Eindringliche Porträts, expressive Farben: Das Werk der Künstlerin Else Weber ist ab Februar allen zugänglich. Ihre Tochter übergab den Nachlass dem Altonaer Museum.

Bis in den Hausflur kam die kleine Sigrid nicht. Die Mutter sah sie im Türrahmen stehen und rief ihr zu, sie möge sich nicht mehr bewegen. Sigrid, gerade von der Schule nach Hause gekommen, stand still, bis die Mutter die Vorzeichnung von ihr fertig hatte und sie endlich eintreten durfte. Es war nicht immer leicht, die Tochter einer Künstlerin zu sein.

Die Künstlerin heißt Else Weber, und die Tochter Sigrid von Rabenau hat soeben den mütterlichen Nachlass dem Altonaer Museum vermacht. 62 Gemälde in Öl und unzählige Blätter mit Skizzen, Vorzeichnungen und Blaupausen. Fast das gesamte Lebenswerk einer Hamburgerin, die schier unermüdlich gemalt hat und selbst in den Urlaub nie ohne Zeichensachen und Skizzenblock fuhr.

Nur wenige Bilder bleiben im Familienbesitz. Der Rest ist fortan Teil der Sammlung im Altonaer Museum: das Werk einer nur wenig gezeigten Künstlerin, die Zeitgenössin war von Gretchen Wohlwill, Arnold Fiedler und Erich Hartmann. Sie alle zählten zu den sogenannten Sezessionsmalern in Hamburg. Anfang der 20er-Jahre bildeten sie die wichtigste Künstlervereinigung der Hansestadt, zählten auch Architekten und Literaten zu ihrem Kreis.

Ihr Anliegen: künstlerisches Schaffen in der kaufmännisch geprägten Stadt zu fördern und das Abwandern von Künstlern zu verhindern.

Else Weber wurde 1893 in Hamburg als Else Rouwolf in eine musisch aktive, bürgerliche Familie geboren. Der Vater war Oberlehrer und arbeitete in seiner Freizeit begeistert mit Holz. Die Mutter sang im Chor und spielte Klavier. Nach dem Ende der Schulzeit ließ sich Else Rouwolf zur Grundschullehrerin ausbilden, zusammen mit ihrer Freundin Grete Bünz. Doch gearbeitet hat Else im Unterschied zu ihrer Freundin Grete nur kurz. Auf einem Kostümfest lernte sie nämlich Hans Ulrich Weber kennen, einen Lehrerkollegen ihres Vaters, und verliebte sich in ihn. Sie war zu dem Zeitpunkt 21, Hans Ulrich Weber 34 Jahre alt. Nach der Heirat 1914 musste Else Weber ihren Beruf aufgeben: Als verheirateter Frau war es ihr im Kaiserreich verboten, als Lehrerin zu arbeiten.

Die Ehe war, wie man heute sagen würde, liberal. Else Weber entwarf lieber Möbelstücke, als sich um den Haushalt zu kümmern - doch ihr Ehemann störte sich nicht daran. Die Tochter Sigrid, die 1916 geboren wurde, erinnert sich heute noch an einen etwas legeren Haushalt in der Eppendorfer Wohnung. Wenn die Kunst es erforderte, musste schon mal ein gutes Silbermesser herhalten. Doch die Tochter war meist stolz auf ihre Mutter: Sie war anders als die anderen Mütter.

Schon von 1914 gibt es ein Skizzenbuch von Else Weber. Mit 30 Jahren malte sie ihr Selbstporträt in Pastellkreide. Bei einem Abendessen lernte sie Rudolf Zeller kennen, einen renommierten Porträtmaler, Mitglied des Hamburger Künstlervereins und später der Hamburgischen Künstlerschaft, der sie als seine Schülerin annahm. Er brachte ihr das Handwerk bei. Doch Else Weber bildete sich auch selbst weiter. Das Buch von Max Dörner "Malmaterial und seine Verwendung im Bilde" hat sie förmlich durchgeackert, wie man an etlichen Skizzen nachvollziehen kann. Rudolf Zellers Lieblingsmodell war ein gewisses "Fräulein Heitmüller", das sich immer wieder als Modell zur Verfügung stellte und das später auch auf vielen Bildern von Else Weber auftauchte, so in dem Gemälde "Schwangere I" von 1928. Wenn Fräulein Heitmüller nicht da war, musste an ihrer Statt die eigene Tochter still sitzen. In der Tat findet sich immer wieder Sigrid als Motiv auf den Bildern der Mutter. Wie die Tochter das damals fand, lässt sich im Nachhinein nicht mehr so genau sagen. Auch wenn die erwachsene Frau später sehr stolz auf ihre Mutter war, mag darin eine gewisse Zwiespältigkeit gelegen haben.

Zumal Else Weber eine sehr unabhängige Frau war. Schon 1929 bis 1930 verbrachte sie ein ganzes Jahr in Paris und ließ ihre damals 13-jährige Tochter bei Freunden. Else Weber besuchte die Kunstschule "Academie de la Grande Chaumière"; eine Empfehlung ihrer Freundin Gretchen Wohlwill, die zuvor dort gewesen war. Es sollte ihre einzige Akademie-Ausbildung bleiben. Else Weber besuchte oft den Louvre, kopierte zu Übungszwecken Picasso, Matisse und Georges Braque.

Karl Hofer, ein gefeierter Maler aus Berlin, lehnte Else Weber als Schülerin ab, mit der etwas fadenscheinigen Begründung, sie könne bei ihm nichts dazulernen. Else Weber bereiste Europa auf Frachtschiffen, meist in Begleitung ihrer Freundinnen, während ihr Mann zwischenzeitlich nach Amerika ging. Später, 1957, verschlug es sie auf einer Schiffsreise sogar bis nach Ecuador, mit ihrem Ehemann. Selbst im Krieg hatte Else Weber nicht aufgehört zu reisen. Während ihre jüdischen Freunde einer nach dem anderen Deutschland verließen, blieb Else Weber unbehelligt, vielleicht deshalb, weil sie sich mit öffentlichen Auftritten sehr zurückhielt.

Manchmal beteiligte sie sich an Sammelausstellungen, vor allem mit der hochkarätigen GEDOK (Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen-Vereine) stellte sie in Hamburg, Berlin und in Bremen aus. Doch ließ sie sich lieber bitten, als selbst aktiv zu werden. Ihr bekanntester Auftritt war die Beteiligung an der zehnten Ausstellung der Hamburger Sezession. Zeit ihres Lebens wollte Else Weber kaum Werke verkaufen. Ihre Schaffenskraft speiste sich allein aus ihrem inneren Antrieb. Auffallend ist, dass sie ihren Stil auch ohne Lehrer erkennbar weiterentwickelte. Der ständige Austausch mit Künstlerfreunden, ihre tägliche Übung und die Inspiration durch bekannte Künstler zeigten Wirkung: Von einem anfänglich eher konventionellen Stil gelangte Weber zu der intensiven Farbigkeit ihrer späteren Werke. Fast expressionistisch muten sie an, mit Einflüssen des Abstrakten.

Else Weber malte bis kurz vor ihrem Tod. Erst mit 85 Jahren legte sie den Pinsel aus der Hand und betrat schließlich auch ihr Atelierzimmer nicht mehr. 1994 verstarb sie, im hohen Alter von 100 Jahren.


Else Weber: Leben einer Künstlerin Altonaer Museum, Museumsstrasse 23, 17. 2. bis 10.5.2009, Di-So 10-17 Uhr.