellbar kurzen Zeitraums von einigen 0,000000000000001 Sekunden. Und das Hunderte Male pro Sekunde.

Zwischen den gut 60 Gebäuden und Gebäudekomplexen - rechteckige Zweckbauten, die je nach Größe an Schulpavillons oder Lagerhallen erinnern - wirkt die Flash-Experimentierhalle fast wie ein Fremdkörper. Ein riesiges Zeltdach aus Aluminiumpanelen wölbt sich über die Halle. Sie war anno 2000 ein Außenprojekt der Expo Hannover, da entschieden nicht nur technische Anforderungen über das Gebäudedesign. An die Halle schließt sich ein schnurgerader grüner Damm an: der Flash-Tunnel, in dem die Elektronen Anlauf nehmen. Beim Spaziergang über den "Deich" fällt ein Teich ins Auge, einer von einer Handvoll Gewässer auf dem Gelände. "Er diente früher zum Kühlen der Maschinen, als diese noch nicht so leistungsfähig waren und weniger Wärme erzeugten", sagt Weckert. Heute nehmen sie Regenwasser auf, und Kühlanlagen leiten die Wärme ab.

Jenseits des Deiches steht in einem Turnhallen-großen Backsteingebäude die Kälteanlage von Flash. Hier geht es nicht um Abwärme, hier wird es richtig kalt: Im Linearbeschleuniger bringen supraleitende Beschleunigungseinheiten die Elektronen auf Trab. Dazu muss die Temperatur bei minus 271 Grad liegen. Die hier eingesetzte Beschleunigungstechnik namens Tesla wurde bei Desy maßgeblich entwickelt.

Petra III und Flash stehen, ebenso wie Doris III (das "Arbeitspferd" des Forschungszentrums) für den Wandel von der Teilchenphysik hin zur Forschung mit Lichtteilchen. Sie waren zunächst nur Abfallprodukte der Beschleunigerringe, die die Wissenschaftler bei ihrer Suche nach den Bausteinen der Atomen, den Elementarteilchen, eher störten. Das galt auch für den ersten Teilchenbeschleuniger, der 1964 in Bahrenfeld in Betrieb ging. Er heißt Desy, gab dem Großforschungszentrum seinen Namen, und produziert bis heute rasende Elektronen.

In den 70er-Jahren begann man, das entstehende Licht konsequent technisch zu nutzen. Sein Potenzial stellte die Erforschung der Elementarteilchen allmählich in den Schatten. Denn die Teilchenphysik stieß an Grenzen. Das zeigte sich bei Hera, dem mit 6,3 Kilometer Länge größten Beschleunigerring im Bahrenfelder Untergrund, der 2007 außer Betrieb ging. "Es ist die Crux der Teilchenphysik, dass man zur Gewinnung von neuen Erkenntnissen immer größere, leistungsstärkere Anlagen braucht ", sagt Prof. Joachim Mnich, Desy-Forschungsdirektor für die Teilchenphysik. "Sie sind auf nationaler Ebene nicht mehr finanzierbar. Deshalb engagieren wir uns stark am weltgrößten Beschleuniger am Cern bei Genf."

Der Fahrweg von den Lichtmaschinen Petra III und Flash zum Bürotrakt der Teilchenphysiker führt über den stillgelegten Hera-Ring. Das "Super-Elektronenmikroskop" war 15 Jahre im Einsatz. Es lieferte so viele Daten, dass die Teilchenphysiker noch Jahre brauchen werden, um sie auszuwerten. Die Elementarteilchen werden in Bahrenfeld weiterhin intensiv erforscht werden, auch Dank des direkten Drahts nach Genf, der verzögerungsfrei Daten liefert. "Desy wird nach Cern Europas zweitwichtigstes Zentrum für Teilchenphysik bleiben", sagt Mnich. In Deutschland spielt es ohnehin die Hauptrolle.