Berlin. Die Angst, verlassen zu werden, betrifft vor allem Frauen in Partnerschaften. Eine Expertin verrät, was hinter der Verlustangst steckt.

Viele Kinder leiden im Laufe ihrer Entwicklung immer mal wieder unter Trennungsangst, die Sorge, dass Mama oder Papa nicht wiederkommen. Das ist normal und wächst sich in der Regel aus. Doch auch Erwachsene können unter Verlustängsten leiden, Frauen häufiger als Männer. Es gibt nur wenig Forschung dazu, eine Studie von 2006 um die Psychologin Katherine Shear von der Columbia Universität in New York kam zu dem Ergebnis, dass etwa 6,6 Prozent der Erwachsenen in den USA mindestens einmal in ihrem Leben von Trennungsangst betroffen sind. Eine Psychologin erklärt, was es damit auf sich hat und wie eine Partnerschaft dennoch funktionieren kann. Lesen Sie hier:Bei Verlustangst hilft oft nur diese Methode.

Warum leiden Frauen häufiger unter Verlustängsten?

Die Psychologie kennt verschiedene Ursachen für Verlustängste bei Frauen. Oft seien frühkindliche Erfahrungen mit der ersten Bezugsperson und dem dabei entwickelten Bindungsstil die Ursache, erklärt die Psychologin und Coach Linda-Marlen Leinweber. „Der eigene Vater ist meist die erste männliche Bezugsperson, die eine Frau als Kind hat“, so Leinweber. Damit ist er ein Vorbild und der direkte Vergleich zu anderen Männern, die man später kennenlernt.

Zudem sei es schwierig, ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln, wenn man als Kind vom Vater keine bedingungslose Liebe erfahren habe, so Leinweber. So könne das Kind nicht das Urvertrauen aufbauen, das ihm sagt: „Ich bin gut, so wie ich bin, und ich werde geliebt.“ Die Angst, das schmerzhafte Gefühl der Ablehnung und Zurückweisung in späteren Beziehungen erneut zu erleben, werde zum ständigen Begleiter. Die seelische Wunde werde immer wieder berührt, wenn etwas Ähnliches vorfalle: Mein Partner schenkt mir nicht seine volle Aufmerksamkeit, gibt mir zu wenig Liebe oder hat zu wenig Zeit für mich.

Männer würden dagegen häufiger unter Bindungsängsten leiden, beobachtet Leinweber. Jungen erlebten in ihrer Kindheit oft eine Mutter, die entweder zu nah war, zu sehr klammerte oder nicht loslassen konnte. In diesem Fall trügen Männer später den Schmerz in sich, „Ich muss mich vor zu viel Nähe hüten“. Oder das Gegenteil war der Fall: eine distanzierte Mutter, aus der sie den Schluss zogen, nicht genug und nicht liebenswert zu sein.

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Verlustangst in Beziehungen: Wovor haben Frauen am meisten Angst?

Was, wenn er mich nicht mehr attraktiv findet? Was, wenn er mich deshalb nicht mehr liebt? Was, wenn er mich betrügt? Will er unsere Beziehung beenden? Werde ich ihn verlieren? – So oder ähnlich können die Gedanken von Frauen aussehen, die unter stark ausgeprägten Verlustängsten leiden. „Die Sorge, die Liebe und Zuneigung des Partners oder der Partnerin zu verlieren, bestimmt einen großen Teil der Gedankenwelt“, erklärt Leinweber.

Betroffene lesen das Verhalten ihres Gegenübers meist als Zeichen dafür, dass ein Trennungswunsch in ihm oder ihr schlummert, sagt die Expertin. Sei es eine etwas verspätete Textnachricht, eine Verabredung, die wegen des stressigen Arbeitsalltags verschoben wurde, oder eine weniger enthusiastische Begrüßung – die größte Angst von Menschen mit Verlustangst ist es, den Partner zu verlieren, weil man sich ohne ihn wertlos fühlt, erklärt Leinweber.

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Wie verhalten sich eine Frau bei Verlustangst?

