Der schillernde Star Anselm Reyle ist Gegenstand einer großen Einzelausstellung

Wenn Anselm Reyle jemand sagt, seine Arbeiten sähen immer so ein bisschen nach Filmset aus, wo für die Kulisse noch moderne Kunst gebraucht wurde, dann freut ihn das. Klischees sind seiner Ansicht nach nichts Negatives. "Mich interessiert etwas, was überhaupt die Qualität hat, ein Klischee zu sein. Dann versuche ich seinen Kern zu erfassen", sagt er.

Anselm Reyle, geboren 1970 in Tübingen, wurde Anfang der 2000er-Jahre mit großformatigen Bildern bekannt, die an die Formensprache der abstrakten Kunst erinnern, sich jedoch scheinbar ganz einer schillernden und glänzenden Oberfläche verschrieben haben. Die ungeheure Präsenz seiner Werke brachte ihm bald viele Sammler ein. Heute gehört er zu den meistumworbenen Künstlern seiner Generation.

Die Deichtorhallen zeigen nun unter dem Titel " Anselm Reyle - Mystic Silver" die erste umfassende Einzelausstellung des in Berlin lebenden und an der Hamburger Hochschule für bildende Künste lehrenden Künstlers. 80 Arbeiten sind zu sehen, die Reyle in eine begehbare Installation eingebettet hat. In Wänden aus Silberfolie spiegeln sich monumentale Streifenbilder, gestische Arbeiten, zerklüftete Folienbilder und Werke nach dem Malen-nach-Zahlen-Prinzip. Hinzu kommen Skulpturen und plastische Objekte wie eine Neoninstallation oder ein neongelber Heuwagen.

Anselm Reyle beschreibt seine Kunst als ein sich entwickelndes System, das nicht so viel mit ihm selbst zu tun hat. "Alles, was ich mache, meine ganze künstlerische Arbeit, basiert auf Vorgefundenem. Ob das jetzt Folie ist, die ich im Schaufenster gefunden habe, oder Fundstücke der neueren Kunstgeschichte. Oder afrikanisches Kunsthandwerk oder auch Berliner Punkschweißkunst aus den 80er-Jahren. Ich suche nicht in mir selbst, sondern ich stoße auf etwas, das mir die Idee für einen weiteren Schritt gibt."

Und so greift Anselm Reyle ungehemmt beim Formenvokabular der abstrakten Moderne zu. Minimalismus, abstrakter Expressionismus, Farbfeldmalerei, Pop Art benutzt er wie einen Musterkatalog und überführt sie in sein Universum, in dem knallige Farben, Effekte, Spiegelungen die wesentliche Rolle spielen. Ungeschriebene Gesetze der Kunst bricht Reyle reihenweise. Lustvoll benutzt er Materialien, die im Kunstbetrieb als geschmacklos gelten, wie Neonfarben, in Regenbogenfarben schillernde Autolacke, Dekofolien und mehr. " Ich versuche Kunst zu machen, die ihre eigene Fragwürdigkeit kennt, aber nicht versucht, gegen das System zu arbeiten, von dem sie Teil ist", sagt er.

Auf den ersten Blick wirken die auf eine verführerische Oberfläche gerichteten Arbeiten gesellschaftskritisch, zugleich lassen sie den hehren Anspruch früherer Kunstwerke in einem Feuerwerk aufgehen. Das Paradox besteht darin, dass die "hohe" Kunst gerade in diesen kreischend bunten Arbeiten überlebt. Deichtorhallen-Direktor Dirk Luckow im Vorwort des Katalogs: "Die scheinbar obsolete Kunst eines Victor Vasarely, die ob ihrer massenhaften Verbreitung ihren guten Ruf eingebüßt hatte, führt er zurück ins Spannungsfeld der Gegenwart. Die konkret-abstrakte Kunst, an die er anknüpft, hatte sich seit ihren hehren Anfängen im 20. Jahrhundert durch ihre Verwertung in standardisierten Designformen bis zur Unkenntlichkeit verbraucht."

Für diesen Kreislauf von Kunst zu Massenprodukt und zurück liefern die sogenannten "Afrikanischen Skulpturen" ein Beispiel. Ausgangspunkt bilden hier jene kleinen, aus Speckstein gearbeiteten Skulpturen für Touristen, die Reyle von den Plastiken Henry Moores inspiriert sieht, die sich wiederum auf Skulpturen der Afrika-begeisterten Expressionisten beziehen. Er vergrößert sie, lässt sie in Bronze gießen und überzieht sie zum Beispiel mit hellblauem Chromlack. Ein schmerzhaftes Beieinander von Kitsch und Kunst, in dem dennoch Geschichte aufbewahrt ist.

"Anselm Reyle - Mystic Silver" bis 27.1.2013, Deichtorhallen/Halle für aktuelle Kunst, Deichtorstraße 1-2, Di-So 11.00-18.00, jeden ersten Do im Monat 11.00-21.00, Katalog 38 Euro