Wenn es nach den Entwicklern geht, gehört der Touchscreen bald zur Vergangenheit

    Es sieht aus, als wolle Alf Pollex eine Fliege verscheuchen. Doch der Leiter der Infotainment-Entwicklung bei VW in Wolfsburg wedelt aus einem anderen Grund vor der Mittelkonsole seines Dienstwagens. Pollex sitzt im E-Golf Touch, in dem die Niedersachsen bereits das neue Anzeige- und Bediensystem für die Golf-Modellpflege in diesem Herbst testen. Und jedes Mal, wenn Pollex’ Hand durch den Raum wischt, wechselt auf dem Bildschirm die Anzeige – ganz ohne Berührung tauchen in der Playlist neue Alben auf, oder die Bildergalerie zeigt das nächste Foto. Damit läutet VW die nächste Runde im Kampf um möglichst reduzierte Cockpits ein: Während sich der vom Smartphone und Tabletcomputer inspirierte Touchscreen als zentrales Bedienelement im Auto gerade erst durchsetzt und zum Beispiel bei Mercedes noch immer nicht angekommen ist, wird der Fingertipp schon langsam wieder überflüssig. Denn frei nach dem Motto „Bitte nicht berühren“ bricht sich jetzt die Gestensteuerung Bahn.

    Zulieferer Valeo hat als Alternative bereits eine Blicksteuerung entwickelt

    Ganz neu ist diese Technologie bei Kameras oder Näherungssensoren, die Bewegung analysieren und in Steuerbefehle für das Infotainmentsystem umsetzen, zwar nicht. Aber mit dem Einsatz im Golf bringt VW die Gesten­steuerung als erster Hersteller in ein Volumensegment, sagt Markenchef Herbert Diess. Seine Ingenieure sprechen der Technologie eine tragende Rolle zu. Denn um den Informationsfluss in einem zunehmend vernetzten Auto zu kontrollieren, die Ablenkung zu minimieren und das Designerlebnis zu maximieren, wollen sie Schalter und Knöpfe weitgehend verbannen und auf berührungslose Technologien umstellen, erläutern die Entwickler.

    Ihre Kollegen bei BMW sind damit schon einen Schritt weiter und im aktuellen Siebener als erste in Serie. Die Nische mag kleiner sein und der Preis dafür höher. Aber die Luxuslimousine erkennt statt Pollex’ einziger Wischgeste dafür auch ein paar mehr Fingerzeige: So kann man mit einer Handbewegung Anrufe annehmen oder ablehnen. Die Lautstärke lässt sich regulieren oder das Hauptmenü aktivieren. „Damit schaffen wir eine Art zusätzlicher Bediensprache, die das bisherige Angebot des iDrive-Drehrades, des Touchpads, der Schalter und der Spracheingabe ergänzt“, sagt BMW-Entwickler Marcus Behrendt.

    Wo der Golf nur eine und der 7er immerhin schon eine Handvoll Gesten beherrscht, ist der Zulieferer Panasonic noch weiter. In einer Cockpit-Studie, die nach Angaben von Automotive-Chef Fabien Roth noch im Laufe dieses Jahrzehnts in Serie gehen könnte, erfassen zwei Infrarotkameras 15 Handbewegungen. Mit ihnen kann man einzelne Menüpunkte auswählen, die Informationen auf unterschiedlichen Bildschirmen verteilen, den Radiosender wechseln oder die Lautstärke regeln, sagt Roth bei der ersten Sitzprobe im Cockpit von morgen.

    In allen Fällen muss man bei der Gestensteuerung noch immer die Hand vom Steuer nehmen. Und damit es nicht zu Missverständnissen kommt, müssen die Gesten allgemein gebräuchlich sowie klar erkennbar sein, schränkt Dörte Eimers-Klose vom Zulieferer Bosch ein. All das will der Zulieferer Valeo vermeiden und hat deshalb als Alternative eine Blicksteuerung entwickelt: Kameras erfassen dabei die Blickrichtung des Fahrers und schließen daraus auf seine Kommandos. Dann muss man einen Schalter nur lange genug anschauen, um eine Funktion zu aktivieren.

    Wildes Gewinke unter den Augen versteckter Videokameras oder aufgeregtes Zwinkern am Steuer – Matthias Wirth kann darüber nur lachen. Er arbeitet in der Vorausentwicklung von Opel und zeichnet verantwortlich für das Bedienkonzept der Designstudie GT Concept. Dass dieser Sportwagen neben den Lenkstockhebeln für Blinker und Co. nur noch ein Touchpad auf dem Mitteltunnel braucht, liegt laut Wirth nicht allein am ständigen Dialog mit der OnStar-Zentrale, Opels Telematikdienst, die sämtliche Einstellungen aus der Ferne übernimmt. Sondern das ermöglicht vor allem eine aufmerksame Elektronik, die den Fahrer mit jedem Kilometer besser kennenlernt, sagt Wirth: „So wird das Auto zu einem digitalen Kumpel und setzt die Wünsche des Fahrers irgendwann um, bevor er sie überhaupt geäußert hat. Wenn das klappt, braucht man irgendwann gar keine Bedienelemente mehr.“