Immer hungrig auf Neues: Hamburg entwickelt sich ab 1630 zu einem führenden Zentrum der gedruckten Aktualität. Kühne Verleger prägen die Pressegeschichte der Stadt auch nach dem Zweiten Weltkrieg.

"Die journalistische Tätigkeit fällt keineswegs in vollem Umfang in das Gebiet der eigentlichen Kultur", urteilt der Hamburger Landgerichtsdirektor und Kunstfreund Gustav Schiefler 1920, "doch sollte auch die Tagespresse den Fragen der Geistesbildung einen breiteren Raum gewähren als gemeinhin geschieht; ihr Wert wird zum guten Teil danach zu bemessen sein."

Die Einteilung folgt auf dem Gänsefuße: "Bei einer Gruppierung der hamburgischen Zeitungen nach diesem Maßstab" sei "dem Hamburgischen Correspondenten, der Neuen Hamburger Zeitung und dem Hamburger Echo die oberste, dem Hamburger Fremdenblatt eine mittlere, den Hamburger Nachrichten die unterste Stufe anzuweisen" - mehr noch: Letztere müssten "ohne Umschweife als Schädling bezeichnet werden", beim Lesen steige einem "das Blut in die Schläfen", und jeder Abonnent mache sich "mitschuldig an der Brunnenvergiftung".

Der Tadel des fortschrittlich orientierten Juristen und Förderers expressionistischer Kunst in "Eine Hamburgische Kulturgeschichte 1890-1920" offenbart: Auch im kühlen Hamburg hängen Wohl, Wehe und Wirkung einer Zeitung nicht etwa nur an gutbürgerlichem Ansehen und Anspruch, kaufmännischem Nutz und Frommen oder den Unterhaltungsgelüsten eines weltstädtischen Publikums, sondern ebenso an oft heiß umkämpften politischen Positionen.

Denn nicht etwa das intellektuelle Niveau der "Hamburger Nachrichten", sondern ihre parteiliche Ausrichtung provoziert den liberalen Landgerichtsdirektor zu seiner Presseschelte: "Ansehen und Hochmut des Blattes schrieben sich von der Zeit her, da Bismarck es zu seinem Mundstück gemacht und den Schriftleiter Hofmann oft bei sich in Friedrichsruh gesehen hatte", wettert er. "Seither erhoben die Nachrichten den Anspruch, gleichsam der politische Testamentsvollstrecker Bismarcks zu sein und seinen Geist in Erbpacht zu haben. Daraus leiten sie auch die Gabe ab, auch alles andere besser zu wissen und von oben herab beurteilen zu können."

Der "Correspondent" jedoch, so Schiefler, "hielt es seit jeher für seine Pflicht, für die Belange geistigen Lebens im Sinne eines gesunden Fortschritts einzutreten". Der "Neue Hamburger" wiederum beweise "einen gleich offenen Sinn für die hamburgischen Bildungsbestrebungen", und das sozialdemokratische "Echo" sei "der Überzeugung, dass der Herzschlag der Partei durch Zuführung geistigen Sauerstoffs nur gekräftigt werden könne".

Weit, aber nicht allzu weit scheint von hier der Weg zu den vier großen Blättern "Bild", "Welt", "Morgenpost" und Hamburger Abendblatt - und jedenfalls kürzer als in die andere Richtung: Die Anfänge der Hamburger Presse finden sich in den üblen, wenn auch nachrichtenreichen Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, dessen furchtbaren Verheerungen die Stadt durch den rechtzeitigen Bau massiver Festungswerke entgeht.

Auf einer der damals aufgetürmten 22 Bastionen, dem längst geschleiften Fünfeck der Ericusspitze, thront ab 2010 in einem spektakulären Neubau das viel zitierte "Sturmgeschütz der Demokratie", der "Spiegel". Zwischen zwei anderen Ex-Bastionen streicht die Meinungskanone "Stern" wie vom Gefechtsturm eines Panzerkreuzers über Elbe, Hafen und Deutschland. Und Axel Springer, das größte deutsche Zeitungshaus, steht nicht weit von der Straße, die den Namen des verdienstvollen holländischen Festungsbauers Johan van Valckenburgh trägt.

