Eine Umfrage des ADAC zeigt: Zahlreiche Kommunen in Autobahnnähe klagen über zunehmende Verkehrsbelastung und schlechtere Luft.

Hamburg. Kennen Sie das? Sie sitzen im Auto von Hamburg nach Hannover, sind eh schon viel zu spät dran, und dann warnt das Navigationsgerät auch noch in der Nähe von Bispingen vor einem Stau. Die freundliche Dame, die eigentlich weiß, wo es langgeht, will einen in die Pampa schicken. Dabei ist der Verkehr doch noch flüssig. Im Radio heißt es: "A 7 - zwischen Soltau und Bad Fallingbostel drei Kilometer nach einem Unfall." Was nun? Von der Autobahn abfahren oder es drauf ankommen lassen?

Die Experten sind sich einig: Meist ist es besser, auf der Autobahn zu bleiben. Denn auf den Umfahrungsstrecken staut es sich erst richtig. Jürgen Tillot (57), Sachbearbeiter Verkehr bei der Polizei in Soltau: "Seit die Autobahn bei uns dreispurig ist, kommt es seltener zu einer Vollsperrung. Aber wenn es dann knallt, geht in Soltau nichts mehr." Tillot sieht die Schuld beim Navi: "Die Leute folgen nicht der Umleitungsbeschilderung, die eigentlich an Soltau vorbeiführt, sondern ihrem Navi, der sie durch unseren Ortskern lenkt."

Verkehrsexperte Professor Michael Schreckenberg (53) von der Uni Duisburg-Essen erläutert das Problem: "4500 Fahrzeuge können pro Stunde auf einer dreispurigen Autobahn fahren. Auf einer Landstraße maximal 1800. Doch sobald auch nur eine Ampel den Verkehr regelt, sinkt die Kapazität der Ausweichstrecke auf weniger als 400 Fahrzeuge." Das bedeutet: Zehn Prozent Abfahrer von der Autobahn reichen, um den Verkehr auf den Nebenstrecken zusammenbrechen zu lassen. In der Praxis sind es mehr. Schreckenberg spricht von über 40 Prozent "Hektikern", die schnell ihren Kurs ändern und 20 Prozent "Zockern", die spontan nach Laune reagieren.

Sehr zum Leid der autobahnnahen Kommunen. Bei einer aktuellen Studie des ADAC berichten zwei Drittel der Befragten von regelmäßigen Staus in Ortszentren, von mehr Straßenlärm und schlechterer Luft. Zumeist seien die Probleme in den vergangenen zehn Jahren entstanden. Also in der Zeit, in dem die Zahl der Navis in Deutschland auf rund 20 Millionen angestiegen ist. Ulrich Opel von der Verkehrsmanagementzentrale Niedersachsen bestätigt: "Die Kommunen werden seit der Verbreitung der Navigationsgeräte sehr stark belastet." Ein Grund dafür: Die meisten Navi-Besitzer ignorieren die Wechselverkehrszeichen am Straßenrand. Dabei nutzt das Verkehrsmanagement die sogenannten Long-Distance-Korridore, die bei einer Vollsperrung schon frühzeitig den Verkehr auf andere Autobahnen umleitet.

André Seeck (45), Leiter der Fahrzeugtechnik bei der Bundesanstalt für Straßenwesen, erläutert das Problem: "Die Navis sind nur so schlau, wie die Informationen, mit denen sie angefüttert werden. Sie verfügen aber leider über keine Prognose-Funktion." Sie wissen nicht, ob es sich bei der Vollsperrung auf der Autobahn nur um eine kurze Störung nach einem leichten Unfall handelt, die schnell wieder aufgehoben wird. Oder ob es länger dauern wird, weil die Bergung von Unfallopfern äußerst kompliziert verläuft. Sie wissen auch nichts über die Umleitungsstrecken. Gibt es da Baustellen, Ampelausfälle oder womöglich bereits stockenden Verkehr?

"Navis reagieren zumeist schon auf kurze Staus mit der unnötigen Empfehlung, die Autobahn zu verlassen und auf Nebenstrecken auszuweichen", sagt Johann Nowicki, Verkehrsexperte des ADAC. "Die nachgeordneten Straßen haben jedoch ein wesentlich geringeres Fassungsvermögen und geraten schnell an ihre Leistungsgrenze." Erschwerend kommt hinzu, dass viele Meldungen falsch verarbeitet werden. So interpretiert man etwa die Sperrung einer Anschlussstelle oder einer Fahrspur nicht selten als Autobahn-Vollsperrung. Dass die Informationen besser und schneller fließen, daran arbeiten Verkehrsexperten fieberhaft.

Zurzeit wird noch das analoge TMC-System (Traffic Message Channel) genutzt. Es bündelt Verkehrsbeeinträchtigungen, die von der Polizei, Straßenbauämtern, Staumeldern und vom ADAC den Rundfunkanstalten mitgeteilt werden. Über das UKW-Signal senden die Radiostationen die Infos kostenlos an die Navigeräte. Doch TMC stößt an seine Kapazitätsgrenze. "Die Zukunft heißt TPEG (Transport Protocol Experts Group). Das Nachfolgemodell von TMC kann digital mehr Daten übermitteln", verspricht Experte André Seeck.

Zum Beispiel zusätzliche Informationen über die Verkehrslage auf Bundes- und Landesstraßen, aber auch über Staudauer und -ursache. Die Daten werden entweder in Echtzeit von Auto zu Auto übertragen oder vom Auto zu Einrichtungen (wie etwa Staumelder) am Straßenrand. Dabei dient das Auto als Sensor und soll irgendwann auch mal relevante Daten wie Warnungen vor Glatteis oder einem Stauende in Sekundenbruchteilen an andere Fahrzeuge senden.

Mobilfunkfirmen wie Vodafone bieten in Kooperation mit dem Navigeräte-Hersteller TomTom schon jetzt ihren Kunden gegen einen monatlichen Aufpreis präzisere Reise-Informationen an. Die sogenannten Live-Dienste arbeiten mit zusätzlichen Hochrechnungen dynamischer Straßenkarten und berechnen die Positionsdaten von Handys in Autos mit ein. Rund 100 Euro pro Jahr müssen die Kunden dafür zahlen.

Bis die Autos untereinander kommunizieren können, müssen die Fahrer selbst entscheiden. ADAC-Experte Nowicki empfiehlt: "Fahren Sie nur von der Autobahn ab, wenn eine Vollsperrung oder ein größerer Unfall vorliegt und wenn es parallel zur betroffenen Strecke eine Alternativ-Autobahn oder eine gut ausgebaute Bundesstraße gibt."