Das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit, das immer auch ein Bedürfnis nach Bindung und Anerkennung ist, ist grundsätzlich individuell ausgeprägt. „Verlustängstliche Frauen haben ein übermäßiges Bedürfnis nach Bestätigung, Zuwendung und Anerkennung“, sagt Psychologin Leinweber. In einer Partnerschaft brauchen sie ständige Liebesbeweise, sonst zweifeln sie an der Beziehung. Deshalb neigten sie zu Klammern, Kontrolle und Eifersucht, erklärt die Psychologin. Manche mehr, manche weniger – jeder verlustängstliche Mensch habe seine eigenen bewussten und unbewussten Strategien, um mit dem Schmerz in diesen Situationen am besten umzugehen.

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Typische Anzeichen von Verlustängsten bei Frauen sind:

  • Geringes Selbstwertgefühl: Angst, nicht genug zu sein oder den Erwartungen des Partners nicht zu entsprechen.
  • Misstrauen: Tendenz, den Partner zu kontrollieren
  • Gedankenkreisen: innere Unruhe und Angst, wenn der Partner physisch abwesend ist

Wie kann der Partner mit den Verlustängsten der Partnerin umgehen?

„Menschen mit Verlustängsten fehlt die emotionale Sicherheit, dass der geliebte Mensch sie nicht verlässt“, sagt die Psychologin Linda-Marlen Leinweber. Daher kann es der Expertin zufolge hilfreich sein, die Ängste in einem offenen Gespräch zu hinterfragen oder gemeinsam Wege zu ihrer Bewältigung zu entwickeln – zum Beispiel durch die Stärkung des Selbstbildes der Betroffenen, eine eigenständige Lebensgestaltung oder eine Therapie.

Ein offenes Gespräch darüber, wie sich die Verlustängste der Betroffenen anfühlen, in welchen Situationen es für sie emotional wird, was ihnen in diesen Momenten hilft und was sie belastet, kann auch dem Gegenüber helfen, achtsamer und rücksichtsvoller mit der Situation umzugehen, weiß Leinweber. Dennoch sollte der Partner selbst nicht zu kurz kommen und seine eigenen Interessen und Hobbys nicht vernachlässigen, so die Psychologin.

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Was können Frauen tun, um Verlustängste zu überwinden?

Selbsttherapie gegen Verlustängste – ja, das geht, weiß Leinweber! Die Überwindung von Verlustängsten erfordert ähnliche Schritte wie die Überwindung von Bindungsängsten. Zunächst geht es darum, die eigene Angst zu erkennen und zu verstehen, sagt Psychologin Leinweber. Die eigene Geschichte könnte zum Beispiel ein Verlust in der Kindheit sein, ausgelöst durch eine Trennung oder gar Scheidung. Um die Ängste zu verarbeiten, sollten die Betroffenen zwischen der Geschichte und dem Erleben im Hier und Jetzt unterscheiden.

Der zweite Schritt ist das Erlernen von Bewältigungsstrategien. Linda-Marlen Leinweber nennt etwa den sogenannten „Gedankenstopp“, eine Technik aus der Verhaltenstherapie, um das Grübeln zu durchbrechen. Die Betroffene müsse sich laut „Stopp“ sagen, wenn sie merkt, dass sie in das Thema Verlustängste verstrickt ist. Auch das Erkennen von Triggern wie Ablehnung oder Kritik könne helfen, die unerwünschten Gedankengänge zu durchbrechen, so Leinweber.

Im letzten Schritt sollten Betroffene an ihrem Selbstwertgefühl arbeiten. Menschen, die unter Verlustängsten leiden, denken, sie seien nichts wert und man könne sie nicht lieben. Sie müssen ihre Glaubenssätze wie „Ich bin nicht gut genug“ auflösen und durch akzeptierende Sätze ersetzen wie „Ich bin gut, so wie ich bin“, erklärt Leinweber.

Einen besonders großen Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben laut der Expertin übrigens positive menschliche Beziehungen. So hätten Forscher herausgefunden, dass Freundschaften einer der wichtigsten Selbstwert-Booster sind. Kurzum: Wer mehr Selbstvertrauen gewinnen will, sollte in gute Freundschaften investieren.