Der allererste Herausgeber eines Hamburger Presseperiodikums wohnt an einer Hochburg ziviler Macht: Er heißt Johann Meyer und ist "Fracht- und Güterbestätter" sowie Wirt im "Weißen Schwan" nahe der Börse, was ihm gute Kontakte zur Kaufmannschaft und zu Reisenden verschafft, damals die wichtigste Informationsquelle. Sein Nachrichtenblatt "Wöchentliche Zeitung auß mehrerley Örther" wird 1618 bei dem Hamburger Buchdrucker Paul Lange aus der Presse gehoben.

Für Leser ist gesorgt, mit mehr als 40 000 Einwohnern ist Hamburg Deutschlands größte Stadt. Hier arbeitet schon seit einem Jahr Deutschlands erste (Giro-)Bank, und Glaubensflüchtlinge aus den blutig unterdrückten spanischen Niederlanden lassen Wirtschaft und Handel explodieren. In Straßburg, Wolfenbüttel, Frankfurt am Main und Berlin rauschen da schon seit einigen Jahren Blätter aus Papier.

Rasch werden sie Kampfmittel der Konfessionen im schlimmsten Religionskrieg aller Zeiten. Der Hamburger Meyer aber fährt klug neutralen Kurs. Ab 1630 kommt seine Zeitung zweimal wöchentlich. Andere Buchdrucker und -binder machen ihm Konkurrenz, Paul Lange zweigt Exemplare ab und verscherbelt sie, worauf der Gastwirt seine eigene Druckerei aufmacht.

Nach 1634 führt seine Witwe Ilsabe den Betrieb fort und wird Deutschlands erste Zeitungsverlegerin. Meyers Monopol ist da schon futsch, denn seit 1630 gibt der Postmeister Hans Jacob Kleinhans in Wandsbek seine "Ordentliche Post-Zeitung" heraus. Gestützt auf die kaiserliche Reichspost der Generalpostmeisterin Alexandrine Gräfin von Taxis, will er die Witwe Meyer aus dem Markt drängen. doch der Senat macht kluge Medienpolitik und stellt sich taub, als Kaiser Ferdinand II. per Reskript ein Verbot der Hanseaten-News verlangt. Damals schon festigt sich der Ruf der Hamburger Medien, weder von Partei- noch von Lokalinteressen beschränkt zu sein.

"Aus Venedig wird am 18. Decembris gemeldet: Allhier leset die Pest zimlich nach/dann die Frantzösische Artzte großen Fleiß brauchen/doch seind seithero primo Octob: nur in der Stadt bey 23 tausend Persohnen/und in den Lazareten auch eine große Anzahl gestorben", meldet etwa ein Bericht des Jahres 1630. Das Tor zur Welt wird Ohr zur Welt, die Elbe Deutschlands Nachrichtenstrom.

1713 wagt sich das erste Hamburger Presseerzeugnis über die kühle Info hinaus und druckt hitzige Kommentare: Am 31. Mai startet der Komponist und Dirigent Johann Mattheson die Wochenzeitung "Der Vernünfftler" mit temperamentvollen Abhandlungen zur Verbesserung der Sitten. Der Herausgeber vertritt seine Standpunkte mit Aplomb: Zehn Jahre zuvor hat er sich mit dem berühmten Georg Friedrich Händel nach einem Streit um die musikalische Leitung der Oper "Cleopatra" auf dem Gänsemarkt mit Degen duelliert. Doch Hamburg ist wohl nicht der ideale Ort für moralische Schriften: Bereits ein Jahr später wird das Blatt eingestellt und Mattheson zum Trost Dommusikdirektor.

1720 gibt es in Hamburg 35 Zeitungen, bis 1730 kommen 43 hinzu, darunter "Der Patriot" des Barockdichters Barthold Hinrich Brockes mit der löblichen Absicht, "zu nützen und nicht zu beleidigen, den Sitten der Menschen beyräthig und nicht nachteilig zu seyn". Autoren wie der Alsterlied-Schöpfer Friedrich von Hagedorn engagieren sich darin auch "für die geistige Entfaltung der Frau". Zwei Jahre später wird diese Zeitung ebenfalls schon wieder zugemacht, doch ist aus dem Kreis der Mitarbeiter immerhin die Patriotische Gesellschaft entstanden.

Bis 1800 werden in Hamburg weitere 594 Zeitungen und Zeitschriften gegründet, darunter zwei für Freimaurer, zwei für Frauen und die erste für Lottospieler. "Hamburg und Altona allein geben so viele gedruckte und geschriebene Zeitungen als kaum ein großer deutscher Kreis mit seinen verschiedenen Staaten", staunt ein Traktat des Jahres 1757, "selbst die Tagelöhner stehen damit auf den Straßen und Brücken."

