Auf dem Genfer Autosalon setzt die PS-Branche auf eine eher bewährte Mischung. Kleinserienhersteller experimentieren mit neuer Technik.

Der Start ins neue Jahr ist gelungen, die Aussichten sind nicht so schlecht, die neue Konkurrenz aus dem Silicon Valley ist erst mal in Zaum gehalten und selbst die Dieselkrise ist halbwegs im Griff – die Stimmungslage auf dem Genfer Salon könnte schlimmer sein als in diesem Jahr. Entsprechend wenig Grund haben die Hersteller allerdings auch, sich auf echte Risiken einzulassen und wirklich etwas Neues zu probieren.

Echte Neuheiten gibt es unter den vielen News des Salons kaum. Von der Neuerfindung des Autos, der digitalen Revolution und dem radikalen Umbau der Mobilität ist bei den Pressekonferenzen viel zu hören, aber auf den Ständen nur wenig zu sehen. Stattdessen setzt die PS-Branche auf eine Mischung aus Faszination und Funktionalität, praktische Alltagsautos und vernünftige Kleinwagen auf der einen und schillernde Luxusliner und brüllende Boliden auf der anderen Seite.

Nirgendwo wird die Diskrepanz zwischen Vision und Wirklichkeit so deutlich wie im VW-Konzern. Einerseits redet kein anderer Hersteller so laut vom Wandel wie der Wolfsburger Zwölfmarkenkonzern, der bei der Digitalisierung und beim autonomen Fahren jetzt auf die Überholspur wechseln und zum Vorreiter der Revolution werden will. Und andererseits gibt es bei den Niedersachsen und ihren Töchtern mehr konventionelle Neuheiten als je zuvor.

Allein die Gäste aus Fernost würzen das europäische Einerlei

Jedes für sich und für die jeweilige Marke betrachtet, mögen sie sogar neu sein. Denn ein kleiner Geländewagen wie der Q2 passt prima zu Audi und ist eine überfällige Antwort auf Konkurrenten wie den Mercedes GLA oder den BMW X1. Auf ein Polo-SUV wie den T-Cross haben die VW-Händler spätestens seit dem Debüt des Opel Mokka gewartet. Der serienreife Geländewagen Seat ­Ateca ist genauso ein Selbstläufer wie die Skoda Vision S, aus der im Herbst der Kodiak wird, und selbst der Bugatti Chiron als 1500 PS starker und 420 km/h schneller Überflieger ist ein faszinierendes Auto. Nur mit der rosigen Vision vom voll vernetzten, smarten und sauberen Mobilitätsdevice, das autonom durch grüne Straßen surrt, haben diese Neuheiten wenig gemein.

Die Konkurrenz nimmt den Mund zwar diesmal nicht ganz so voll wie die Niedersachsen, die sich nicht ganz freiwillig gerade neu erfinden müssen. Doch viel besser sieht es bei den anderen Ausstellern auch nicht aus. Auch dort geht es weniger um Innovationen als um Portfoliopflege und bestenfalls um bewährte Ideen im neuen Gewand. Ein Cabrio der Mercedes C-Klasse, ein BMW Siebener mit V12-Motor oder mit Plug-in-Hybrid, ein V90 als riesengroßer Volvo-Kombi oder der Levante als erstes SUV von Maserati – alles neue Autos und trotzdem irgendwie alles schon einmal da gewesen.

Das sieht diesseits der Oberliga nicht anders aus: Von Ford zum Beispiel gibt es deshalb ein Facelift für den Kuga und von Opel ein Update für den Mokka. Und bei Fiat ist man so sehr im Gestern gefangen, dass einem nur alte Bekannte begegnen, selbst wenn es ganz neue Autos sind. Denn egal ob 124 Spider oder Tipo als Fließheck oder Kombi – beide Modelle hat Fiat vor Jahrzehnten schon einmal ins Rennen geschickt.

Auch die Franzosen passen in dieses Bild und kochen ihre Genfer Suppe nach bewährtem Rezept. Ja, der neue Renault Mégane Kombi ist eine elegante Erscheinung, und der neue Scénic sieht so klasse aus, dass man sich fast noch einmal Kinder wünscht. Aber nennenswerte Innovationen haben beide nicht zu bieten – und sind trotzdem kreativer als der aufgefrischte 2008 bei Peugeot oder der große Spacetourer bei Citroën. Selbst der E-Tense bei der Citroën-Schwester DS ist da kein großer Trost. Als reine Fingerübung der Designer bleibt dieser elektrische Sportwagen wohl ohne nennenswerten Einfluss.

Da kann man sich schon fast die Asiaten loben, die in Genf vergleichsweise groß auffahren – allen voran die Koreaner. Hyundai wagt sich mit dem Ioniq erstmals im großen Stil ins Grüne und nimmt das Vorbild Toyota Prius gleich mit Hybrid, Plug-in und reinem Elektrofahrzeug ins Visier. Und Kia zeigt mit als Hybrid konzipiertem Niro, dass man ein kleines SUV mit gutem Gewissen fahren kann.

Dazu ein fast schon Audi-ähnlicher Kombi des Kia Optima, der schmucke kleine Toyota-Geländewagen C-HR oder ein ziemlich überdrehter Vorbote des nächsten Honda Civic – so würzen die Gäste aus Fernost geschickt das Einerlei der europäischen Automobilbranche.

Interessant ist bei all der Aufregung um neue Autos die Rückbesinnung auf alte Werte – vor allem bei Sportwagen. Nicht genug, dass Opel den GT zumindest als Studie noch mal auf die Bühne fährt. Bei Renault spricht alles vom Comeback der Alpine, selbst wenn sie erst im Herbst in Paris zu sehen sein wird. Und damit niemand glaubt, Porsche hätte seine Ideale auf dem Altar der Political Correctness geopfert, gibt es neben dem zum Vierzylinder kastrierten Boxster jetzt einen puristischen Elfer nach alter Väter Sitte. Als 911 R gibt er den radikal reduzierten Sportwagen mit 500 PS-Sauger und Handschaltung – ohne Klima und Radio.

Auch für Wagen mit 1500 PS gibt es heute noch eine Kundschaft

Während die Großserienhersteller Business as usual machen, übernehmen die Rolle der Innovatoren die Kleinserienhersteller. Sie bringen die Isetta als pfiffiges Elektroauto zurück, experimentieren wie Quant mit dem Quan­tino mit neuer Akku-Technik oder lösen das Reichweitenproblem von Elektroautos wie E-Tender mit Generator im Anhänger. Selbst Borgward sieht man nun in einem ganz anderen Licht, wenn die deutsch-chinesischen Wiedergänger ihren BX7 Ende 2017 nach Deutschland nur als Elektroauto oder Plug-in-Hybrid ins Land holen.

Natürlich gibt es Revolutionen nicht über Nacht, und wahrscheinlich muss man der Industrie Zeit lassen, bis sie sich neu erfunden hat. Doch so laut wie die Hersteller vom Wandel sprechen, müssen sie den Worten irgendwann auch Taten folgen lassen. Aber vielleicht ist das alles nicht so eilig, wie alle immer tun. Denn der Markt brummt und wie gut es der Branche geht, zeigen vor allem zwei extreme Beispiele aus der Kategorie Traumwagen: der 770 PS starke Lamborghini Centenario und der neue Bugatti Chiron mit sogar 1500 PS. Nicht nur, weil solche Autos überhaupt noch gebaut werden. Sondern weil sich die Kunden offenbar darum reißen.