Viel mehr als bisher angenommen haben Rückenschmerzen mit psychischen Belastungen zu tun.

Unser Rücken gleicht einem Meisterwerk. Ein ausgeklügeltes System aus Wirbeln, Bandscheiben, Bändern und Muskeln hält uns aufrecht, stabilisiert den Oberkörper und ermöglicht gleichzeitig, dass wir uns beugen, strecken oder seitlich drehen können. Die in einer eleganten S-Kurve angeordneten Wirbel unseres Rückgrats schützen unsere empfindlichsten Nervenbahnen, das Rückenmark. Zwischen den insgesamt 24 Wirbeln liegen - quasi wie Stoßdämpfer - die Bandscheiben. Sie haben eine feste Schale und einen gallertartigen Kern. Die normalen Belastungen des Tages drücken die Bandscheiben zusammen, beim Liegen saugen sie Flüssigkeit aus dem umliegenden Gewebe und werden wieder prall.

Mit zunehmendem Alter verlieren die Bandscheiben jedoch ihre Fähigkeit zur Regeneration, sie werden brüchiger und kleiner. Doch Bewegungsmangel und einseitige Belastungen machen dem Rücken schon weitaus früher zu schaffen. Nach Angaben der DAK sind 14 Prozent der 18- bis 29-jährigen Hamburger betroffen, bei den über 60-Jährigen ist es jeder Dritte.

"Chronische Rückenschmerzen sind auch ein Problem unserer Kultur", sagt Dr. Gerd Müller, Orthopäde und Geschäftsführer des Rückenzentrums am Michel. "In Entwicklungsländern etwa sind sie völlig unbekannt." Viele Rückenschmerzen hängen mit dem Beruf zusammen, den der Betroffene ausübt. "Wer zur Bewegungslosigkeit oder Bewegungseinschränkung verurteilt ist, hat weitaus öfter Rückenbeschwerden", sagt Müller. "Der gefährlichste Beruf", betont der Rückenexperte, "ist jedoch die Arbeitslosigkeit".

Denn viel stärker als allgemein angenommen haben Rückenschmerzen mit der Psyche zu tun. Durch beruflichen oder privaten Stress verkrampft die Rückenmuskulatur - die Folge sind schmerzhafte Verspannungen und Verhärtungen. "Die so hervorgerufenen Beschwerden, im Volksmund Hexenschuss und Ischias genannt, können auch Signale des Körpers sein, besser auf das Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung achtzugeben", sagt Müller, dessen Rückenzentrum daher sowohl Physio- als auch Psychotherapie angegliedert sind. Viele Schmerzen können erst durch eine umfassende Untersuchung besser eingegrenzt werden. Die zahlreichen potenziellen Schmerzpunkte entlang der Wirbelsäule, so Müller, erschweren die genaue Diagnostik: Dicht an dicht liegen dort Bandscheiben und Gelenke, Nerven und Bänder. "Rückenschmerz ist nicht einmal ein klares Symptom", sagt Müller, "weil es nicht objektiv messbar ist." Was die zeitliche Ausdehnung angeht, wird unterschieden zwischen akuten (bis sechs Wochen), subakuten (sechs bis zwölf Wochen) und chronischen Rückenschmerzen (länger als zwölf Wochen). "Chronische Schmerzen lassen sich aber nicht auf eine zeitliche Dimension reduzieren", gibt Müller zu bedenken. "Es kommen psychische Faktoren wie emotionale und kognitive Veränderungen hinzu, soziale Aspekte wie Berufsunfähigkeit, und die Ausbreitung der Schmerzen in andere Körperregionen." Zu den spezifischen, eindeutig zu diagnostizierenden Rückenbeschwerden gehören außer dem Bandscheibenvorfall auch das Wirbelgleiten (Spondylolisthesis), bei der sich ein Wirbel über den anderen schiebt, oder die abnutzungsbedingte Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose).

"Etwa 90 bis 95 Prozent dieser Erkrankungen müssen nicht operiert werden", sagt Gerd Müller. Den Patienten könne stattdessen mit einer medikamentösen Therapie, einer gezielten physiotherapeutischen Behandlung, durch Rückenschule oder psychologische Verfahren wie Stressbewältigung geholfen werden. "Glücklicherweise machen die schwerwiegenden und ernsthaften Erkrankungen des Rückens nur wenige Prozent aller Fälle aus", sagt Prof. Dr. Uwe Kehler, Chefarzt der Neurochirurgie der Asklepios-Klinik Altona. Seine Patienten leiden an Bandscheibenvorfällen mit Nervenausfällen und Lähmungserscheinungen, Wir- belkanalengen (Wirbelkanalstenosen), tumorbedingten Rückenschmerzen oder entzündlichen Veränderungen der Wirbelsäule. Die bei leichteren Bandscheibenvorfällen angezeigte Zurückhaltung beim Operieren gilt bei diesen Fällen nicht. "Wenn zusätzlich die Funktion von Blase und Mastdarm beeinträchtigt ist, muss meistens sofort operiert werden", sagt Kehler. Zunächst müsse jedoch ein neurologisches oder neuroradiologisches Gutachten abklären, ob tatsächlich ein Bandscheibenvorfall für die Beschwerden verantwortlich ist. Die OP an den Bandscheiben erfolgt minimalinvasiv. Unter Einsatz eines Mikroskops nähert sich Kehler dem "Vorfall" und entfernt ihn - der entstandene Hohlraum füllt sich später mit Narbengewebe teilweise wieder auf. Bereits am Tag der Operation könnten die Patienten wieder aufstehen, nach fünf bis sieben Tagen dürften sie das Krankenhaus verlassen. "Das Altern und den Verschleiß", sagt Kehler, "kann man so allerdings nicht aufhalten."

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