Das von dem Landgerichtsdirektor Schiefler später am meisten gerühmte Blatt startet am 2. Januar 1731 unter dem klangvollen Namen "Stats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten". Zur Leserschaft zählen Herder, Lessing und der Alte Fritz, um 1800 werden viermal wöchentlich je 30 000 Exemplare gedruckt, weit mehr als die 8000 der Londoner "Times". Zum Auftakt fleht auf der Titelseite ein Gebet "Laßt uns des Friedens Früchte sehen". Drinnen aber liefert sich Lessing eine erbitterte Fehde mit Hauptpastor Goeze, während den Handelsmann eher die ausführlichen Schifffahrtsnachrichten erfreuen.

Lessing schreibt auch für seinen Freund Matthias Claudius im "Wandsbecker Bothen" und ist längst nicht der Berühmteste unter den freien Mitarbeitern: Der heißt Goethe. Auch Klopstock und Herder helfen dem Reinfelder Pastorensohn, der das Geschäft bei der "Hamburgischen Neuen Zeitung" gelernt hat. Das Claudius-Blatt wird in Deutschland fast so bekannt wie sein Gedicht "Der Mond ist aufgegangen", schafft aber nur eine Auflage von 400, der Alleinredakteur fliegt 1775 nach vier Jahren raus; kurz danach ist auch für den "Bothen" Endstation.

Erst später schafft es eine Zeitung bis in unsere Zeit. Sie entsteht als eine dem "Hamburger Beobachter" beigelegte "Liste der angekommenen Fremden". Herausgeber Friedrich Wilhelm Christian Menck kassiert von den auf Publicity erpichten Hamburger Hoteliers für jeden abgedruckten Gästenamen 25 Mark. Diskretion Ehrensache, Veröffentlichung erst nach Abreise.

Später gibt es einen Wegweiser, Kirchenanzeigen und jede Menge Titeländerungen, bis es ab 1864 beim "Hamburger Fremdenblatt" bleibt. Vor Schieflers privatem Pressetribunal reicht es aber nur zur "mittleren Stufe", denn, so das Verdikt: "Es hatte einen sehr weiten Leserkreis, dessen geistiges Niveau vielleicht richtig mit dem Worte 'platt' gekennzeichnet wird." Der Chefredakteur Felix von Eckardt, Vater des späteren Sprechers der Bundesregierung und Adenauer-Vertrauten, komme wohl "gegen die Geschäftstüchtigkeit des Herrn Broschek, des Besitzers der Zeitung, nicht an", und "wenn dieser einmal in Kulturdingen eine Meinung vertrat, war sie eng und kurzsichtig".

Besonders ärgerte sich der kunstsinnige Kadi darüber, dass der Verleger sich von Professor Hugo Vogel, Maler der großen Wandbilder im Hamburger Rathaus, gegen die Expressionisten habe vorvereinnahmen lassen. Wenn aber das Feuilleton doch einmal im Sinne des Fortschritts funktioniere, sei es "Geschäft und nicht Liebe". Beispiel: "Marianne Westerlind, eine gewandte Schriftstellerin, war gegen Jahresgehalt engagiert, Reiseberichte und Erzählungen zu schreiben. Als einmal ihr Roman drohte, gleichzeitig mit dem Quartal zu Ende zu gehen, wurde sie beauftragt, ein paar spannende Kapitel anzuflicken, damit die Abonnenten über den Termin hinaus festgehalten wurden."

Die Kunde von Albert Broscheks damals verpöntem Geschäftssinn klingt heute wie ein fernes Fanal für Hamburgs Aufstieg zur Pressemetropole der Republik. Erst müssen allerdings noch Hitlers tausend Jahre überlebt werden. Danach planen britische Besatzungsoffiziere im beschlagnahmten Broschek-Haus an den Großen Bleichen eine "Zeitung von hohem Standard" für die besiegten Deutschen. Bomben haben das Gebäude in Mitleidenschaft gezogen.

