Der legendäre Sportwagen soll einen zeitgemäßen Nachfolger bekommen. Konzept-Studie „Vision“ ist bereits dicht an der Serienversion.

Es geht in unzähligen Kehren bergauf und bergab; vom Mittelmeer bis auf die Gipfel der Seealpen. Zwischen Schnee und Sonnenglut, Stadtgewühl und alpiner Einsamkeit. Allein mit ­brachialer PS-Protzerei ist die Rallye Monte Carlo nicht zu gewinnen – auch nicht ihre ­historische Variante. Das hat vor ein paar Tagen mal wieder eine Legende bewiesen: die Renault Alpine A110.

Ein besseres Timing hätte sich Bernard Ollivier nicht wünschen ­können. Denn der Manager hat jetzt in Monte Carlo das derzeit ambitionierteste ­Projekt für Renault vor­gestellt: die Wiederbelebung des Kult-Sportwagens Alpine. „Eine ungeheure Herausforderung – ­Alpine verkörpert Performance und Fahrspaß in seiner reinsten Form“, sagt Ollivier. Seine „Alpine Vision“ zeigt nun die Studie, bevor es in rund einem Jahr ernst wird mit der Wiedergeburt nach mehr als 20 Jahren.

Das berühmte Vier-Augen-Gesicht wird wieder aufgegriffen

Wer ein paar Tage zuvor die Einfahrt des Siegers der historischen Monte verfolgt hat, erlebt schon einmal optisch eine echte Renaissance: Die klassischen Proportionen des 3,85 Meter kurzen Flitzers A110 greift auch die nur leicht längere und höhere Alpine Vision auf – ebenso wie das berühmte Vier-Augen-Gesicht, die kugelig geschwungene Linie des Franzosen-Porsche und Details wie die straffen Sportschalen in der ­Innenraumhöhle.

Beide Fußpedale wie auch die Fußstütze sind mit drei Dreiecken verziert, die an siegreich erklommene Alpen­gipfel erinnern. Die vorderen Kotflügel und Seitenteile ziert lediglich das Al­pine-Logo: ein A mit stilisierter Pfeil­spitze. Ein Hinweis auf Renault findet sich nicht – kein Versehen: Carlos Ghosn will aus Alpine eine eigenstän­dige Marke machen: „Erst kommt das Auto, dann testen wir, dann etablieren wir eine glo­bale Marke“, sagt der Konzernchef. Und die soll auch weitere ­Modelle haben – wie SUV oder Cabrios. „Das ist ein Vor­haben, für das wir langen Atem brauchen“, so Ghosn.

Stilelemente aus der „sehr, sehr ­seriennahen“ Vision werden sich in ­allen Alpine-Modellen wiederfinden: die langgezogenen Rückleuchten in Form eines X etwa – und ähnlich wie bei neueren Audi auch Blinker mit Lichtbändern. Die Form des Heckfensters mit freiem Blick auf den Heck-Mittelmotor wird aber dem Coupé als Anklang an das klassische Modell A110 vorbehalten bleiben.

Im Innenraum geht es bei allen klassischen Zitaten auch hoch­modern zu: Der Fahrer blickt auf ein ­Instru­mentenpanel mit TFT-Bildschirm unter einer Kohlefaserblende. Es geht eben nicht nur um Design und schöne Worte. Soll die alpine Renaissance ­gelingen, müssen vor allem die Fakten stimmen. Und auch die sollen den ­Anschluss an die goldene Zeit der Al­pine schaffen. Das Besondere an dem spartanischen Renner war immerhin der Leichtbau mit einer Karosserie aus Fieberglas, aus der sich der Gründer der damaligen „Sociéte des Auto­mo­biles Alpine“, Jean Rédélé, Mitte der 50er-Jahre sein Traumauto bastelte. Übrigens heißt die Marke so, weil ­Rédélé in seiner Schöpfung 1954 den Alpenpokal gewann.

Die Alpine A110 beim historischen Rennen von Monte Carlo
Die Alpine A110 beim historischen Rennen von Monte Carlo © picture alliance / DPPI Media | DPPI

Auch die späteren Modelle Alpine A330, A310, A442, GTA und die Renault Alpine A610 setzten nicht vornehmlich auf PS-Gewalt, sondern auf ein hervorragendes Leistungsgewicht und hoch agile Fahrerlebnisse. Erst nach der völ­ligen Übernahme durch den Groß­serienhersteller wurde das Prinzip verwässert – und die A610, mit der die Marke 1995 eingestellt wurde, war beileibe kein kleiner Flitzer mehr.

Die 750 Kilo Federgewicht einer 110 erreicht der neue Vision natürlich auch nicht mehr. Das könnten wohl nur superteure Carbon- und Leichtmetall­orgien erzielen. Damit aber wäre ein Preis in der 40.000-Euro-Region nie zu erreichen, der momentan als Einstieg im Gespräch ist. Zudem verhindern ­gestiegene Sicherheitsanforderungen derart niedrige Kampfge­wichte. Zwar lässt Ghosn noch keine Angaben zur Leistung des Vierzylinder-Turbobenziners heraus. Im Umfeld ist aber zu ­hören, dass 270 bis 300 PS mit den ­etwa 1100 Kilo leichtes Spiel haben könnten. 4,5 Sekunden von null auf 100 km/h hat der Konzernchef ­zumindest versprochen.

Ein Vorteil: Traditionell sitzt Geld bei Sportwagen-Käufern locker

Sicher muss der Fahrer nicht mehr wie in der 110 die Beine leicht nach rechts verdrehen, um alle Pedale zu bedienen. Siegchancen bei Mille Miglia oder Le Mans hat das damals zwar nicht geschadet – aber sicher dem Meniskus der Fahrer. In der Alpine der Neuzeit sitzt es sich korrekt – und die empfindliche Schaltung des Urahns weicht einer automatischen Gangwahl mit ­zusätzlichen Schaltwippen. Mit Konkurrenten wie Toyota GT 86, Peugeot RCZ oder Alfa Romeo 4C soll die Alpine locker mithalten können. Aber auch für Rallye und Rennstrecke wird es wieder Siegerpotenzial geben. Schon in diesem Jahr starten das Signatech-Alpine-Team und zwei LMP2-Prototypen in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC. Jahreshöhepunkt werden die 24 Stunden von Le Mans sein. In der Formel 1 wollen die Franzosen ebenfalls wieder Gas geben – und so das Biedermann-Image der vergangenen Jahre vom Asphalt blasen.

„Wir freuen uns darauf, neue Kunden im Segment der Premium-Sport­wagen zu gewinnen“, gibt Ghosn die ­Linie vor. Schließlich geht es bei allem Sportsgeist ums Geldverdienen. Und Geld sitzt bei Sportwagen-Käufern traditionell locker. Es gilt also, einen Schatz zu heben: In dem Segment werden derzeit pro Jahr weltweit rund 200.000 Fahrzeuge verkauft – bis 2020 sollen es 300.000 sein. Darunter nach Ghosns Wunsch „reichlich Alpine“.