Der Ausgangspunkt der Feindschaft zwischen Rad- und Autofahrern lässt sich genau datieren: Es war am 26. März 1887, als der Arbeiter und passionierte Radfahrer Karl-Eduard Semmelkorn den Freiherrn Friedrich Wilhelm Arthur von Klein-Lüttengroß schimpfend überholte und ihn dabei so erschreckte, dass dieser seinen Benz Patent-Motorwagen in einen Graben lenkte.

Von da an ging es bergab: Generationen von Autofahrern rächten sich an den Nachfahren Semmelkorns. Die Technik ermöglichte ihnen bald Geschwindigkeiten, von denen Radfahrer nur träumen konnten. Und die geschlossene Fahrgastzelle machte sie unempfindlich gegenüber den Schimpftiraden der Zweirad-Enthusiasten. Die wiederum erkannten, dass Rückspiegel einem beherzten Tritt nur selten standhalten und dass so manchen Autofahrer ein Kratzer im Lack mehr schmerzt als einer in der Haut.

Die Geschichte vom Arbeiter und dem Freiherrn ist übrigens frei erfunden. Unwahrscheinlich ist sie nicht. Der Straßenverkehr der Gegenwart wirkt schließlich oft wie eine Neuinterpretation des von Marx und Engels beschworenen Klassenkampfes. Der einzige Punkt, auf den man sich einigen kann: Die andere Seite hat Schuld. Immer.

Auch Ablenkungsmanöver, die den Fußgänger als gemeinsamen Feind zu etablieren suchen – Friede den Straßen, Krieg den Bürgersteigen! – sorgen nur für kurze Waffenruhen.

Wahrscheinlich kehrt erst Ruhe ein, wenn nach dem selbstfahrenden Auto auch das selbstfahrende Fahrrad und das selbstgehende Schuhwerk erfunden sind. Und der Mensch nur noch passiver Teilnehmer am Verkehrsgeschehen ist.