Im Treppenhaus fehlt eine Wand. Chefredakteur Hans Zehrer misst auf seinem Schreibtisch ein Grad minus. Der ehemalige Frontberichterstatter Kurt W. Marek schlägt sein Bett in zwei toten Telefonzellen auf, deren Mittelwand herausgebrochen ist. Nach der Währungsreform bringt er unter dem Pseudonym C. W. Ceram bei Rowohlt den ersten Weltbestseller der jungen Republik heraus: "Götter, Gräber und Gelehrte" verkauft sich vier Millionen Mal in 22 Sprachen.

Hamburg ist nach 213 Luftangriffen ein Trümmerhaufen. 60 Prozent der Wohnungen, 277 Schulen, 60 Kirchen, 24 Krankenhäuser sind Schutt, von 1,7 Millionen leben noch 1,2 Millionen in der Stadt, viele in Bunkern, Baracken und Kellerlöchern. Aber sie wollen Zeitung lesen. Die Crew im Broschek-Haus bastelt sowohl an Entwürfen für eine Tageszeitung als auch für eine Wochenzeitung. Als mögliche Titel stehen "Der Tag", "Die Welt" und "Die Zeit" zur Debatte.

Der ehemalige "Woche"-Chefredakteur und Marine-Kriegsberichterstatter Lovis H. Lorenz, der Schriftsteller und ehemalige Stadtbaurat Richard Tüngel sowie der Anwalt Gerd Bucerius, der sich im Krieg geweigert hatte, sich von seiner nach London geflohenen Frau scheiden zu lassen, erhalten schließlich eine Lizenz für "Die Zeit". Mit ihnen gehen Ernst Samhaber, ehemals Südamerika-Korrespondent der Nazi-Wochenzeitung "Das Reich", der Ex-Kriegsberichterstatter Josef Müller-Marein, der nach dem Krieg in Lübeck Generalkapellmeister geworden war, und die junge Marion Gräfin Dönhoff.

"Keine Woche später, am 21. Februar 1946, erschien die erste Ausgabe der Wochenzeitung für Politik, Wirtschaft, Handel und Kultur als erste deutsche Zeitung in Hamburg", schreibt Claus Jacobi in einer Serie des Medienmagazins "MediaPort" über Hamburgs Nachkriegspresse. Im Herbst 1947 stößt Jacobi selbst zur Redaktion im Pressehaus am Speersort. Der Ex-Seekadett hat zuvor ein Jahr bei der "Hamburger Allgemeinen" am Gänsemarkt volontiert, die der Ex-Chefredakteur der "Marinezeitung" Karl Silex leitet, und dann ein halbes Jahr für Zehrers "Welt" geschrieben. Alle ersten Chefredakteure dieser drei Blätter werden bald wegen angeblicher politischer Verfehlungen in der Vergangenheit gefeuert.

Hans Zehrer, weil er in der Weimarer Republik als Steigbügelhalter des Nationalsozialismus gedient habe. Ernst Samhaber, weil er vor 1937 zeitweilig dem Propaganda-Ministerium angehörte. Karl Silex, weil er im NS-Staat Journalist wurde.

"Ihr Schicksal war zeittypisch", schreibt Jacobi. "Für die Jungen der Branche sollten sich Sünden der Alten als Segen in Verkleidung erweisen: Nur wenige blütenweiße Westen der vorherigen Generationen blockierten ihren Berufsweg." Ein journalistischer Jugendstil erobert von Hamburg aus die zweite deutsche Republik.

Der 23-jährige Rudolf Augstein lässt sich von den Engländern 1947 "Die Woche" lizenzieren, die bald "Der Spiegel" heißt, zieht nach Hamburg um und macht das Blatt nach dem US-Vorbild "Time" zum bis heute führenden deutschen Nachrichtenmagazin. Der 35-jährige Henri Nannen, einst Sprecher in Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin und Kriegsberichterstatter der Luftwaffe, baut 1948 die Jugendzeitschrift "Zick-Zack" zum "Stern" um, dessen Chefredakteur er bis 1980 bleibt. Der 34-jährige Axel Springer sichert sich 1946 die Druckgenehmigung für die "Nordwestdeutschen Hefte" und die "Radio-Post", aus der die "Hörzu" wird. Er versteht die Engländer zu nehmen. "Ihre Art Humor war sein Humor", schreibt Claus Jacobi. "Von den Widerstands-Beteuerungen vorausgegangener deutscher Lizenz-Bewerber ein wenig genervt, fragte der zuständige Major Barnetson - später Lord Barnetson - Axel Springer einmal süffisant: 'Und von wem wurden Sie verfolgt, Herr Springer?' - 'Ooch', antwortete Springer, 'eigentlich nur von den Mädchen.' Das gefiel den Engländern, das war understatement at it's best."

