Ein Dresdner hat eine Farbscanner-App für Blinde und Sehbehinderte entwickelt. So kann das iPhone auch bei der Wahl der Kleidung helfen.

Dresden. Sind die Socken grün oder doch eher blau? Diese Frage kann Jan Blüher auf Anhieb beantworten, obwohl er nicht sehen kann. Damit er über die Farben in seiner Umwelt immer und überall bestens informiert ist, hat der promovierte Ingenieur eine Farbscanner-App für Blinde entwickelt.

„Auch Blinde wollen etwas über Farben wissen“, sagt Blüher. „Man lebt letztlich in einer sehenden Umgebung und da ist das immer ein Thema.“ Wenn der dreifache Familienvater mit seinem zweieinhalbjährigen Sohn Lego spielt, kann das schnell zum Problem werden. Manchmal möchte der Kleine die bunten Steine nach Farben sortiert haben – rote, blaue, grüne und gelbe Legosteine müssen dann in unterschiedliche Kisten – und Papa soll helfen. Auch für sein eigenes Hobby, den Modelleisenbahnbau, muss Blüher Farben auseinanderhalten können, etwa wenn er mit unterschiedlichen Kabeln hantiert. Im Alltag sind ihm Farben vor allem bei der Auswahl seiner Kleidung wichtig.

„Es nützt mir nichts, wenn ich weiß, welche Farben zusammenpassen, aber nicht, welche ich anhabe“, sagt der Softwareentwickler. Das Besondere an seiner Farbscanner-App „Color Visor“ ist, dass sie speziell für Blinde konzipiert wurde. Da der App-Entwickler selbst blind ist, konnte er das Programm direkt auf seine Benutzerfreundlichkeit überprüfen. Entscheidend sei dafür die auf dem iPhone integrierte Sprachfunktion „Voice Over“ gewesen, erklärt Blüher. Damit können sich Blinde das Menü und die einzelnen Funktionen vorlesen lassen.

Die Nutzer von Blühers App können Fotos oder ihre Umgebung über die Kamera am Handy scannen. Eine Frauenstimme sagt bis zu 500 Töne an, je nach Einstellung nur die Grundfarben oder einzelne Farbnuancen. Nicht immer liegt die Dame dabei richtig. Licht- und Schattenreflexe beeinflussen das Ergebnis. Das Programm sei an die technischen Möglichkeiten des iPhones gebunden, räumt Blüher ein. Es gebe auch genormte Farbscannergeräte, die noch genauer arbeiteten. Allerdings könnten diese um die 1.000 Euro kosten – die App hingegen gibt es für nur 4,49 Euro.

Auch wenn Blühers Handyprogramm mit den genormten Farbscannern nicht ganz mithalten könne, sei sie immerhin „die erste deutschsprachige App, die vernünftig Farben ansagt“, sagt der Sozialreferent vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV), Reiner Delgado. Einen großen Vorteil hat die iPhone-App gegenüber den Spezialgeräten: „Man hat das Handy immer dabei und muss es nicht erst aus der Schublade kramen“, sagt Blüher. Im Dezember 2011 machte sich der blinde Ingenieur mit seinem Start-Up-Unternehmen „Visor Apps“ selbstständig, seit März 2012 gibt es die erste Version des „Color Visor“-Programms. Mittlerweile ist sie sogar auf Englisch, Französisch und Italienisch erhältlich.

Da der Aufwand relativ hoch sei, würden bisher nur wenige Apps blindenfreundlich gestaltet, kritisiert Blüher. Für ihn als Softwareentwickler sei die Marktlücke zwar ein Vorteil. Als Nutzer würde er es aber begrüßen, wenn mehr Anbieter darauf Wert legten. Apps könnten eine große Hilfe für Blinde und Sehbehinderte sein, wenn die Bedienung komfortabler für sie wäre, sagt auch der Referent des DBSV. Grundsätzlich fordert der Verband, dass Produkte von vornherein für alle Menschen, und damit auch für Blinde und Sehbehinderte, konzipiert werden – „Design for all“.

Umgekehrt war es dem blinden Softwareentwickler hingegen wichtig, dass seine Anwendung auch für Sehende interessant und ansprechend gestaltet ist. So ist das Programm, mit der sich auch Farbwerte bestimmen lassen, nicht nur ein interessantes Hilfsmittel für Grafiker und Hobbybastler. Es könnte womöglich auch den einen oder anderen Ehestreit verhindern, etwa ob es sich um ein Feuerwehrrot oder Kirschrot handele, sagt der 45-Jährige.

Bei den Blühers ist das natürlich kein Thema. Erst recht nicht, weil der blinde Ingenieur bei der Entwicklung seiner App die Farbbestimmung seiner Frau überlassen hat. Vielleicht hat Blüher ein besonderes Interesse an Farben, weil er früher sehen konnte. Er erblindete mit 20 Jahren kurz nach Beginn seines Studiums. Im Gegensatz zu Menschen, die von Geburt an blind sind, hat er eine konkrete Vorstellung von Farbe. „Ich weiß noch, wie ein Sonnenuntergang aussieht“, sagt er. „Die Handykamera ersetzt ein Stück weit mein Augenlicht.“ Durch sie nimmt er die Farben seiner Umwelt wieder wahr – und durch die Augen seiner Frau.