Berlin. Hat NSA-Enthüller Kontakte zum russischen Geheimdienst FSB? Bei der Internet-Konferenz Re:Publica läuft ein Kalter Krieg der Experten.

Der Kalte Krieg ist vorbei, doch das Misstrauen zwischen Ost und West ist ungebrochen. „Wir haben es mit einem regelrechten Informationskrieg zu tun, wir sind im Krieg mit dem Westen“, sagt der russische Geheimdienst-Experte und Kreml-Kritiker Andrej Soldatow auf der Internet-Konferenz Re:publica. Aber die deutsche Öffentlichkeit sei viel zu sehr mit dem US-Geheimdienst NSA beschäftigt, um dies wahrzunehmen, kritisierte der 39-jährige Moskauer im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

Dabei könne die Technik der Internet-Kontrolle in Russland kaum mit der ausgefeilten Massenüberwachung der USA Schritt halten, erklärt Soldatow, der das in Teilen auch auf Englisch übersetzte unabhängige Nachrichtenportal „agentura.ru“ betreibt. „Das System braucht keine raffinierten technischen Mittel. Es benötigt auch keine massive Repression. Es beruht auf Einschüchterung und Selbstzensur.“

In seinem Vortrag vor der Re:publica nennt Soldatow ganz unterschiedliche Strategien für Internet-Zensur in Russland. Die erste Säule seien Filtersysteme, einfache Techniken, die verhinderten, dass bestimmte Web-Angebote in Russland erreichbar seien. „Viele unabhängige russische Medien werden blockiert“, sagt Soldatow. Er schätzt ihre Zahl auf rund 400 unterschiedliche Angebote. Das Nachrichtenportal „grani.ru“ etwa stehe gleich in einer Vielzahl von verschiedenen Ausgaben auf der „Schwarzen Liste“.

Zweite Säule der Internet-Kontrolle sei die Überwachung der Telekommunikation mit Sorm (Sistema operatiwno-rosysknych Meroprijatij), dem System für Fahndungsmaßnahmen. „Das ist sehr anders als das, was Sie in Deutschland haben und was es in den USA gibt“, sagt Soldatow. „Der Ansatz ist viel direkter, er gibt den Behörden einen unmittelbaren Zugang zu den Anbietern von Internet-Zugängen (ISPs). Über dieses System erhalte der Inlandsgeheimdienst FSB eine Schnittstelle zu den Daten von Internet-Nutzern – ohne dass der jeweilige ISP Kenntnis davon habe.

Als dritte Säule nannte Soldatow den Druck auf große Internet-Plattformen wie die Suchmaschine Yandex und das soziale Netzwerk VK (VKontakte). Im Nachrichtenbereich von Yandex sei der Druck seit dem Georgien-Krieg von 2008 immer intensiver geworden.

Neben der Unterdrückung unliebsamer Informationen werden im Informationskrieg laut Soldatow auch „Trolle“ eingesetzt, die im Sinne des russischen Präsidenten Wladimir Putin „korrekte Inhalte“ produzieren. „Sie verbreiten falsche Informationen, vor allem über die Ukraine.“

Keine Angst mehr haben die jungen Frauen der Punk-Band Pussy Riot. „Wenn sie dich ins Gefängnis stecken können, allein weil du in einer Kirche getanzt hast, hat es keinen Sinn, Angst zu haben“, sagte Nadeschda Tolokonnikowa auf der Re:publica. „Man weiß nie, was als nächstes passiert“, antwortete Tolokonnikowa etwas verwundert auf die Frage des Moderators, ob sie jetzt vorsichtiger sei. „Daher gewöhnt man sich daran, dass man alles tun kann und alles tun sollte.“

Ihre Kraft schöpfen die Musikerinnen aus den anarchischen Seiten der Punk-Bewegung. „Punk zerschmettert alle Klischees“, sagt Tolokonnikowa. Und diesen Gedanken, sagt Maria Aljochina, wollten sie jetzt auch journalistisch einsetzen: Dazu gründeten die beiden ein neues alternatives Nachrichtenportal, die „Media Zona“.

Zum Zankapfel zwischen Netzaktivisten in Ost und West ist Edward Snowden geworden. In der Diskussion nach dem Vortrag Soldatows kritisierte der US-Programmierer und Geheimdienstkritiker Jacob Appelbaum dessen Andeutung, dass der ehemalige NSA-Mitarbeiter und Enthüllungsaktivist mit dem FSB in Verbindung stehen könnte.

„Das ist Bullshit“, schimpfte Appelbaum, der seit zwei Jahren in Berlin lebt und nicht mehr in die USA zurückkehren will. Es gebe ähnliche Tendenzen der Überwachung in den USA und in Russland. „Der FSB und das FBI arbeiten zusammen.“

Soldatow erwiderte: „Es ist am besten, einfach offen zu sein. Als der FSB mich unter Druck gesetzt hat, war es für mich am besten, an die Öffentlichkeit zu gehen. Snowden ist vom FSB angesprochen worden. Er sagt nichts über diese Dinge, und das kommt mir komisch vor.“

Der Konflikt zwischen dem russischen Staatsapparat und seinen Kritikern geht weiter. Letztere lassen sich nicht unterkriegen, auch wenn das russische System der Kontrolle zurzeit zu funktionieren scheint. „Das größte Problem“, sagt Soldatow, „ist nicht die Zensur, sondern dass wir niemand mehr haben, der uns noch zuhört.“ (dpa)