1948 überreicht Hamburgs großer sozialdemokratischer Bürgermeister Max Brauer dem Altonaer Verlegersohn die Lizenz Nr. 1 für das Hamburger Abendblatt mit den Worten "Jetzt kannst du deine Zeitung machen. Wie viel Geld hast du denn?" Springer hat so viel wie alle anderen Deutschen kurz nach der Währungsreform: 40 Mark. "Für dich ist das genug", entscheidet Brauer. Der Bürgermeister behält recht, Axel Springer baut das größte Zeitungshaus Europas.

Der Verleger, dem später politische Feinde zusetzen wie keinem anderen Zeitungsmann in der deutschen Geschichte, schafft den Erfolg mit einem überparteilichen Konzept, vor dem parteinahe Blätter wie die "Hamburger Allgemeine" (CDU, Startauflage 80 000 Exemplare), das "Hamburger Echo" (SPD, 160 000), die "Hamburger Volkszeitung" (KPD, 80 000) oder die "Hamburger Freie Presse" (FDP, 80 000) der Reihe nach kapitulieren.

Im Jahr 1949 schließen sich in Goslar die deutschen Nachrichtenagenturen in den drei westlichen Besatzungszonen, DPD in der britischen, DANA in der amerikanischen und SÜDENA in der französischen, zur Deutschen Presseagentur (dpa) zusammen und wählen als Sitz des Unternehmens Hamburg - eine sehr wichtige Stärkung des Medienstandorts, genau wie die Flucht vieler Top-Journalisten aus dem belagerten Berlin des Kalten Krieges.

Im gleichen Jahr bringt Nannen seinen "Stern" nach Hamburg, muss aber seine Anteile unter Druck an "Zeit"-Verleger Bucerius verkaufen, der Mehrheitsgesellschafter wird; den Rest hält "Stern"-Drucker Richard Gruner. 1950 steigt Springer-Freund John Jahr beim "Spiegel" ein und pusht den Anzeigenanteil von 20 auf 60 Prozent. "Mit John Jahr hatte ich Glück", sagt Augstein später, "er hat mich in die Welt des Geldes und der Steuern eingeführt. Auf der Bahnhofstraße in Zürich hat er mir meine erste goldene Uhr geschenkt, nach langem Handeln und mit 15 Prozent Rabatt, versteht sich. Es machte mir wenig, dass diese Uhr später in unseren Geschäftsbüchern auftauchte: 50 Prozent hatte ich mir selber geschenkt."

Mehr noch als "Spiegel" und "Stern" macht in den 50er-Jahren der Heinrich-Bauer-Verlag Hamburg zur führenden Zeitschriftenstadt. 1953 bringt er die Jugendzeitschrift "Rasselbande" heraus. Als die Auflage auf eine halbe Million geschraubt ist, geht das Blatt höchst gewinnbringend an den Springer-Verlag. Es ist die erste Krümmung einer steilen Kurve nach oben. 1971 hängt Bauers "Neue Revue" dank des Aufklärers Oswalt Kolle mit 1,76 Millionen Exemplaren sogar den "Stern" ab. "Statistisch ist der Erfolg schnell erklärt", schreibt Otto Köhler im "Spiegel", "von den 215 redaktionellen Seiten handeln 54 nicht von Sex." Nach der Aufklärungswelle betonieren vor allem Fernsehzeitschriften dem 1875 nahe den Elbbrücken gegründeten Verlag ein mehr als solides Fundament. In der vierten Generation publiziert das Familienunternehmen 238 Blätter in 15 Ländern; jeder zweite Deutsche liest eine Zeitschrift aus dem Hamburger Verlagshaus.

