Die Politik will weiter bei der Frühförderung für Kinder mit Handicap kürzen. Die Proteste der Mitarbeiterinnen werden dabei überhört.

Kreis Segeberg. Wutentbrannt und tief enttäuscht verlässt Ulla Peters den Plenarsaal des Segeberger Kreistages. Auch ihre Kolleginnen von den Frühförderungen in Norderstedt und Bad Bramstedt müssen erst einmal Dampf ablassen. Die Wut der Pädagoginnen gilt den Mitgliedern des Sozialausschusses, die auf der anderen Seite der Tür gerade über den letzten Punkt auf der Tagesordnung beraten. Keine fünf Minuten zuvor haben die Abgeordneten einstimmig beschlossen, dass im kommenden Jahr rund 25 000 Euro bei den sieben Frühförderungen des Kreises eingespart werden sollen. Noch laufen die Verhandlungen, bis zum 31. Dezember ist Zeit für eine Einigung. Wahrscheinlich ist diese aber nicht mehr; die Politik hat der Verwaltung das Verhandlungsziel mit dem Beschluss ganz klar vorgegeben.

Die sieben Frauen sind an diesem Abend gekommen, um mitzuerleben, wie die Abgeordneten über ihre Frühfördereinrichtungen entscheiden. Dort betreuen sie Kinder mit Handicap von bis zu sechs Jahren. Dass den Mitgliedern des Sozialausschusses klar ist, was sie gerade beschlossen haben, bezweifeln die Mitarbeiterinnen.

Das Kuriose an der Szenerie im Kreistag ist, wie die Pädagoginnen auf der einen und Politiker auf der anderen Seite die Situation bewerten. Liane Simon, Leiterin der Norderstedter Frühförderung, hat eine klare Meinung zu den möglichen Konsequenzen der Kürzungen: "Unsere Arbeit muss sorgfältig gemacht werden, sonst leidet die Qualität. Der Plan der Politik ist illusorisch." Für CDU-Politiker Joachim Miermeister hingegen werde "an der Arbeit mit den Kinder in keiner Form gespart".

Konkret geht es um die Zeit, die die Mitarbeiter vor und nach den Förderstunden zur Verfügung haben. Für eine geleistete Stunde hatten die Sozialpädagoginnen einst zusätzlich 70 Minuten zur Verfügung, um sogenannte indirekte Leistungen zu erbringen. Mittlerweile sind es 30, ab nächstem Jahr sollen es nur noch 15 Minuten sein - bei gleichbleibenden Anforderungen. In dieser Zeit müssen die Mitarbeiterinnen Kontakt zu "weiteren Dritten" und den Sozialhilfeträgern halten, den Schriftverkehr bewältigen, die Ergebnisse und Anmerkungen dokumentieren, die Stunden vor- und nachbereiten, sich untereinander beraten sowie Dienst- und Fallbesprechungen abhalten. So steht es in dem Schreiben, das die Abgeordneten erhalten haben.

Als Joachim Miermeister diese Leistungen mit den Worten "das sind nur wenige Klicks" umschreibt, stöhnen die Frühförder-Mitarbeiterinnen im Zuschauerraum laut auf. "Klicks bleiben Klicks", entgegnet Miermeister. "Auch wenn das in der Praxis manchmal anders aussehen mag." Die Version der Frühförderungen hört sich anders an. Von langen Gesprächen mit getrennt lebenden Vätern, die anders nicht informiert werden können, ist genauso die Rede wie von langwierigen Gutachten für das Jugendamt, in denen festgestellt wird, ob eine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt oder nicht. Allein für die Dokumentation bräuchten ihre Mitarbeiterinnen eine Viertelstunde, sagt Liane Simon.

Die Kreisverwaltung sieht das anders - vor allem, weil bereits der Großteil der übrigen Kreise in Schleswig-Holstein die Frühförderungen auf das gleiche Modell umgestellt habe - ohne größere Probleme, wie es heißt. Tatsächlich haben alle Kreise bis auf Nordfriesland, Steinburg und Teile Pinnebergs bereits den gleichen Schritt vollzogen. Wie erfolgreich allerdings das Modell ist, steht längst nicht fest.

Im Kreis Herzogtum-Lauenburg sind die 15 Minuten schon Realität. Juliane Laengrich ist Leiterin der Mobilen Dienste in Mölln. Ihre Bilanz: "Die Zeit fehlt hinten und vorne. Die Qualität unserer Arbeit sinkt, die Fehlzeiten der Mitarbeiterinnen haben zugenommen. Am meisten leiden darunter die Kinder." Die Einstellung der Abgeordneten bemängelt sie. "Ich glaube nicht, dass die Politiker verstehen, worum es geht. Sie folgen der Verwaltung blind", sagt Laengrich. Maren von der Heyden, die Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes Hamburg-Südholstein, zu der die Frühfördereinrichtungen gehören, hat sich unterdessen in die Verhandlungen eingeschaltet. Auch sie habe nicht den Eindruck, dass die geleistete Arbeit angemessen honoriert werde, sagt sie.

Die nächste Verhandlungsrunde folgt am 27. November. Dann werden auch die über 200 betroffenen Familien im Kreis Segeberg gespannt sein, wie es weitergehen wird. Hoffnung macht lediglich eine vom Landesministerium für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung in dieser Woche veröffentlichte Studie zur Frühförderung in Schleswig-Holstein. Eine "Stärkung des Stellenwertes der indirekten Leistungen" sei erstrebenswert, heißt es darin. Als konkrete Maßnahme werden "bessere zeitliche und finanzielle Rahmenbedingungen" vorgeschlagen. Ob das Gutachten Einfluss auf die Verhandlungen haben wird, ist unklar. Ob die Frühförderungen im Falle der Kürzungen überhaupt weiterarbeiten könnten, wird derzeit intern diskutiert. Die Mitarbeiterinnen in Norderstedt und Bad Bramstedt jedenfalls sind bereits desillusioniert. "Wir sehen uns auf dem Arbeitsamt", sagen sie voller Bitterkeit zum Abschied.