Bei der Tokio Motorshow zeigen die Hersteller nicht nur Serienmodelle. Dort lassen die Designer auch mal ihrer Fantasie freien Lauf.

Hamburg. Die letzte Messe vor zwei Jahren ein Trauerspiel, der Heimatmarkt von den Folgen des Tsunami schwer gebeutelt und die Exporte von einem miserablen Wechselkurs behindert - viel schlechter hätte die Stimmungslage zur Motorshow in Tokio kaum sein können. Doch die Japaner beißen die Zähne zusammen, machen gute Miene zum bösen Spiel und feiern bei ihrem Heimspiel ein schönes PS-Fest, das sogar ein wenig Zuversicht aufflackern lässt. Das zeigen sie nicht nur mit vielen abgedrehten Visionen, sondern auch mit einer ganzen Reihe von Serienmodellen und betont realitätsnahen Studien.

Die meisten Konzeptautos sind quietschbunt, erinnern eher an Spielzeuge und sind vollgestopft mit Elektronik. Diese reagiert auf die Stimmungslage des Fahrers mit unterschiedlichen Beleuchtungs- und Musikeinstellungen, kennt den Weg und die aktuelle Verkehrslage. Beim Blick auf den Verkehr in Japans Metropole wird deutlich: Es gibt Besseres zu tun, als selbst zu lenken. "Mit Fahrspaß hat das Auto hier nicht mehr viel zu tun", sagt der deutsche Designer Tobias Nagel, der jahrelang in Tokio lebte.

Das Thema Sparen steht bei Toyota diesmal nicht mehr so im Vordergrund. Zwar gibt es beim entthronten Weltmarktführer wieder ein halbes Dutzend Hybridautos, und ein neues Fahrzeug mit Brennstoffzelle steht auch auf dem Stand; doch alle Blicke fangen die Japaner mit dem GT-86. Als bezahlbarer Sportwagen tritt er das Erbe des Celica an und lockt dafür mit 200 PS und klassischem Hinterradantrieb. "Es wird Zeit, dass die Kunden endlich wieder von unseren Autos träumen können", begründet Firmenchef Akio Toyoda den Kurswechsel.

Während Toyota & Co. ganz im Hier und Heute leben, richten Nissan und Honda den Blick ein wenig weiter nach vorn. Nissan kann sich das leisten, weil die Renault-Schwester schon mit dem aktuellen Portfolio gut dasteht. Ihr Minus war deutlich geringer als bei den anderen Asien-Marken, die Geländewagen und Crossover kommen überall gut an, und der Leaf als erstes familientaugliches Elektroauto aus der Großserie mausert sich mit bislang 20 000 produzierten Exemplaren tatsächlich zum Massenmodell. Daneben arbeiten die Japaner weiter am winzigen Stadtflitzer Pivo. Der kaum drei Meter kurze Dreisitzer mit den praktischen Radnabenmotoren und dem winzigen Wendekreis könnte in vier oder fünf Jahren in Serie gehen.

Honda muss den Blick nach vorne werfen, weil der aktuellen Pkw-Palette der Blickfang fehlt. Statt Civic & Co. bestaunt man auf der Messe deshalb einen kleinen elektrischen Roadster, blickt auf eine Luxuslimousine mit PlugIn-Hybrid und schmunzelt über die vielen Klein- und Kleinstwagen, die Honda für den japanischen Markt entwickelt.

Weil sie daheim einen anderen Stellenwert haben als überall sonst auf der Welt, machen auch die vermeintlich kleinen japanischen Marken in Tokio von sich reden. So zeigt Subaru neben dem Sportcoupé BRZ und einem ziemlich hausbackenen Impreza den noblen Luxuskombi Advanced Tourer. Mitsubishi zeigt den überraschend rundlichen und braven Nachfolger des Colt. Und Suzuki lockt mit drei zuckersüßen Kleinwagenstudien wie dem nur 730 Kilo schweren und deshalb besonders sparsamen Retromodell Regina oder dem rollenden CD-Player Q.

Überraschend ruhig ist es dagegen auf den Messeständen der Importeure, die in Japan allerdings nur auf einen Markanteil von sechs Prozent kommen. Selbst die Deutschen sind diesmal ziemlich zurückhaltend. Nur VW lässt es richtig krachen: Während Audi lediglich den A1 Sportback enthüllt, BMW den Fünfer als Hybrid-Modell zeigt und Mercedes sogar ganz ohne Premiere nach Tokio gekommen ist, belassen es die Niedersachsen nicht bei der Weltpremiere des Passat Alltrack mit Allradantrieb und Abenteuer-Outfit. Als heimlichen Star der Show enthüllen sie - wie berichtet - die Geländewagenstudie CrossCoupé.

In einem Land, in der hybride Toyota Prius seit Jahren auf Platz eins der Zulassungstabelle steht, in dem jedes zehnte Auto ein Teilzeitstromer ist und man mehr Elektrofahrzeuge kaufen kann als überall sonst, macht man um alternative Antriebe kein Aufheben mehr. Der kleine Prius-Bruder Aqua bei Toyota ist deshalb ebenso wenig eine Sensation wie ein aufladbarer Suzuki Swift, ein elektrischer Honda Jazz oder die Studie des nächsten Mitsubishi Outlanders, die natürlich ebenfalls an der Steckdose hängt.

Viele heimische Premieren und eine ordentliche Gästeliste - damit schindet die Motorshow in Tokio auch bei den Analysten Eindruck: "Die Messe ist ein Aufbruchsignal", lobt Franz-Rudolf Esch vom Automotive Institute for Management in Wiesbaden: "Nach langer Durststrecke mit vielen negativen Schlagzeilen im Katastrophenjahr 2011 zeigt sich die japanische Autoindustrie auf der Messe wieder erstarkt und mit frischen Ideen." Welche Hoffnungen das gebeutelte Land an das Auto knüpft, sieht man nicht zuletzt am Motto der Messe: "Mobilität kann die Welt verändern". Noch deutlicher macht das nur der neue Slogan von Toyota: Weil der Hybridkleinwagen Aqua, der als Yaris auch zu uns kommt, in der Nähe von Fukushima gebaut wird, schmücken die Japaner ihren ganzen Stand mit dem Schriftzug: "Reborn - neu geboren."