Erfolgreicher ist wohl nur die "Bild"-Zeitung. 1952 erscheint sie zum ersten Mal - als Springers Antwort auf das Fernsehen, das am 1. Weihnachtsfeiertag um 20 Uhr den regelmäßigen Programmbetrieb aufnimmt. In diesem Jahr hat Axel Springer die "Welt" und den Berliner Ullstein-Verlag gekauft. Jetzt, so Zeitzeuge Jacobi in "Unsere 50 Jahre", sehen Besucher den Verleger "in seinem Haus am Falkenstein hoch über der Elbe, wie er auf allen vieren durchs Wohnzimmer krabbelte, Schere und Kleistertopf neben sich, umgeben von Presseausschnitten und Schlagzeilen, Fotos und Zeichnungen": Springer ist dabei, eine neue Zeitung zu erfinden, wie es sie noch nie gegeben hat. Seine schon damals recht zahlreichen Direktoren, so erzählt er später, "bogen sich vor Lachen", als er ihnen von seinen Absichten erzählte: "Zum Höhepunkt kam es, als jemand fragte: Haben Sie denn auch schon einen Titel? Ich sagte: Ja, einen Titel habe ich: Bild. Da wieherten die Direktoren."

Am 24. Juni erscheint die erste Ausgabe: vier Seiten, Auflage 455 000 Exemplare. "Deutschlands modernste Zeitung" kostet zehn Pfennig. Ende der 70er-Jahre erreicht sie unter Günter Prinz die Rekordauflage von rund sechs Millionen Exemplaren.

Größe ist Macht, und Medienmacht macht verdächtig, zumal in Deutschland, wo die Linke den Andersdenkenden alsbald in unseliger Erinnerung an den deutschnationalen Zeitungszaren der Weimarer Republik und ersten Wirtschaftsminister Hitlers als "neuen Hugenberg" diffamiert. Nach knallharten Kommentaren des "Bild"-Chefredakteurs Peter Boenisch gegen die Mauerbauer fließt Stasi-Geld in linke Studentengruppen, bald schwappt militanter Protest auch nach Hamburg über. Bei einem Bombenanschlag der RAF auf das Springer-Hochhaus an der Kaiser-Wilhelm-Straße 1972 werden 17 Menschen verletzt. "Haut dem Springer auf die Finger", skandieren Demonstranten. Aus Furcht, in die Hände von Terroristen zu fallen, trägt der verfemte Verleger fortan eine Zyankali-Kapsel am Hals.

Weit schlimmer als in den Tagen des strengen Landgerichtsdirektors Schiefler entzweit Parteipolitik die journalistischen Berufskollegen: auf der einen Seite "Bild", "Welt" und "Welt am Sonntag", auf der anderen "Spiegel", "Stern" und "Zeit". "Kein einzelner Mann in Deutschland hat vor Hitler und nach Hitler so viel Macht kumuliert, Bismarck und die beiden Kaiser ausgenommen", schreibt Augstein über Axel Springer. Andere verspotten den Verleger, der seinen langjährigen Generalbevollmächtigten und späteren Vorstandsvorsitzenden Peter Tamm direkt an der Berliner Mauer ein neues Verlagsgebäude errichten lässt, als "Brandenburger Tor".

Die Geschichte gibt Springer schneidend recht. Nach der Wiedervereinigung und manchen auch für Hamburger Blätter peinlichen Stasi-Enthüllungen bleibt den alten Widersachern des 1985 in Berlin verstorbenen Verlegers nur noch die Rache der Zwerge: Sie benennen einen Abschnitt der traditionsreichen Kochstraße im Zeitungsviertel nach Springer-Gegner Rudi Dutschke um.

Im wiedervereinten Deutschland holt sich Berlin Stück für Stück die Rolle als Pressehauptstadt zurück. Hamburg verliert "Bild", doch dpa, "Spiegel" und "Stern" bleiben, und der neue Springer-Chef Mathias Döpfner tut das Seine, publizistische Gräben einzuebnen.

Im jungen "Hamburger Presseclub" sitzt nun zusammen, was zusammengehört - auch Claus Jacobi, der sich auf seinem Weg durch die Redaktionen treu bleibt: Bei der "Zeit" ein Zögling Marion Gräfin Dönhoffs, verdoppelt er als "Spiegel"-Chefredakteur die Auflage; die "Spiegel"-Affäre sieht ihn in U-Haft. Springers "Welt" und "Welt am Sonntag" erringen unter ihm als Herausgeber und Chefredakteur die konservative Meinungsführerschaft in der Republik, und "Bild" hat unter seinem Redaktionsdirektorat eine höhere Auflage als unter allen seinen Nachfolgern. "Claus Jacobi wechselte lieber seine Verleger als seine Ansichten", schreibt Augstein- Biograf Dieter Schröder. Auch das ist gut hanseatische Zeitungsmachertradition.