Hamburg. Wenn man heute ohnehin schon den Motor mit einem Knopf startet, kann man sich den Schlüssel in der Tasche vielleicht bald ganz sparen.

Der Bart ist bei den meisten schon lange ab, und aus der Tasche holt ihn auch fast niemand mehr. Doch wenn es nach den Autoentwicklern geht, gehört der Fahrzeugschlüssel bald vollends zum Altmetall. Denn im Zuge der fortschreitenden Vernetzung mit anderen elektronischen Endgeräten wollen sie immer mehr Funktionen auf das Mobiltelefon oder die Smartwatch übertragen.

Wenn man heute ohnehin schon berührungslose Schlüsselsysteme nutzt und den Motor mit einem Knopf startet, so der Tenor der Ingenieure, kann man sich den Schlüssel in der Tasche vielleicht bald ganz sparen. „Es ergeben sich da faszinierende Möglichkeiten, die den Alltag dramatisch erleichtern, und wir sind gut beraten, diese zu nutzen“, sagt Annette Welzer. Sie ist Produktmanagerin beim Zulieferer Continental und skizziert einen dreistufigen Plan für den Abschied vom Zündschlüssel.

Als technisch simpelste Lösung nennt sie einen elektronischen Zwilling des normalen Funkschlüssels, der ohne großen Aufwand und zu geringen Kosten als Chip auf das Gehäuse des Handys geklebt wird und dann die Türen öffnet und den Motor startet.

Stufe zwei ist die Vernetzung mit einem smarten Endgerät wie dem Telefon oder einer Uhr. „Wir nutzen Anzeige- und Eingabemöglichkeiten des Endgeräts, um über den Schlüssel mit dem Auto zu kommunizieren“, erläutert Welzer. Die Befehlsgewalt liegt dabei immer noch auf dem Schlüssel. Aber ein Klick auf dem Handy öffnet Fenster oder Türen. Und ein Blick aufs Display zeigt an, welchen Tankfüllstand der Schlüssel beim Verriegeln des Wagens gespeichert hat. „Überflüssig wird der physische Schlüssel auf Wunsch, wenn es einen komplett digitalen Schlüssel gibt“, sagt Welzer. Auf einem sicheren Server generiert und in der SIM-Karte des Telefons gespeichert, bietet er Zugang zu vorher definierten Fahrzeugen und kann vom Eigentümer situationsgerecht programmiert werden. „Man kann kurzfristige und vorübergehende Fahrberechtigungen erteilen, die Höchstgeschwindigkeit oder den Aktionsradius limitieren und so den Einsatz des Autos in fremden Händen kinderleicht steuern“, beschreibt sie die Vorteile für den Fahrzeugbesitzer. Und Nutzer eines fremden Autos müssen sich nicht erst um einen physischen Schlüssel bemühen.

Welzer sieht in diesem Konzept vor allem Vorteile für Firmen- oder Mietfahrzeuge. Nachdem erste Praxiseinsätze im beschränkten Rahmen bereits gestartet wurden, stellt sie für 2016 eine entsprechende Ausweitung solcher digitalen Schlüssel in Aussicht, während die beiden anderen Lösungen wohl erst 2017 reif für den Markt seien.

Entwicklungen wie die von Continental haben zahlreiche Autobauer schon auf dem Zettel. Alle Vorstellungen vom autonomen Parken zum Beispiel bei BMW oder Volvo fußen darauf, dass man seinen Wagen mittels Mobiltelefon oder Smartwatch auf Knopfdruck aus der Garage holt. Und VW hat kürzlich bei einem Prototypen auf Basis des Golf demonstriert, wie man zum Beispiel auch an eine Werkstatt per Telefon vorübergehend die Befehlsgewalt abgeben kann.

Auch Audi setzt auf die sogenannten Wearables und will spätestens bei der nächsten Generation des Flaggschiffs A8 die Schlüsselgewalt auf Wunsch auf Mobilgeräte übertragen, sagt Pressesprecher Udo Rügheimer. Der eigentliche Schlüssel wird dann zum Schmuckstück und Datenträger reduziert, der wie eine edle Uhr auch mal zu Hause bleiben kann. Bei BMW denkt man auch in die Gegenrichtung und rüstet den Schlüssel weiter auf: Kürzlich hat der Münchner Hersteller einen „Display Key“ vorgestellt, der ab Herbst optional für den i8 angeboten werden soll. Über einen 2,2-Zoll-Touchscreen kann man etwa die Füllstände von Akku und Benzintank ablesen oder Fenster und Türen entriegeln.

Das Handy oder die Uhr als Ersatz für den Zündschlüssel – das mag komfortabel und modern wirken. Aber damit einher gehen auch neue Risiken, mahnt der ADAC. Gerade vor dem Hintergrund einer unlängst aufgedeckten Sicherheitslücke in der Elektronik von BMW-Modellen fordert ADAC-Technikexperte Arnulf Thiemel zeitgemäßen Schutz: „Das Diebstahls- und Missbrauchsrisiko darf keinesfalls steigen. Der Schutz muss nach Standards erfolgen, wie sie in anderen Wirtschaftszweigen wie in der IT-Branche längst üblich sind, und er muss von neutraler Stelle bestätigt werden.“

Da widersprechen die Autobauer nicht: „Wenn das Telefon als Türöffner und Zündschlüssel verwendet werden soll, muss sichergestellt sein, dass das System nicht von Dritten kompromittiert werden kann“, sagt Mercedes-Sprecher Benjamin Oberkersch und bringt unter anderem die Secure-SIM-Technologie ins Gespräch: Damit könne eine sichere Verbindung zwischen autorisiertem Smartphone und Fahrzeug hergestellt werden. „Wir sind an dem Thema dran und werden noch im Laufe des Jahres dazu entsprechende Ankündigungen machen“, so Oberkersch.

Männer wie Tonio Goldberg können dem Trend zum digitalen oder gar virtuellen Autoschlüssel so gar nichts abgewinnen. Ihnen geht dabei die emotionale Komponente verloren: „Nicht umsonst spricht man vom Schlüsselerlebnis», sagt er und mag sich gar nicht vorstellen, wie man ein 100.000-Euro-Auto kauft und bei der Übergabe statt eines Schlüssels nur einen PIN-Code für eine App bekommt.

Hinter diesem Gedanken steckt ein Geschäft: Als Marketingchef der Firma Noblekey bietet er veredelte Fahrzeugschlüssel an. Gemeinsam mit Berliner Kunsthandwerkern fasst Noblekey die Schlüssel in Gold, Silber oder Edelholz ein und verziert die Gehäuse auf Wunsch sogar mit Brillanten.

So viel Luxus hat seinen Preis:
Mit knapp 2000 bis über 30.000 Euro sind die Schlüssel teurer als jedes Smartphone.

Annette Welzer von Continental weiß ebenfalls um die Symbolkraft eines Schlüssels und beruhigt Traditionalisten: „Auch wenn er sich technisch längst überholt hat, wird es den
Schlüssel als Symbol für den Besitz eines Fahrzeugs noch sehr lange weiter geben.“